Expo im Thurgau: Auf der Suche nach sich selbst
Die Schweiz versucht immer mal wieder, die Frage zu beantworten „Wer bin ich? Und wenn ja, wieviele?“ Während Bestsellerautor Richard David Precht die Frage philosophisch angeht, versucht es die Schweiz mit „Landesausstellungen“, die seit 1964 „Expo“ heißen. Die nächste soll 2027 in den Kantonen St. Gallen, Thurgau und Appenzell Ausserrhoden stattfinden. Am kommenden Wochenende entscheidet sich, ob das Projekt weiter verfolgt wird oder nicht.
Solche Landesausstellungen sind aufwändig und teuer. Für diejenige von 2027 wird mit Gesamtkosten von rund zwei Milliarden Franken gerechnet. Maximal die Hälfte davon würde der Bund übernehmen, den Rest müssten die drei Kantone berappen – bzw. das, was übrig bleibt, sollten sich noch Sponsoren finden. Keine Kantonsregierung kann Projekte dieser Größenordnung ohne Volksabstimmung beschließen.
Lehnt einer ab, „ist der Käse gegessen“
Und damit man nicht jahrelang plant und nachher das Volk „Nein“ sagt, lassen die Kantone St. Gallen (SG) und Thurgau (TG) die Stimmberechtigten bereits über die Kredite für die Erarbeitung eines Expo-Projektes entscheiden: über fünf Mio. Franken in SG und über drei Mio. im TG. Appenzell Ausserrhoden (AR) hat seine 0,8 Millionen Franken Projektierungskredit parlamentarisch beschlossen.
Lehnt einer der beiden abstimmenden Kantone den Projektierungskredit ab, ist das Projekt „Expo2027“ gestorben. Deshalb legen sich derzeit sowohl Befürworter als auch Gegner mächtig ins Zeug. Während die Einen vor allem die Chance der Ostschweiz beschwören, sich der übrigen Schweiz zu präsentieren, verweisen die anderen auf die hohen Kosten, die angesichts von kantonalen Sparrunden absolut unangebracht seien. Zudem brächten solche Veranstaltungen jede Menge Verkehr und Umweltbelastungen mit sich.
Auf der Suche nach dem Verbindenden
Die ganze Diskussion ist auch emotional aufgeladen, weil Landesausstellungen in der Schweiz vor allem der Darstellung des Landes nach innen dienen: Wer sind wir und was macht unser Land aus? Angesichts von vier Landessprachen und drei größeren Sprachregionen, die sich kulturell und politisch oft deutlich unterscheiden, ist das keine unnötige Frage. Weshalb die Expos eben auch den Zusammenhalt stärken sollen.
Beispielhaft dafür ist die noch heute legendäre „Landi“ in Zürich, die 1939 – unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – vor allem der „geistigen Landesverteidigung“ dienen sollte, gleichsam als Gegenentwurf zu den faschistischen und nationalsozialistischen Nachbarländern. Gleichzeitig wurden mit dieser Einschwörung auf „wir sind anders, wir lassen uns nicht vereinnahmen“ (wie Österreich z.B.) auch die heimischen Nazi-Freunde – die „Fröntler“ – ins Abseits gestellt.
Das Trauma Expo02
Die andere, tief im kollektiven Gedächtnis verankerte Expo ist neueren Datums: die Expo02 in Biel/Bienne, Neuenburg, Yverdon und Murten – sozusagen auf der Sprachgrenze zwischen deutscher und französischer Schweiz. Positiv im Gedächtnis sind eine künstlich erzeugte, begehbare Wolke im Neuenburgersee und ein rostiger, ebenfalls begehbarer Metallwürfel im Murtensee geblieben.
