Kampf der Apfelbäume

Wer momentan in der Schweiz unterwegs ist und die Plakate am Straßenrand betrachtet, könnte glauben, es werde nächstens über die Zukunft des Obstbaus abgestimmt: Apfelbäume, wohin das Auge blickt. Der eine Baum wächst mit starken Wurzeln aus einer roten Schweiz, der andere wird gerade fies gefällt. Bei beiden geht es mitnichten um Obstbau, sondern um die Frage, welche Ausländerpolitik die Schweiz zukünftig betreiben soll. Darüber abgestimmt wird am 9. Februar

Unter dem Titel „Volksinitiative gegen Masseneinwanderung“ hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) zum wiederholten Mal auf ihre bekannteste Karte gesetzt: die Mobilisierung gegen Ausländer und die EU. Betrachtet man die Welt aus SVP-Augen, so ist die Sache klar – alle Unbill kommt von Ausländern. Das beginnt bei den steigenden Mieten und endet beim Verkehrsstau. In dieser Logik ist nicht der Vermieter, der hohe Mieten verlangt, an diesen schuld, sondern der Ausländer, der die Miete bezahlen muss. Denn gäbe es nicht so viele Ausländer in der Schweiz, suchten nicht so viele Menschen eine Wohnung und die Vermieter könnten keine so hohen Preise verlangen. Wie löst man also dieses Problem? Richtig – man sorgt dafür, dass die Zahl der Ausländer sinkt.

Die Ausländer in der Schweiz sind die Deutschen

Zudem fürchten viele Schweizerinnen und Schweizer, Ausländer könnten nur in die Schweiz ziehen, um das Sozialsystem auszunutzen. Wie man sieht, ist diese Argumentation die selbe wie in Deutschland, bei der es um Rumänen und Bulgaren geht, die angeblich nur kommen, um das deutsche Sozialsystem auszunutzen. Gut, in der Schweiz geht es (noch) weniger um Bulgaren und Rumänen, sondern eher um Deutsche, Griechen, Spanier und Portugiesen. Der Hintergrund ist aber derselbe: die Personenfreizügigkeit, die innerhalb der EU gilt. Sie gilt – wegen der bilateralen Verträge – auch in der Schweiz.

Gegen die Personenfreizügigkeit (PFZ) wiederum war die SVP von Beginn an, unterlag aber bisher in entsprechenden Abstimmungen mehrmals. In der Volksinitiative „gegen Masseneinwanderung“ hat sie nun ihre EU-Gegnerschaft mit ihrer Ausländerfeindlichkeit unter einen Hut gebracht. Sie verlangt, dass die Schweiz künftig die PFZ aufhebt und die Zahl der einwandernden Ausländer wieder über Kontingente steuert, wie sie das vor 2002 tat. Damals stimmte das Volk der PFZ zu. Mit in die Kontingente eingeschlossen werden sollen AsylbewerberInnen und GrenzgängerInnen.

Inzwischen sind tatsächlich viele Ausländerinnen und Ausländer neu in die Schweiz gekommen. 2013 wohnten etwa 70 000 Ausländer mehr im Land als 2012. Die meisten kamen im Rahmen der PFZ und mit dem Segen der heimischen Wirtschaft. Diese wiederum bekämpft die Initiative vehement. Sie fürchtet einen massiven Fachkräftemangel, falls wieder kontingentiert würde.

Es geht auch um das Verhältnis EU-Schweiz

Zwar nennt die Initiative keine festen Kontingentszahlen (die sollen jährlich neu festgesetzt werden), aber es ist klar, dass die SVP Kontingente nicht goutieren würde, welche die Zuwanderung auf gleicher Höhe halten würde, wie sie heute ist. Wobei die Zahlen derzeit bereits wieder tiefer liegen als 2008 – damals war die Ausländerzahl in einem Jahr um über 103 000 gestiegen. Aber abgesehen von der Bürokratie, die für die jährliche Bestimmung und Überwachung der Kontingente nötig wäre, fürchtet die Wirtschaft auch, dass die EU bei einer Kündigung der PFZ alle anderen bilateralen Verträge ebenfalls kündigen könnte.

