Kurzmeldung: Schweizer stimmen für Begrenzung der Zuwanderung
Die Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ist mit 50,3 Prozent Ja-Stimmen am Sonntag knapp angenommen worden. Die SVP-Initiative sieht jährliche Höchstzahlen und Kontingente für die Zuwanderung von Ausländern vor. Bei der Besetzung von Stellen sollen Arbeitgeber Bewerbern mit Schweizer Pass den Vorzug geben. Die Nachbar-Kantone Aargau, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und Appenzell stimmten mit Ja. Ob die EU die Bilateralen Verträge mit der Schweiz tatsächlich einseitig aufkündigt, lässt sich mit dem heutigen Ja noch nicht sagen. Auch die konkrete Umsetzung der Initiative ist ungewiss – der Initiativtext lässt einen beträchtlichen Spielraum (SPON/hpk).
Immerhin ist die Grenze für Zugvögel kaum sichtbar.
Die offene Kreuzlinger-Konstanzer Kunstgrenze dümpelt etwas vor sich hin, da dort wenig gemeinsames passiert. Aber all die deutschen Treibstoff-Nutznießer, Pendler, Schnee- und Berg-Touristen sollten sich angesichts des wenigstens gleichwertigen schweizer Einkaufstourismus zurückhalten. Kulturell und ferntouristisch liegt Zürich eh näher als Stuttgart. Die monarchiefreie Eidgenossenschaft bietet den Bürgerinnen jedenfalls mehr demokratische Entscheidungen als die Bundesrepublik. Schon 1848 konnten des badischen radikalen Demokraten über die Schweiz ihre Haut in die USA retten und 1917 gelangte Lenin von Zürich nach Sankt Petersburg. Nachbarschaftsfehden sind populär, insbesondere wenn es um die eigene Freizügigkeit geht.
Brigitte Dahlbender, BUND Vorsitzende in Baden-Württemberg, postete am Sonntag auf Facebook empört:
„Unglaublich. In dieses Land werde ich nicht mehr fahren. Es gibt auch woanders schöne Berge und auf jeden Fall eine offenere und damit sympathischere Gesellschaft.“
Ulla Jelpke, innen- und asylpolitische Sprecherin der Linken im Deutschen Bundestag, argumentiert sehr viel umsichtiger das Schweizer Abstimmungsergebnis:
„Bei nüchterner Betrachtung allerdings ist die Aufregung in Deutschland mindestens heuchlerisch. Zum einen wurden mit der Initiative die Grundlagen für Regelungen geschaffen, die in der Bundesrepublik ebenfalls zur Anwendung kommen: auch hier gilt ein Vorrang für Deutsche auf dem Arbeitsmarkt, der vor allem Nicht-EU-Bürger massiv ausgrenzt und für Asylsuchende zu einem faktischen Arbeitsverbot führt. Der Familiennachzug ist an den Erwerb der deutschen Sprache schon im Herkunftsland der nachziehenden Ehegatten gebunden. Sozialleistungen sind auch in Deutschland nur beschränkt EU-Bürgerinnen und Bürgern zugänglich, bei Nicht-EU-Bürgern kann der Bezug von Sozialleistungen sogar zur Ausweisung führen.“
All den Unkenrufen zum Trotz finden sich genügend Freundschaften und Projekte, die bestehen und die die augenscheinlich rechtspopulistischen Hürden wieder überwinden helfen. Jelpkes Forderung nach gerechten Mindestlöhnen trifft in der Grenzregion Konstanz besonders auf die Gewerkschaftsforderung nach besserer Entlohnung im Gesundheits- und Pflegesektor zu.
siehe Ulla Jelpkes Erklärung vom 12.2.2014: Nach dem Schweizer Votum gegen Zuwanderung
http://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=2854
@R.Klett
Wenn die Bürger nicht zum Wählen an die Urne gehen, haben sie auch gewählt und zwar, dass es ihnen egal ist wie abgestimmt wird. Patrioten erkennt man nicht daran, wo sie einkaufen gehen. Dies ist eine ganz normale Verbraucherentscheidung, wie die „Dütsche“ das mal gemacht haben, als die Schweiz für uns ein rentables Einkaufsland war, und so wird es wieder sein, wenn das Währungsgefälle sich ändert.
Im Übrigen, hört doch endlich mal auf in Schweizer Angelegenheiten sich einzumischen. Kein Wunder, dass die Schweizer uns nicht mögen.
natürlich hat „frieda“ recht: die S t ä d t e Frauenfeld und Kreuzlingen haben, wenn auch knapp, die Initiative abgelehnt. Bei Kreuzlingen insofern bemerkenswert, als die Grenzstadt (Stand 31.01.2013) bei 20 362 Einwohnern immerhin einen Ausländeranteil von 51,7 Prozent hat.
Was aber in der (teilweise schon sehr unbedarften) deutschen Berichterstattung auch immer untergeht: die gesamte Westschweiz, also alle französischsprachigen Kantone, haben die Initiative abgelehnt, ebenso übrigens wie der Kanton Zürich. Was ja eigentlich Fragen aufwerfen sollte. Die Antwort in einem Artikel der NZZ: Dort, wo am wenigsten Ausländer ansässig sind, hat die Initiative der rechtspopulistischen SVP- wie immer – die meisten Anhänger. Also z.B. auch bei unseren so geschätzten Nachbarn im Thurgau.
Was ebenfalls unerwähnt bleibt: Die Stimmbeteiligung. Selbst bei einem für die Schweiz so wichtigen Thema liegt sie schweizweit bei nur 55,8 Prozent, im Thurgau bei 53,7 Prozent. Soviel zum ständig artikulierten Stolz der Eidgenossen auf ihre direkte Demokratie: „Wir sind der Souverän!“ Aber wenn`s mal wichtig wird, geht fast die Hälfte nicht zur Urne.
Und am tollsten finde ich all diese erklärten Patrioten dann, wenn sie in Scharen im deutschen Grenzgebiet einfallen und dort ihre Fränkli lassen und damit der Wirtschaft in ihrem eigenen Land massiv schaden.
@vincitore: Doch, doch, meine „Interpretation“ ist richtig, bzw. es ist keine Interpretation, sondern das korrekte Ergebnis; die Stadt Kreuzlingen hat abgelehnt, ebenso wie die Stadt Frauenfeld und die Gemeinde Gottlieben. Das was Sie hier verlinkt haben, sind die Ergebnisse der Bezirke unbd nicht der einzelnen Gemeinden. Und – da haben Sie recht – die Bezirke haben angenommen. Alle fünf. Die Bezirke sind mit Landkreisen vergleichbar – der Kreis Konstanz ist auch nicht das Gleiche wie die Stadt Konstanz.
@frieda,
Ihre Interprätation stimmt leider nicht ganz.
Thurgau gesamt stimmt zu mit 57,8%
Kreuzlingen stimmt zu mit 53,7%
Frauenfeld stimmt mit 56% zu
Alles nachzulesen auf
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/17/03/blank/key/2014/013.html
Kleiner Lichtblick innerhalb der Ja-stimmenden Nachbarn: Kreuzlingen und Gottlieben haben die Initiative abgelehnt (wie auch Frauenfeld). Ändert am Gesamtergebnis leider nichts.