Negativ im Gedächtnis ist, dass die Expo wegen chaotischer Planung um ein Jahr verschoben werden musste – sie hätte eigentlich schon 2001 stattfinden sollen. Und dass sie statt der budgetierten 1,35 Milliarden Franken schließlich 1,45 Milliarden kostete. Für an Kostenüberschreitungen wie beim Berliner Flughafen, der Elbphilharmonie oder Stuttgart21 gewöhnte Deutsche, mögen das Peanuts sein. Für Schweizer, zu deren Selbstbild unbedingt Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und das Einhalten von Finanzvorgaben gehört, war die Kostenüberschreitung eine Zumutung.
Gleichzeitig war die Expo02 ein Publikumsrenner – wie die Landi 1939: jeweils über 10 Millionen Eintrittskarten wurden verkauft. 2002 gelang es außerdem, 65 Prozent der BesucherInnen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Expo zu bringen. Trotzdem wollte anschließend erst einmal niemand eine neue Expo in Angriff nehmen, denn bereits der Plan für eine Expo 1991 war gescheitert. Dann aber kamen die Regierungen von SG, AR und dem TG auf die Idee der Ostschweizer Expo 2027.
Viel Geld, viele Besucher
Der Bund zeigte sich nach reiflicher Überlegung bereit, eine Expo in der Ostschweiz mit zu finanzieren, die Kantone selbst gaben eine erste Studie in Auftrag, um ihren BürgerInnen zumindest eine Idee präsentieren zu können. Der Titel „Expedition2027: drei Landschaften, zwei Welten, ein Abenteuer“, verdeutlicht den Willen, die Berg-, See- und Stadtlandschaft in die Expo einzubeziehen. Allerdings macht er auch klar, dass das Zentrum wohl im Raum Säntis-St.Gallen-Romanshorn liegen würde. Womit jeweils die größeren Teile der Kantone SG und TG außen vor blieben.
Wie schon erwähnt, wird mit Gesamtkosten von zwei Milliarden Franken gerechnet, von denen die Kantone die Hälfte – mit oder ohne Sponsoren – finanzieren müssten. Je 45 Prozent gingen zu Lasten der beiden größeren Kantone TG und SG, 10 Prozent würden an AR hängen bleiben. Das wären also brutto je 450 Millionen, bzw. 100 Millionen Franken. Derzeit rechnen die Kantone damit, dass abzüglich von Eintrittsgeldern, Sponsorenbeiträgen etc. etwa die Hälfte aus Staatsgeldern bezahlt werden müsste.
Das erscheint den Expo-Gegnern deutlich zu viel in Zeiten, in denen die Kantone Sparprogramme durchziehen, zu denen beispielsweise auch die Schließung des Angebots eines 10. Schuljahres in Kreuzlingen gehört. Umweltschützern wiederum graust es vor der Vorstellung, zehn Millionen Besucher durch die Region zu schleusen. Am Wochenende entscheidet sich nun, ob überhaupt weiter geplant wird, oder ob die Schweiz ihre Gemeinsamkeiten vorläufig ohne Expo suchen muss.
Lieselotte Schiesser
@ L.Schiesser: In der Schweiz ist man/frau bekanntlich sehr rasch „links“! Ausgerechnet die „Landi“ von 1936 in Zürich ist dazu beispielhaft: Der Maler Hans Erni, den ich erfreulicherweise einmal in seinem Haus überm Vierwaldstättersee privat kennen lernen durfte, mir sogar eine kleine Zeichnung vermachte! – er starb 2015 im Alter von 106 Jahren! – , dieser Hans Erni also durfte für die Landesausstellung 1936 ein grosses Wandbild anfertigen. Während dieser Zeit war er mit dem marxistischen Kunstwissenschaftler Konrad Farner befreundet. Mit ihm zusammen konzipierte er quasi „die Schweiz von heute und morgen“. Das Werk atmete gleichsam durch nationalistischen Geist und linkssozialistische Positionen – ein nicht seltenes Konglomerat, wie man weiss. Hans Erni hatte sich später „als ziemlicher Kommunist“ erklärt. Einer darauf folgenden gesellschaftliche Missachtung im Land – mit allen Konsequenzen als freischaffender Künstler – konnte er nicht ausweichen . Dazu nützten ihm noch so viele Friedenstauben, die er quasi als sein Markenzeichen immer wieder zeichnete und malte – ähnlich Picasso’s Gefieder. Nach der Stalinzeit liess dann Hans Erni’s „Kommunismus“ deutlich nach. Das „Soziale und Friedliebende“ jedoch blieb ihm künstlerisch dargestellt zeitlebens als Motiv. Die Anerkennung führte glücklicherweise später in viele nationale und internationale Kreise. Er wurde mit Aufträgen überhäuft. Das ist das gute Ende der Geschichte.
