Die Weißmaler von Schaffhausen

20110906-114420.jpgAndi Kunz und Christoph Schmutz haben am helllichten Tag in Schaffhausen SVP-Plakate übermalt. Das aktuelle Wahlkampfplakat der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) sorgt seit Wochen schon für Wirbel im Nachbarland (s. seemoz v. 1.8.). Das Echo auf die Kunz-Schmutz-Aktion ist groß, schon finden sich Nachahmer, womöglich gar in Kreuzlingen. Eine eingereichte Anzeige macht den beiden Hobbymalern keine Sorgen.

Sie sitzen vor der Schaffhauser Alternativbeiz, dem «Fass», und tun so, als würden sie streiten. „Auf dem Foto sieht man ganz genau, dass ich schneller male als du“, sagt Andi Kunz. „Mein Roller war auch lausig. Ich habe dir den guten gegeben,“, kontert Christoph Schmutz. „Das stimmt doch gar nicht“, behauptet Kunz, und Schmutz wirft die Hände in die Höhe: „Wir sollten uns nicht spalten lassen.“

Spalten? Nun ja, Schmutz ist seit über 30 Jahren Mitglied der SP, während Kunz für die Alternative Liste (AL) im Schaffhauser Stadtparlament sitzt. Aber er sei ein ‚randständiger und dissidenter Sozialdemokrat‘, sagt Schmutz. Die beiden scheinen sich bestens zu verstehen.

Über das, was Kunz und Schmutz vor zwei Wochen zusammen angestellt haben, wird in der Kleinstadt am Rhein viel diskutiert. An einem Samstagmittag übertünchten sie sieben „Masseneinwanderung stoppen“-Plakate mit weißer Farbe. Sie ließen sich dabei fotografieren und schickten den Lokalzeitungen, den „Schaffhauser Nachrichten“ und der SP-nahen „Schaffhauser AZ“, eine Stellungnahme.

„Die SVP missbraucht Leute, die es schwierig haben, Modernisierungsverlierer. Bei ihnen holt sie Stimmen, um nachher Politik für die obersten zwei Prozent zu machen. Das macht mich brutal hässig“, ruft Christoph Schmutz aus. „Das merkt man gar nicht, dass du hässig bist“, kommentiert Andi Kunz ironisch, aber Schmutz lässt sich nicht beirren: „Ich will keine Stildebatte führen. Das ist eine Grundrechte- und Grundwertedebatte“.

Fanpost von der Schülerin

Dass das Echo so positiv ausfallen würde, damit hatten sie nicht gerechnet. Zwei Leserbriefschreiber in den „Schaffhauser Nachrichten“ wollten sie zwar nach Nordkorea schicken, und in einem anonymen Brief machte jemand ein paar Wortspiele über den Namen Schmutz. Doch die positiven Briefe überwiegen bei weitem – und bereits haben 700 Menschen die Stellungnahme unterschrieben, die als Inserat in den Zeitungen erscheinen soll. Die Unterstützung gehe weit in bürgerliche Kreise hinein, sagt Schmutz.

Beide wirken sie ernst und wach, fast etwas kribbelig. Die malerische Stadt scheint gar nicht recht zu ihnen zu passen. Andi Kunz, 31, hat dichtes schwarzes Haar und Bart. Er arbeitet beim kantonalen Sozialamt in der Flüchtlingsberatung. Christoph Schmutz ist 54, groß und dünn und arbeitet als Primarlehrer, auch das schon seit mehr als 30 Jahren. Zurzeit unterrichtet er eine sechste Klasse mit vorwiegend ausländischen Kindern, „eine wunderbare Multikultibande“. Eine Schülerin hat sogar einen Leserinnenbrief geschrieben: „Jedes Mal auf dem Schulweg muss meine Freundin, die nicht Schweizerin ist, diese SVP-Plakate anschauen. Ich bewundere Herrn Schmutz, dass er sich für die Rechte anderer einsetzt“.

Das freue ihn wahnsinnig, sagt der Lehrer. „Es geht darum, Kinder zu wachen Menschen zu erziehen, die über das Private hinausdenken. Wir haben in der Schule viel über den arabischen Frühling diskutiert. Lehrer, die sich als ‹völlig apolitisch› bezeichnen, finde ich gefährlich“.

Das Argument, ihre Aktion sei ein Angriff auf die Meinungsäusserungsfreiheit, läßt Andi Kunz nicht gelten: „Die SVP hat eine Kriegskasse von Millionen. Wir haben sieben Plakate übermalt, im Land hängen ein paar Tausend. Sie können nicht sagen, sie kämen nicht mehr zu Wort“. Für ihn sei es „eine Güterabwägung zwischen Grundrechten: Es gibt auch ein Grundrecht der Gleichheit, das die SVP permanent angreift. Sie treibt Keile in die Gesellschaft und vergiftet das Klima“.

Keine Angst vor der Anzeige

Die Allgemeine Plakatgesellschaft hat Anzeige gegen Kunz und Schmutz erstattet. Das macht den beiden keine Sorgen. Er sei bereits vorbestraft, sagt Schmutz, „für eine durchaus ehrenwerte Sache“. Um seinen Job fürchtet er nicht, er habe einen soliden Ruf als Lehrer und einen ebenso soliden Arbeitgeber. Sie wollten den Linken Mut machen, sagen die beiden. „Ich kenne viele, die wegen der ständigen Abwehrkämpfe gegen rechts die Lust am Politisieren verloren haben“, erzählt Andi Kunz. „Wir möchten wieder Aktionsformen finden, die Spaß machen“.

Was planen sie als Nächstes? „Wir lassen uns treiben“, sagt Schmutz – und meint es wörtlich: Die besten Ideen kämen ihm oft auf dem Weidling. Die flachen, langen Boote sind beliebt in Schaffhausen: Man stakt flussaufwärts, so weit man Lust hat, und treibt dann gemächlich zurück in die Stadt. Können sich das alle leisten? „Wir haben einen Genossenschaftsweidling, zu sechst“, erklärt Schmutz. Nach Stein am Rhein dauert es gut fünf Stunden. Die Politik ist auch auf dem Fluss präsent: „Die Bürgerlichen“, sagt Schmutz, „fahren meist mit Motor.“

Autorin: Bettina Dyttrich/woz

Nachtrag der Redaktion: Wie man hört, sind ähnliche Aktionen wie die von Kunz/Schmutz auch in anderen Schweizer Städten, z.B. in Kreuzlingen, geplant

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