Es geht um die TV-Landschaft der Schweiz
Unrealistische Vorschläge
Nun kosten allein die Informationssendungen von SRF (und dieses Mal von Radio und TV) schon 605 Mio. Franken jährlich. Wären also durch die derzeitigen Werbeeinnahmen bei Weitem nicht finanzierbar. Ganz abgesehen davon, dass nicht sicher ist, ob die heutigen Werbekunden überhaupt blieben, wenn sie nur noch im Umfeld von Nachrichtensendungen auftreten könnten – oder ob sie dann nicht lieber gleich zu RTL/Sat1 etc. überlaufen würden.
Die Initianten betonen, SRF könne ja auch ohne Gebühreneinnahmen weiterarbeiten. Erwähnen aber lieber nicht, dass es dazu einer Sendekonzession bedürfte, die es zuvor erst ersteigern müsste – wobei es dafür andere Bieter übertreffen müsste. Mit Geld, das es noch gar nicht hat. Gleichzeitig empfehlen sie, SRF könne sich auch darüber finanzieren, dass es a) Bezahlsender für Nachrichtensendungen werde oder b) große Sportereignisse in einen Bezahlsender auslagere und darüber dann andere TV-Inhalte finanziere.
Nur hat sich bisher weltweit kein einziger Nachrichtenkanal als Bezahlsender finanzieren lassen – und große Sportereignisse könnte SRF nicht gegen Bezahlung senden, weil ihm das gesetzlich verboten ist. Es muss solche Veranstaltungen für alle ohne Bezahlung zugänglich ausstrahlen. Auch die Unterstützung bestimmter staatspolitisch wichtiger Sendungen durch den Bund haben Befürworter vorgeschlagen – obwohl die Initiative das verbietet. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Hort eher rechtsliberaler Gedanken, titelte zu den Vorstellungen der Initianten: „Nur Manna ist gratis“ – und Radio und TV sind kein Manna.
Von den Privatsendern, die heute durch Gebührengelder unterstützt werden, müsste die Mehrheit ohne diese Finanzspritze ihren Betrieb einstellen oder zumindest stark beschränken. Den regionalen TV-Sendern würde das Gleiche drohen, wie sie dem Schweizer Medienmagazin „Edito“ mitteilten. Der Geschäftsführer des St. Galler TV-Senders TVO erklärte, Regionalfernsehen mit Schwerpunkt regionale Information lasse sich nicht über lokale Werbeeinnahmen finanzieren.
Pro und Contra
Es ist beileibe nicht so, dass es unter den Gegnern der Initiative keine Kritik am SRF-Programmangebot bzw. dessen Ausgestaltung gäbe. Nur vertreten sie die Ansicht, dass die Diskussion darüber nicht dadurch geführt werden könne, dass man dem Sender die Lebensgrundlage entziehe. Sie kritisieren auch, dass ohne Gebührengelder die TV-Versorgung vor allem in den nicht-deutschsprachigen Regionen der Schweiz über inländische Kanäle nicht mehr stattfände. Weder in der französisch- noch der italienischsprachigen Schweiz gäbe es auch nur annähernd genügend Finanzen, um Sender betreiben zu können. Von den Rätoromanen ganz zu schweigen, die heute mit einem täglichen Sendefenster bedient werden.
Das organisierte Lager der Initiativ-Befürworter ist derzeit überschaubar: die SVP Schweiz (und die meisten ihrer Kantonalparteien) und der Gewerbeverband. Letzteres versteht man, wenn man weiß, dass die SVP bis Anfang der 1970er Jahre „Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB)“ hieß. Im Gewerbeverband sind kleine bis mittlere Betriebe (KMU – maximal ca. 90 Mitarbeiter). Sie wehren sich gegen die Bezahlpflicht für Betriebe, obwohl der größte Teil der KMU-Betriebe gar nicht zahlpflichtig ist.
Im gegnerischen Lager finden sich alle Parteien außer der SVP, dem Industrieverband economiesuisse und alle Zeitungsverlage und TV-/Radio-Betreiber. Für sie geht es bei der Abstimmung um die Existenz des SRF und der anderen elektronischen Schweizer Medien. Im Thurgau – Grenzkanton zu Konstanz – sind auch zwei SVP-Exponenten dabei: Ständerat Roland Eberle und Nationalrat Markus Hausammann. Das könnte im Thurgau das Abstimmungsergebnis durchaus beeinflussen – weshalb beide auch schon aus den eigenen Reihen angegriffen wurden.
Bekiffte Hegelianer?
Die Abstimmungskampagne der Initiative-Befürworter wiederum hat es dem Kolumnisten des Schweizer Online-Magazins „Republik“, Daniel Binswanger, angetan: Der Slogan „Ja SRG: No-Billag Ja“, sei „nur schon durch seine Ja-Nein-Ja-Verschachtelung ein doppelt geknotetes Paradox, das einen unsicher lässt, ob die Kampagne von Kommunikationsprofis oder von bekifften Hegelianern konzipiert worden ist. Ja-Nein-Ja? Alles klar: Das kann nur bedeuten, dass die SRG bejaht werden muss. Oder dass man sie verneinen und zerstören will. Oder dass beides dasselbe ist?“
Derzeit liegen die Initiativ-Gegner im Abstimmungskampf vorn. Ob das so bleibt, ist unsicher. Die Aussicht auf „Manna“ hat schon manchen Unsinniges tun lassen.
Lieselotte Schiesser
Seiten: 1 2