Hexenjagd auf Lehrer. Oder: Die Freiheit, nicht zu glauben
Seit 1997 verleiht die schweizerische Zeitschrift „Beobachter“ den Prix Courage für außerordentliche, mutige Taten. Unter den Nominierten dieses Jahr auch Valentin Abgottspon. Der Walliser Lehrer war letztes Jahr zu nationaler Bekanntheit gelangt: Seine Weigerung, unter dem Kruzifix zu unterrichten, brachte ihm die fristlose Kündigung ein. Der Fall zeigt exemplarisch, dass Diskriminierung viele Gesichter hat. Auch in der Schweiz
Valentin Abgottspon bezeichnet sich selbst als „Mann ohne religiösen Glauben“. Dafür hat er Ideale. Ein „Menschenrechtsfanatiker“ sei er, bereit, für Meinungs- und Glaubensfreiheit bis vor dem Bundesgericht zu kämpfen. Dieses hatte bereits 1990 in einem Urteil festgehalten, dass Kruzifixe in staatlichen Schweizer Schulen gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Abgottspon hatte das „Corpus Delicti“ schon seit einiger Zeit in seinem Klassenzimmer abgehängt und im Wandschrank verstaut. Die Schulleitung war informiert und zeigte sich kulant. Man organisierte sich unter Kollegen, enthob ihn von der Teilnahme an den regelmäßig während der normalen Unterrichtszeit stattfindenden Messen. Dem jungen Lehrer wurden im Arbeitszeugnis Fachkompetenz und großes Engagement für seine Schüler attestiert.
Die Stimmung kippte jedoch schlagartig, als er sich auf dem Dienstweg für weitreichende Säkulariserungsschritte im katholisch dominierten Kanton einzusetzen begann. Ein Lokalpolitiker sah die christliche Tradition im Dorf bedroht. Die Ereignisse überstürzten sich, vor den Herbstferien musste Valentin Abgottspon ohne Vorankündigung den Arbeitsplatz räumen. Der Geschasste klagte umgehend beim Staatsrat. Die Exekutive fühlt sich bislang aber nicht bemüßigt, über die Rechtmäßigkeit der Kündigung zu entscheiden.
Gratulation für die Nominierung! Hast Du damit gerechnet?
Nein, die Kandidatur ist eine besondere Ehre für mich, ich freue mich sehr. Ich bin auch nicht unglücklich darüber, dass die Nominierung für die Behörden ärgerlich und peinlich ist.
Bei aller Genugtuung – kann Dich diese Anerkennung für die beruflichen Rückschläge und die harschen Anfeindungen entschädigen?
Genug getan ist freilich noch nicht. Es ist immer noch nicht festgestellt worden, dass die fristlose Kündigung nicht rechtens war. Die Behörden scheinen diesen Entscheid vor sich her zuschieben. Die Anwürfe kann ich ertragen, dass mich Behördenmitglieder verleumdet haben schon weniger. Die Bevölkerung ist durch schlecht informierte Staatsdiener im Ungewissen, was denn tatsächlich vorgefallen ist. Ich würde es als Genugtuung empfinden, wenn ich der letzte Walliser gewesen wäre, der eine solche „Hexenjagd“ durchzustehen hatte und im Wallis demokratische und juristische Grundlagen endlich respektiert würden.
Du hast Dich lange erfolglos um einen neuen Job in deinem Heimatkanton bemüht. In Genf oder Zürich wäre Dir dieser Spießrutenlauf erspart geblieben.
Nun, es ist nicht meine Art, mich ohne Gegenwehr vertreiben zu lassen. Tatsächlich hätte ich in säkularer verfassten Kantonen „Asyl“ erhalten. Ich wollte aber unbedingt das Signal vermeiden, man könne einen Lehrer, der sich für die Freiheit nicht zu glauben und die Neutralität an staatlichen Schulen einsetzt, mir nichts dir nichts abschieben und die Sache sei damit erledigt. Das Wallis ist meine Heimat, es liegt mir daran, dass sich eben auch hier die Dinge zum Besseren ändern.
Du wirst demnächst wieder an einer öffentlichen Schule unterrichten. Wie wirst Du es mit dem religiösen Inventar halten, das Dich an Deinem neuen Arbeitsort erwarten könnte?
