Jetzt haben wir den Salat

Der „Salat“ ist die von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) lancierte „Durchsetzungsinitiative“, über die am 28. Februar in der Schweiz abgestimmt wird. Inhalt ist die Ausschaffung straffällig gewordener Ausländer – wobei die Straftatbestände von Kapitalverbrechen bis hin zu Bagatelldelikten reichen. Das mit dem „Salat“, den die Schweiz nun hat, stammt vom SVP-Präsidenten Toni Brunner.

Als der Nationalrat – der Bundestag der Schweiz – im März 2015 nicht so abstimmte, wie die SVP wollte, erklärte er dem Parlament, dann halte die SVP an der Durchsetzungsinitiative fest: „Dann haben sie den Salat, weil das dann direkt anwendbar ist und in der Verfassung steht.“ Und so ist es jetzt.

Erster Anlauf

Diese „Volksinitiative zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer“ hat eine Vorgeschichte, ohne die es hier leider nicht geht. Im November 2010 sprachen sich 52,9 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten für die SVP-Initiative „für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ aus. Diese verlangte, Ausländerinnen und Ausländer automatisch für 5 bis 20 Jahre des Landes zu verweisen, wenn sie wegen vorsätzlicher Tötungsdelikte, Vergewaltigung oder anderer schwerer Sexualdelikte, Raub, Menschenhandel, Drogenhandel, Einbruch oder Sozialhilfemissbrauchs verurteilt wurden.

Regierung und Parlament taten sich schwer damit, diese Initiative umzusetzen, weil der vorgeschriebene Abschiebungs-Automatismus den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzte, weil er eine Überprüfung des Einzelfalls verhinderte und auch bei schwerwiegendsten Folgen keinen Verzicht auf die Ausweisung zuließ. Das hätte auch die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt, die auch die Schweiz unterschrieben hat.

Zweiter Anlauf und „Nachbesserung“

Noch bevor über die Umsetzung entschieden war – und mehr als drei Jahre, bevor die Umsetzungsfrist ablief – lancierte die SVP 2012 die „Durchsetzungsinitiative“ mit der sie angeblich lediglich dafür sorgen wollte, dass ihre erste Initiative ohne jede Einschränkung Gesetz würde. Tatsächlich aber war ihr wohl in der Zwischenzeit die Idee gekommen, sie könne die Gunst der Stunde nutzen, um den Deliktskatalog auszuweiten: Sie fügte weitere 35 Straftatbestände hinzu – von der einfachen Körperverletzung bis zur falschen Übersetzung. Während die Verbrechen schon bei der ersten Verurteilung zur Ausweisung führen, gelten die „geringeren“ Delikte als Ausweisungsgrund, wenn der Ausländer/die Ausländerin innerhalb von 10 Jahren bereits einmal verurteilt wurde – weswegen auch immer. Einige der aufgelisteten Delikte sind nicht einmal Verbrechen, sondern lediglich Vergehen und können in einem leichten Fall auch mit nur einem einzigen Tagessatz Geldstrafe belegt werden.

Lösung verhindert

Während die SVP für diese Initiative bereits Stimmen sammelte, suchten Parlament und Regierung noch nach einer verfassungs- und völkerrechtsvertraglich konformen Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative. Das hinderte die SVP aber nicht daran, zu behaupten, Regierung und Parlament wollten diese Initiative gar nicht umsetzen und deshalb müsse eben mit der zweiten Initiative politisch Druck aufgebaut werden. In Wirklichkeit liegt die Umsetzung seit März 2015 auf Halde, weil sie wegen der noch nicht entschiedenen Durchsetzungsinitiative nicht in Kraft gesetzt werden kann.

Denn ein halbes Jahr vor Ende der Frist lag eine Umsetzung vor: National- und Ständerat (letztere ist die Schweizer Variante des Bundesrates) stimmten einer Klausel zu, die es den Gerichten erlaubt, „ausnahmsweise“ auf eine Ausweisung zu verzichten, wenn diese für die Betroffenen einen „schweren Härtefall“ bedeutet und zusätzlich dabei keine Verletzung des öffentlichen Interesses vorliegt. Genau das aber wollte die SVP nicht, weshalb ihr Präsident dann eben den „Salat“ anrichtete.

Das Volk als Richter

Den hat die Schweiz nun wirklich, weil die Durchsetzungsinitiative erneut die automatische Ausweisung ohne Einzelfallprüfung und ohne Rücksicht auf die Verhältnismäßigkeit in die Verfassung schreiben will. Damit wird der Gesetzgeber – das Volk, die Legislative – aber gleichzeitig zu demjenigen, der ein Urteil fällt. Er übernimmt also auch die Rolle der Gerichte, der Judikative. Damit wird das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung verletzt. Würde in Deutschland der Bundestag ein Gesetz solchen Inhalts verabschieden, würde es das Verfassungsgericht sofort kassieren. Da die Schweiz kein Verfassungsgericht hat, und das Parlament die Initiative nicht für ungültig erklären mochte, müssen nun die Stimmberechtigten entscheiden. Nicht vorgelegt wird ihnen nur der Satz, mit dem die SVP gleich noch die Gültigkeit des Völkerrechts in der Schweiz auf einige wenige Grundsätze einschränken wollte.

Große Erfolgschance

Bisher sieht es so aus, als ob die SVP mit ihrer erneut ausländerfeindlichen Initiative wieder Erfolg haben könnte. Wie bereits mit der Ausschaffungs- und der Masseneinwanderungs-Initiative. Während alle anderen Parteien vor der Verletzung der Gewaltenteilung und der Verfassung warnen und gar hohe Folgekosten vorhersagen, präsentiert sich die SVP als einzige Wahrerin des echten Volkswillens, die dafür sorge, dass die „classe politique“ und die Gerichte mit ihrer „Kuscheljustiz“ endlich das machen, was „das Volk“ will. Dass eben dieses Volk auch die Verfassung beschlossen hat, die hier verletzt wird, spielt für die SVP keine Rolle. Und das Völkerrecht will sie sowieso nicht akzeptieren. Dagegen hat sie bereits die nächste Initiative eingereicht, die sich „gegen fremde Richter“ wendet.

Instrumentalisierung der „Kölner Ereignisse“

Die „Kölner Ereignisse“ spielen der SVP zusätzlich in die Hände: Ausländer als Täter, Inländerinnen als Opfer. Dagegen hilft – laut SVP und ihren Anhängern – nur konsequente Ausweisung. Dass Straftaten gegen die sexuelle Integrität bereits von der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative erfasst werden, wird verschwiegen – vielen Leserbrief- und Internetschreibern scheint sowieso zu entgehen, dass sie diese Initiative längst angenommen haben. Sie verlangen immer wieder, sie müsse endlich angenommen werden.

Dass die SVP in ihrer Instrumentalisierung der „Kölner Ereignisse“ sich zur Schützerin der Frauen aufwirft, ist bezüglich der Abstimmung gefährlich, prinzipiell aber unfreiwillig komisch, denn die SVP schert sich sonst kaum um Frauenrechte. Auch dass die Durchsetzungsinitiative bei den in Köln Beschuldigten (und bisher weder Verurteilten, noch großenteils überhaupt Ermittelten) noch nicht einmal Wirkung entfalten könnte, wenn Köln in der Schweiz läge, wird natürlich nicht an die große Glocke gehängt. Schließlich könnten diese Beschuldigten auch nicht aus der Schweiz ausgeschafft werden, weil die entsprechenden Länder ihre Bürger nicht zurück nehmen.

Lieselotte Schiesser