Ecopop-Abstimmung: Rigider als die SVP
Neun Monate nachdem die Schweizer die Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) angenommen haben, um weniger Ausländer ins Land zu lassen, stimmen sie am 30. November erneut über eine Initiative mit dem gleichen Ziel ab. Nur dass die sogenannte Ecopop-Initiative noch wesentlich rigider ist. Dagegen stemmen sich nicht nur die Gewerkschaften, auch die Schweizer Wirtschaft befürchtet Einbussen beim ExportgeschäftDie Ecopop-Initiative will die Einwanderung auf 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung begrenzen. Das wären derzeit 16.000 Personen jährlich. Tatsächlich sind es derzeit etwa 80.000 – mit rückläufiger Tendenz. Der Ausländeranteil in der Schweiz liegt derzeit bei etwa 24 Prozent.
Die Ausländer sind angeblich an allem schuld
Manchmal überkommt einen der Eindruck, es gebe in der Schweiz nur eine Ursache für alle Probleme einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft: die Ausländer. Sie seien nicht nur an der regen Bautätigkeit schuld, sondern auch an hohen Mieten, verstopften Straßen, angeblich steigender Kriminalität, vollen Unis. Folglich könne man die heile Welt nur wieder herstellen, wenn man dafür sorge, dass weniger Ausländer ins Land kommen.
Entsprechend dieser Maxime argumentiert denn auch die Vereinigung Ecopop, die früher „Vereinigung Umwelt und Bevölkerung“ hieß und ihren neuen Namen aus „Ecologie et Population“ gebildet hat. Sie führt die weltweiten Umweltbelastungen vor allem auf die steigende Bevölkerungszahl zurück. Zwar werde die Umweltbelastung auch durch das Verhalten der Menschen und den Stand der Technik bestimmt, erklärten Ecopop-Vertreter gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), aber maßgeblich sei die Zahl der Menschen.
Diese Zahl mindestens innerhalb der Schweiz zu begrenzen, ist denn auch das Ziel ihrer 2011 lancierten Volksinitiative „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“, die allgemein als „Ecopop-Initiative“ bezeichnet wird. Sie will erstens, dass die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz durch Zuwanderung jährlich um maximal 0,2 Prozent anwächst und zweitens müsse der Bund 10 Prozent seiner Entwicklungshilfegelder für Maßnahmen zur freiwilligen Familienplanung einsetzen.
„Birkenstockrassisten“ unterwegs?
Diese Ziele sind sogar der Schweizerischen Volkspartei (SVP) zuviel, die sonst strikt darauf achtet, die Lufthoheit über den Stammtischen zu haben, wenn es darum geht, Ausländer für alles Negative im Land verantwortlich zu machen und auf deren „Mist“ die MEI gewachsen war. Aber während SVP-Präsident Toni Brunner die Ecopop-Leute als „Birkenstock-Rassisten“ schmäht, sind einzelne seiner Kantonalparteien anderer Meinung und unterstützen die Initiative.
Diese gibt vor, gegen die „Zubetonierung der Schweiz“ und gegen die „Überlastung von Natur und Infrastruktur“ zu kämpfen und die „ärmsten Länder“ entlasten zu wollen, die am stärksten durch das Bevölkerungswachstum belastet würden. Ecopop wirbt denn auch mit einem Plakat für ihr Anliegen, auf dem die Schweiz dicht an dicht mit Hochhäusern zugepflastert ist. Prominente Unterstützer doppeln mit der Aussage nach, sie wollten „keine Schweiz, die wie Hongkong aussieht“.
Angst vor mehr Zuwanderung
Verdichtetes Bauen will Ecopop nämlich nicht, weil dies „neue Probleme erzeugt“. Der „Tagesanzeiger“ befand deshalb, die Initiative habe den falschen Namen – sie sollte „Hüslipop“ heissen, weil sie einer Einfamilienhausbebauung der Schweiz das Wort rede. Gleichzeitig wehrt sich Ecopop dagegen als rassistisch bezeichnet zu werden. Man habe nichts gegen Ausländer, aber die Schweiz könne die Zuwanderung nicht verkraften. Diese Aussage erinnert an das altbekannte Argument, man habe nichts gegen Ausländer, so lange diese im Ausland bleiben.
Auch in der Verpflichtung des Bundes in Drittweltländern für Familienplanung zu sorgen, findet Ecopop weder kolonialistisch noch rassistisch. Diese Länder und die dortigen Frauen litten ihrer Meinung nach unter dem rasanten Bevölkerungswachstum beziehungsweise den vielen Geburten. Hinweise darauf, dass bessere Bildung und mehr Wohlstand praktisch in allen Ländern zu sinkenden Geburtenzahlen führten, verhallen ungehört.
Auch wenn der größere Teil der SVP gegen Ecopop ist und alle anderen Parteien erst recht nichts davon wissen wollen – sie befürchten einen massiven Arbeitskräftemangel von den Pflegeberufen bis hin zur Landwirtschaft – sollte man die Chancen der Initiative nicht unterschätzen. Viele, die im Februar die MEI angenommen haben, werden auch hier zustimmen. Ihrer Meinung nach müsste nämlich die damals gewünschte Beschränkung der Einwanderung bereits umgesetzt sein.
Breite Front gegen die Initiative
Dies obwohl dafür gesetzlich und laut Initiativtext drei Jahre Zeit ist. Und obwohl bereits vor jener Abstimmung klar war, dass die Annahme der Initiative die bilateralen Verträge zwischen EU und Schweiz gefährden würde, weil die Personenfreizügigkeit (PFZ) damit eingeschränkt würde. Aber die Aufkündigung der PFZ war ja das erklärte Ziel des SVP-Granden Christoph Blocher. Allerdings verließ/verlässt er sich darauf, dass die EU die restlichen Verträge mit der Schweiz beibehalten wird. Sollte die Ecopop-Initiative aber auch angenommen werden, geht diese Hoffnung wohl endgültig in Rauch auf. Das wiederum fürchten die exportabhängige Schweizer Wirtschaft und die Gewerkschaften wie der Teufel das Weihwasser, weshalb sie sich – zusammen mit Wissenschaftlern und Künstlern – dieses Mal wesentlich stärker gegen die Initiative ins Zeug legen, als sie dies noch im Februar getan haben, als sie vom MEI-Erfolg überrascht wurden.
Autorin: Lieselotte Schiesser