Ich habe der betroffenen Behörde und der Schulleitung versprochen, dass meine neue Anstellung kein Ort der Polemik und Glaubenskämpfe sein wird. Meinungsverschiedenheiten werden wir einvernehmlich zu lösen wissen. Im Übrigen ist ein Verfahren anhängig, dessen Ausgang in wichtigen Fragen Klarheit bringen wird.
Dass man Dir diese Chance gibt, gefällt nicht allen. Konservative Kreise wollen das Kreuz im öffentlichen Raum aus Respekt vor dem „Glauben der Väter“ verfassungsmäßig schützen lassen. Sie sehen in der Grundschule keinen Platz für gottlose Lehrer.
Der Glaube eines Lehrers ist für seine Leistung irrelevant, er soll Privatsache bleiben. Wichtig ist, dass ihm die Entwicklung seiner Schülerinnen und Schüler am Herzen liegt und er sie für Wissen und Lernen zu begeistern vermag. Zu den politischen Forderungen: In der Schweiz rollt der Wahlkampf an. Einen Schutz für christliche Symbole im öffentlichen Raum in die Verfassung zu schreiben, halte ich für unsinnig. So etwas passt nicht ins Europa des 21. Jahrhunderts. Die Parteinahme eines Staats für eine Religion ist automatisch eine Diskriminierung aller anderen. Sie schließt Bürger mit einer anderen oder keiner Konfession aus. Diese Fragen sollten aber nicht nur Gerichte beschäftigen, sondern breit diskutiert werden. Progressiven Politikern muss vermittelt werden, dass der Einsatz für Laizität etwas Positives ist, dass es hier ja keinesfalls darum geht, individuelle Religiosität zu bekämpfen.
Nach dem 11. September ist die Religion weltweit auf die politische Agenda zurückgekehrt.
Viele konservative Politiker meinen (oder geben dies vor), dass ein „Aufrüsten“ des Christentums die Antwort auf die Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft sei. Die Haltung von uns Freidenkern, Humanisten, Atheisten, Agnostikern, Säkularen usw. ist hingegen klar: Nur die strikte Neutralität des Staates in religiösen Belangen garantiert ein friedliches, tolerantes Zusammenleben. Wir dürfen nicht müde werden, es immer wieder zu betonen: Werte wie Gleichberechtigung, Meinungs- und Pressefreiheit, die Freiheit, nicht zu glauben, die Freiheit der Wissenschaft etc. mussten allzu oft GEGEN die institutionalisierten Religionen erkämpft werden. Wir müssen auch heute laut widersprechen, wenn sie diese wertvollen Errungenschaften als ‚christlich‘ vereinnahmen wollen.
Du reist nach Oslo, um im Vorfeld der Generalversammlung der IHEU (International Humanist and Ethical Union) über deine Erlebnisse zu berichten. Dein Vortrag ist ein Plädoyer für eine strikte Trennung von Staat und Kirche. „Humanism and peace“ – das Motto des diesjährigen Welt-Humanistenkongresses könnte nicht aktueller sein.
Die Situation ist in verschiedenen Staaten dieser Erde sehr unterschiedlich. Der Einfluss des Religiösen ist nicht überall gleich stark und wirkt nicht überall spaltend oder destruktiv. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass der Humanismus generell zum Gelingen von menschlicher Kultur beiträgt, sei dies in einem bereits stark säkularisierten Gemeinwesen wie Schweden oder in einem Gottesstaat wie dem Iran. Das Unnachgiebige, Unhinterfragbare an der Religion führt oft zu Spannungen und verhindert tragbare Kompromisse, Gerechtigkeit und Frieden. Wer nicht auf ein Jenseits hofft, ist bestrebt, für sich und seine Mitwelt das Beste aus dem Leben im Hier und Jetzt zu machen. Ich bin davon überzeugt, dass die Zukunft unserer Welt säkular sein wird, von einem skeptischen, wissenschaftlichen, humanistischen Weltbild geprägt. Andernfalls wird die Zukunft irgendwann ohne uns Menschen stattfinden.
Autorin: Grazia Annen/hpd