Grü-ezi heißt es und nicht Grüzzi

20121004-232019.jpgDamit gehen sie schon los, die Missverständnisse zwischen Schweizern und Deutschen, die dortzulande eigentlich nur die „Sauschwooben“ sind. Aber was wissen wir wirklich voneinander? Und wie unterscheiden sich Bünzli in Zürich von Spießern in Konstanz? Nicht nur das Theater Konstanz geht in seiner gerade startenden Spielzeit dieser Frage nach – auch das ewig aktuelle Buch von Susann Sitzler „Grüezi und Willkommen“ erforscht die Parallelwelten beiderseits des Grenzbaums am Kreuzlinger Zoll. Und kommt zu überraschenden Erkenntnissen. Denn es geht nicht nur um die Sprache – es geht um Befindlichkeiten, die unterschiedlicher nicht sein können

Bereits in sechster Auflage ist das Buch im April 2012 im Berliner Ch. Links Verlag erschienen. Die in Berlin lebende Baslerin Susann Sitzler beschreibt darin geradezu liebevoll die Schrulligkeit ihrer Landsleute und Eingebildetheit ihrer derzeitigen Gastgeber. Und kommt unweigerlich auf die Fallstricke zu sprechen, die der Annäherung der Nachbarn den Weg versperren. Unversehens – aber verlagstechnisch sicher beabsichtigt – ist dabei ein Ratgeber für deutsche Einwanderer der Schweiz entstanden. Immerhin leben und arbeiten derzeit 279 000 Deutsche in der Schweiz, Tendenz fast täglich steigend. Damit sind die Deutschen nach den Italienern die zweitgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe zwischen Kreuzlingen und Chiasso.

Und da haben es die Deutschen schwer: „Grüezi. Händ Si öppis zum Verzolle“ ist vielleicht die erste, aber längst nicht einzige Sprachbarriere. Oder wussten Sie, dass in Schweizer „Buden“ (Firmen) das Duzen quer durch alle Hierarchien gang und gäbe ist, dass, wer in der Deutschschweiz am Arbeitsplatz Hochdeutsch spricht, als arrogant gilt oder dass der Schweizer auch im Büro ständig ein „Exgüsé“ auf den Lippen hat?

Solche Liebenswürdigkeiten am Arbeitsplatz, im Lokal, aber sogar beim Einkaufen bringt Susann Sitzler ihren Lesern seitenlang bei. Das tut sie beiderseits nicht besserwisserisch, sondern durchaus verständnisvoll, mit einem feinen Gespür für die gewachsenen Unterschiede beider Völker. Und als Zusatznutzen springt dabei – nicht nur für den Neubürger – allerlei Wissenswertes über die „AHV“ (Alters- und Hinterlassenenversicherung) und über die Steuergesetzgebung (aber auch über Steuerhinterziehung und -betrug) heraus, über Verbraucherpreise, Einkommenssituation, Gesundheitssystem und Familienpolitik oder auch nur über Schweizer Flirtregeln zum Beispiel. Allesamt Tipps, um Fettnäpfchen zu vermeiden.

Allerdings hätte – einziger Kritikpunkt – das Buch ein sorgsameres Lektorat verdient: Die Wiedergabe der wenigen Fotos könnte ebenso verbessert werden wie das manchmal ermüdende Schriftbild, das häufig seitenlang absatzlos daher kommt. Das Buch – 2012 in 6. Auflage, inhaltlich stets aktualisiert, erschienen – bräuchte eine gründliche Runderneuerung. Das gilt, pardon, auch für einige politische Aussagen der Autorin. Was da über die Schweizer Ausländerpolitik sowohl während der Kriegszeiten als auch in jüngster Vergangenheit erzählt wird, mutet manches Mal reichlich naiv an.

Dennoch bleibt „Grüezi und Willkommen“ ein charmanter, häufig auch lehrreicher Wegweiser durch das Gestrüpp schweizerischer und deutscher Befindlichkeiten. Denn die sind nicht dann schon ausgeräumt, wenn der Neubürger „Chuchichäschtli“ aussprechen kann: Dieses Wort, es bedeutet Küchenschränkchen, gilt als der schwierigste Zungenbrecher des Schweizerdeutschen. Versuchen Sie es gar nicht erst – das freut dann auch den Muttersprachler.

Autor: hpk

Susann Sitzler: „Grüezi und Willkommen“, 6. Auflage April 2012, Ch. Links Verlag Berlin, € 16,90