Denn genau das sieht eine Klausel zu den Verträgen vor: Wird ein Vertrag gekündigt, stehen auch alle anderen zur Disposition. Der Schweizer Wirtschaft (und dem Gesundheitssystem) würden womöglich nicht nur Fachkräfte fehlen – der Wirtschaft könnte es auch blühen, sich in Europa mit den gleichen Handelshemmnissen auseinandersetzen zu müssen wie beispielsweise die Ukraine oder Ghana. Die Initiativbefürworter dagegen glauben fest daran, dass die EU die Schweiz so sehr braucht, dass sie die bereitwillig nachverhandeln wird. Dies, obwohl die EU in letzter Zeit immer wieder betont hat, wie wichtig ihr die PFZ innerhalb Europas ist.

Was das nun alles mit Apfelbäumen zu tun hat? Bei den Initiativgegnern ist das noch relativ klar: Sie befürchten, mit einer Annahme der Initiative würde die Schweizer Wirtschaft – symbolisiert durch den  Apfelbaum – zu Fall gebracht. Für die SVP wiederum erwürgen wohl die starken Baumwurzeln die rote (ausgerechnet!) Schweiz. Weshalb der Slogan daneben auch heißt: Masslosigkeit schadet! Weil das aber wohl doch nicht klar genug ist, vermehren sich jetzt die Plakate, auf denen riesige schwarze Schuhe über roten Boden trampeln: „Masseneinwanderung stoppen“ heißt es jetzt.

Übrigens: Sogar wenn diese Initiative angelehnt werden sollte, ist das Thema nicht erledigt.  Voraussichtlich 2015 wird über ein weiteres Begehren mit ähnlichem Inhalt abgestimmt. Lanciert hat es die Bewegung ecopop – Umwelt und Bevölkerung. Sie will den jährlichen Bevölkerungszuwachs in der Schweiz auf 0,2 Prozent der Einwohnerzahl begrenzen.

Soll die Masseneinwanderungs-Initiative erfolgreich sein, so muss am 9. Februar nicht nur die Mehrheit der Abstimmenden dem Anliegen zustimmen, sondern auch die Mehrheit der Kantone (Ständemehr). Diese Regelung soll verhindern, dass bevölkerungsreiche Kantone die Kleinkantone einfach überstimmen können. Das wiederum führt dazu, dass andererseits kleineKantone wie Appenzell (beide – Innerrhoden und Ausserrhoden – zusammen) Zürich aushebeln können.

Volksinitiative zwei und die Abtreibung

Das gilt auch für die zweite Volksinitiative, über die am 9. Februar entschieden wird und mit der vornehmlich evangelikale und rechtskatholische Kreise erreichen wollen, dass die Krankenkassen künftig nicht mehr für Abtreibungen zahlen. „Abtreibung ist Privatsache“ postulieren sie und würden damit vor allem finanziell schlecht gestellten Frauen einen Schwangerschaftsabbruch erschweren oder verunmöglichen. Gutverdienende oder vermögende Frauen könnten sich ihn weiterhin leisten. Nachdem die Schweizer Stimmberechtigten vor Jahren mit einer Riesenmehrheit der Fristenlösung zustimmten, ist dies ein neuer Versuch, das Rad wenigstens ein kleines bisschen zurück zu drehen.

Abstimmung drei und die Berufspendler

Keine Ständemehrheit braucht die dritte Vorlage, über die am 9. Februar in der Schweiz befunden wird und die für deutsche Unterstützer eines finanziell gut ausgestatteten öffentlichen Verkehrs (Personen- und  Güterverkehr) interessant sein dürfte. Beim Beschluss über die Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur (FABI) geht es um mehr Geld für Unterhalt und Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Zu den bisher vier Milliarden Franken jährlich aus allgemeinen Steuermitteln sowie der Schwerverkehrsabgabe, der Mineralöl- und der Mehrwertsteuer soll eine weitere Milliarde jährlich hinzu kommen. Diese soll von 2018 bis 2030 durch ein zusätzliches Mehrwertsteuer-Promille sowie eine klare Kürzung der Steuerabzüge für Berufspendler finanziert werden. Künftig sollen nur noch höchstens 3000 Franken für Fahrkosten vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden können. Zwar bezieht sich die Kürzung vorerst nur auf die Bundessteuern, aber diverse Kantone –  darunter auch der benachbarte Thurgau – haben bereits angekündigt, dass sie diese Regelung dann auch kantonal einführen wollen. Dieses Vorhaben wiederum hat in den letzten Wochen dazu geführt, dass der sonst nicht bestrittenen FABI-Vorlage mittlerweile nicht nur Wohlwollen entgegengebracht wird.

Autorin: Lieselotte Schiesser