Eine „arg strapazierte Freundschaft“ über den See

Alfred Huggenberger

Das Bodmanhaus-Literaturprogramm in Gottlieben schließt das erste halbe Jahr unter neuer Leitung mit einem Thurgauer Dichter ab: Alfred Huggenberger, dessen Biografie im Auftrag des Kantons erarbeitet worden ist, war mit Otto Marquard befreundet, einem Maler auf der deutschen Seite des Bodensees. Über diese „arg strapazierte Freundschaft“ ist jüngst ein Buch erschienen, über das die Autoren nächste Woche im Bodmanhaus zu Gottlieben berichten.

Während Huggenberger vorgeworfen wird, er sei zu nahe an den Nazis gewesen und habe sich von Joseph Goebbels hofieren lassen, gehörte Marquard zum deutschen Widerstand und rettete aktiv Menschenleben. Was ist das für eine Freundschaft gewesen? Nach der Buchtaufe in Frauenfeld erzählen Rea Brändle und Mario König, die AutorInnen der Huggenberger-Biografie, in einem Vortrag im Bodmanhaus über einen grenzüberschreitenden, weitgehend unbekannten Aspekt der Literatur- und Kunstgeschichte.

Vor drei Jahren hat der Kanton Thurgau ein großes biografisches Projekt in Auftrag gegeben: Der Nachlass des einst international populären Schriftstellers Alfred Huggenberger (1867-1960) aus Gerlikon bei Frauenfeld sollte erstmals vollständig gesichtet und aufgearbeitet werden. Die Germanistin Rea Brändle und der Historiker Mario König haben jetzt die umfangreiche Hinterlassenschaft dieses Thurgauer Autors in einer Werkbiografie dargestellt. Es ging dabei zum einen um die Klärung der politischen Haltung Huggenbergers – ein sehr umstrittenes Thema im Thurgau – zum andern überprüften die AutorInnen die gängigen Bilder der Huggenberger-Rezeption.

Otto Marquard

«Huggenberger. Die Karriere eines Schriftstellers» heißt das Buch von Rea Brändle und Mario König, das in diesen Tagen erscheint. Nach der offiziellen Buchtaufe in Frauenfeld am 15. Juni werden die beiden AutorInnen im Bodmanhaus mit Texten und Bildern einem speziellen Aspekt nachgehen: der Freundschaft des Thurgauer Schriftstellers Huggenberger mit dem deutschen Künstler Otto Marquard, der jahrelang am Bodensee lebte und wirkte.

Beide kamen aus einfachen Verhältnissen. Huggenberger entstammte einer Bauernfamilie, der vierzehn Jahre jüngere Marquard war der Sohn eines sozialdemokratischen Schneiders in Konstanz. Während Huggenberger seine schriftstellerischen Neigungen schon als Jugendlicher neben der Tätigkeit als Landwirt auszuleben begann, machte Marquard zunächst eine Lehre als Dekorationsmaler und arbeitete anschließend als Geselle, ehe er mit 23 Jahren genug Geld beisammen hatte, um sich an der Kunstakademie in Karlsruhe weiterzubilden. Er wurde Meisterschüler von Hans Thoma, der seinen Stil stark beeinflusste. Nach der Ausbildung konnte er dank eines Stipendiums nach Paris fahren und Italien bereisen; schließlich ließ er sich am Bodensee nieder und blieb zeitlebens in dieser Gegend. In Allensbach betrieb er später eine vegetarische Pension.

Marquard war Pazifist und verbrachte die Zeit des 1.Weltkriegs in der Schweiz. Huggenberger lernte er 1910 kennen. Genaueres weiß man nicht. Im Zentrum stand die gemeinsame Arbeit. Otto Marquard wurde einer der Illustratoren von Huggenbergers Büchern. Dabei genoss er einen beachtlichen Freiraum, den er zu nutzen wusste, auch mit Experimenten, wie Brändle und König aufzeigen werden. In den Briefen zwischen dem badischen Allensbach und dem thurgauischen Gerlikon dominierte ein freundschaftlicher, oft heiterer Ton; davon werden Kostproben zu hören sein.

Politisch führten die Wege jedoch sehr weit auseinander. Während Huggenberger als einer von wenigen Schweizer Schriftstellern nach Hitlers Machtübernahme weiterhin Lesereisen durch Deutschland machte, wurde die von Marquard geführte Pension in Allensbach zu einer Anlaufstelle für Verfolgte. Mit entsprechenden Konsequenzen: 1936 erhielt der Künstler ein Mal- und Ausstellungsverbot auferlegt, 1937 durchsuchte die Gestapo sein Haus, 1938 wurde er wegen Verdachts auf Hochverrat in Stadelheim bei München für ein halbes Jahr inhaftiert. Huggenberger hingegen nahm deutsche Preise entgegen: 1937 den Hebelpreis, 1942 den Steinbach-Preis in Konstanz; im gleichen Jahr wurde er zum Ehrensenator der Deutschen Akademie in München ernannt. Der Kontakt zwischen den beiden wurde immer spärlicher, ist aber nie ganz abgebrochen.

Nach dem Krieg hatte Huggenberger sich vor der Säuberungskommission des Schweizer Schriftstellervereins zu verantworten, ohne dass seine Auftritte im nationalsozialistischen Deutschland Konsequenzen gehabt hätten. Marquard hingegen genoss während kurzer Zeit ein Ansehen als Antifaschist. Dann aber wurde es still um ihn. Die Rehabilitation so vieler ehemaliger NS-Funktionäre in der Adenauer-Ära verbitterte ihn. Zu Huggenberger gab es fast keinen Kontakt mehr, wohl aber zu dessen Tochter. Zum 90. Geburtstag des Schriftstellers gratulierte Marquard mit einem eigens angefertigten Holzschnitt. Es war der letzte persönliche Kontakt.

Huggenberger starb 1960, Marquard neun Jahre später, am 30. Mai 1969.

Autor: PM/hpk

Das Buch: «Huggenberger. Die Karriere eines Schriftstellers» Alfred Huggenberger und Otto Marquard – eine arg strapazierte Freundschaft. In Texten und Bildern erzählt von Rea Brändle und Mario König.

Der Vortrag: Donnerstag, 21. Juni 2012, 20 Uhr, Eintritt: CHF 8/ € 5. Reservierung: Bodmanhaus, Am Dorfplatz 1 – 8274 Gottlieben, Tel. +41 (71) 669 34 80, www.bodmanhaus.ch