Auch wenn’s hier vor allem um den Bergier-Bericht geht (der mit der Expo nichts zu tun hat), trotzdem ein Hinweis: Im Bergier-Bericht (der 25 Bände umfasst) geht es keineswegs „nur“ um Finanzpolitik und nachrichtenlose Vermögen. Es geht auch um Flüchtlings- und Aussenwirtschaftspolitik, Band 8), um Zwangsarbeit (6), Flüchtlinge (17), die Auswirkungen der Beziehungen Schweiz – Nationalsozialismus auf das CH-Recht (18+19) und die CH-Politik gegenüber Roma, Sinti und Jenischen zu Zeiten des Nationalsozialismus (23). In der öffentlichen Diskussion wurde anfänglich vor allem um die Erstattung der nachrichtenlosen Vermögen gestritten. Je mehr aber vom Bergier-Bericht veröffentlicht wurde, desto mehr verlagerte sich die Diskussion zum Umgang mit Flüchtlingen – was auch daran lag, dass die damit verbundenen Forschungen von Historikern geleitet wurdne, die in der Schweiz als „links“ gelten.
Bergier hat dank dem damaligen rührigen VHS- Leiter Lothar Stetz ca 2003 oder 2004 in Konstanz gesprochen : Bei seinem Bericht ging es um Finanzpolitik, genauer um die Herkunft der nachrichtenlosen Millionen vor allem aus jüdischem Besitz, die die Banken behalten wollten und um die weiteren schweizer Finanzgeschäfte im 2. Weltkrieg.
Die Sache kam ans Licht weil ein kleiner Hilfs- Bankangestellter die Akten die er schreddern sollte, an die Öffentlichkeit brachte und damit den Skandal bekanntmachte.
Warum Bergier (+ 2009) im hohem Alter noch diese Aufgabe übernahm, hat er damals beim Vortrag lapidar bergündet:
Wenn einem die Regierung ruft dann folgt man eben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bergier-Bericht
@Bruno Neidhart: Alain Berset ist Bundesrat und hat – wenigstens meines Wissens – keinen Bericht zur Flüchtlingspolitik im 2. WK verfasst. Ich nehme an, Sie meinen den Bergier-Bericht (publiziert 2002). Seinen Namen verdankt der Bericht dem Vositzenden der Expertenkommission, Jean-Francois Bergier, einem Wirtschaftshistoriker.
Nationale Selbstbeweihräucherungen sind stets ein Spiel zwischen Dichtung und Wahrheit. Gut gemeint, aber doch daneben. Dies zeigt sich jeweils später. So ist auch die „Landi“ von 1939 zum Trugbild geworden. Das als „geistige Landesverteidigung“ Gedachte schloss damals die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nazideutschland keineswegs aus, sondern wurde sogar intensiv mit Kriegsmateriallieferungen angereichert. Und der bekannte „Berset-Bericht“ gibt auch über das „Geistig-Menschliche“ Auskunft, das sich in Bern entwickelte: Die unhaltbaren Zustände der Flüchtlings-Abweisungen an der Grenze. Solche grossen Ausstellungsversuche gehen in ihrer Zielsetzung regelmässig schief. Weltweit übrigens.