Gefragt ist eine friedliche, fortschrittliche Asylpolitik

In der friedlichen, reichen Schweiz scheint der Notstand zu herrschen: Per Dringlichkeitsrecht wurde das Asylgesetz erlassen, über das am 9. Juni abgestimmt wird. Diese Panikmache allein ist Grund genug, ein klares Nein in die Urne zu legen.

Denn es ist ja nicht so, dass die Zahl der Flüchtlinge stark gestiegen wäre: In den letzten 25 Jahren fragten durchschnittlich 20 000 Menschen nach Asyl, mit Spitzenwerten während dem Jugoslawien- und dem Kosovokrieg mit bis zu 40 000 Gesuchen. Im letzten Jahr lag die Zahl mit 28 000 Asylsuchenden ebenfalls höher, doch auch dies sollte die SchweizerInnen kaum stören, schliesslich haben sie als geübte DemokratInnen applaudiert zu den Volksaufständen in Tunesien oder Ägypten. In Eritrea herrscht ein Militärregime, in Syrien tobt ein Bürgerkrieg.

Nein, wenn in der Asylpolitik ein Notstand herrscht, dann ist es ein hausgemachter: Es gibt zuwenig Unterkünfte. Verantwortlich dafür ist Christoph Blocher, der als Justizminister die Zahl der Plätze auf 10 000 kürzte, entgegen der langjährigen Erfahrung. Die Asylverfahren dauern mit durchschnittlich drei Jahren zu lange, gerade auch für die Betroffenen. Der Grund für die Warterei liegt vor allem darin, dass Blocher wie seine Nachfolgerin Eveline Widmer-Schlumpf das Bundesamt für Migration von einer Abbruchreform in die nächste stürzten.

Den Geist der herrschenden Asylpolitik versteht man am einfachsten so: Zuerst werden die Gesuche mit den geringsten Erfolgsaussichten behandelt, am Schluss jene mit den besten Chancen, womit die Perspektivlosigkeit alle erfasst. Als ob das Asylrecht dazu da wäre, Menschen abzuschrecken statt ihnen Schutz zu gewähren.

Zehn Asylrevisionen jagten sich in den letzten 25 Jahren. In keinem anderen Bereich der Politik ist der regulatorische Eifer größer. Man stelle sich das einmal bei den Banken vor! Die Richtung war, abgesehen von einzelnen Fortschritten, immer die gleiche: Die Asylsuchenden werden illegalisiert und isoliert. Durch Arbeitsverbote und Nothilfe, durch die Unterbringung in Bunkern auf Passhöhen und den totalen Zugriff auf ihre Körper bei einer Zwangsabschiebung. Dass sich in den letzten Monaten im Kanton Zürich vier junge Erwachsene aus Angst vor einer Abschiebung das Leben genommen haben, ist Beweis und Mahnmal genug für die tödlichen Folgen dieser Politik.

Die zehnte Revision, die nun zur Abstimmung gelangt, ist ein Sammelsurium aus der Zeit von Blocher, Widmer-Schlumpf und neuerdings Simonetta Sommaruga. Die Vorlage schreibt die Politik weitgehend fort: Die Abschaffung des Botschaftsasyls beispielsweise schränkt die Rechte von Asylsuchenden weiter ein. Gerade Frauen und Kinder haben es oft benutzt, um sich nicht auf die gefährliche Reise über das Mittelmeer begeben zu müssen.

Bundesrätin Sommaruga ist anzurechnen, dass sie sich um eine genaue Asylpolitik bemüht und diese auch in eine internationale Perspektive stellt. Doch der Zauberspruch von der Beschleunigung der Verfahren wird dabei nicht genügen. Diese darf keine rechtlichen Rückschritte mit sich bringen. Genau das aber ist der Fall bei der Testphase für Bundeszentren, die mit dem neuen Gesetz eingeführt werden soll: Die Berufungsfrist wird von 30 auf 10 Tage verkürzt. Überhaupt, die Bundeszentren, die mit einer elften Revision bereits in Aussicht stehen: Entfernen die Containerdörfer mit fixen Ausgangszeiten wie das geplante Testzentrum in Zürich-West die BewohnerInnen nicht weiter aus der Gesellschaft? Weshalb sind zusätzlich 700 Gefängnisplätze für Beuge- und Abschiebungshaft vorgesehen?

Statt einer Beschleunigung der Asylpolitik braucht es eine Zivilisierung: Beim Wohnen, beim Essen, bei der Gesundheit, der Arbeit sollen die Asylsuchenden statt prekarisiert endlich anständig behandelt werden. Statt weitere Sicherheitskräfte von ORS und Securitas braucht es den Einbezug der Zivilgesellschaft. Mit Rechtshilfe, mit gegenseitiger Bildung und Begegnungen in Solidaritätsnetzen. Eine fortschrittliche Asylpolitik ist keine nette Geste, sondern sie entsteht aus dem gemeinsamen Engagement von SchweizerInnen, MigrantInnen und Flüchtlingen: Denn die Migration findet statt.

Autor: Kaspar Surber/woz.ch