Kommunales Ausländerstimmrecht: Neuer Anlauf im Thurgau

Thurgauer Gemeinden sollen die Möglichkeit bekommen, AusländerInnen auf kommunaler Ebene abstimmen und auch wählen zu lassen. So das Ziel eines Kreuzlinger Komitees, das Mitte März damit beginnen will, Unterschriften für eine entsprechende kantonale Initiative zu sammeln. Innerhalb eines halben Jahres müssen dann mindestens 4000 SchweizerInnen das Begehren unterstützen, wenn darüber abgestimmt werden soll.

Die „Mitbestimmungs-Initiative“ will das Ausländerstimmrecht auf kommunaler Ebene nicht direkt einführen. Sie will lediglich den Gemeinden die Möglichkeit einräumen, ein solches Stimmrecht einführen zu können. Dazu soll die Kantonsverfassung angepasst werden. Das selbe Anliegen stand bereits Ende der 1980er Jahre im damaligen Entwurf für eine neue Kantonsverfassung. Der Grosse Rat (Kantonsparlament) kippte das Anliegen. Deshalb gibt es nur die Möglichkeit, AusländerInnen beratend am politischen Leben der Gemeinden teilnehmen zu lassen.

2009 reichten dann zwei Kreuzlinger Abgeordnete – Barbara Kern (SP) und Peter Markstaller (FDP) – eine Motion ein, die eine entsprechende Anpassung der Kantonsverfassung wollte. Unterschrieben hatten die Motion ParlamentarierInnen aus SP, FDP und den Grünen. In der Diskussion 2010 stellten sich alle Kreuzlinger Abgeordneten – auch der Grossrat der SVP und jene der CVP – hinter das Anliegen. Insgesamt hatten sie aber gegen die geballte Macht von SVP, der Mehrheit von FDP, CVP, EDU, EVP und Grünliberalen keine Chance. Sie unterlagen mit 79 zu 32 Stimmen.

Über die Hälfte der Steuern bleibt in der Stadt

Dass auch 2020 die Initiative wieder von Kreuzlingen ausgeht, ist kein Zufall: In Kreuzlingen leben mehr Aus- als Inländer – 55 Prozent der BewohnerInnen haben keinen Schweizer Pass. (Der kantonale Durchschnitt liegt bei knapp 25 Prozent. Den niedrigsten Wert weist mit 7,3 Prozent die Gemeinde Neunforn auf). Sie zahlen zwar Steuern – von denen über die Hälfte in der Stadt selbst bleibt – haben aber nichts dazu zu sagen, wie dieses Geld eingesetzt wird. Weder in der Schule, noch in der Stadt selbst. Hingegen kennen die Kirchgemeinden das Ausländerstimmrecht.

Über die Verwendung der Kirchensteuern können also alle BewohnerInnen befinden, nicht aber darüber, wer Stadtpräsident (Oberbürgermeister) wird. Das kann man in Kreuzlingen, trotz über 23.000 EinwohnerInnen – mit nicht einmal 2000 Stimmen werden. Der Kreuzlinger Stadtpräsident Thomas Niederberger (FDP) ist denn auch Mitglied des Initiativ-Komitees. Er findet, die Demokratie würde durch ein Ausländerstimmrecht auf Gemeindeebene gestärkt. Unterstützt wird er in dieser Meinung vom gesamten Stadtrat (Exekutive).

SVP im Abwehrkampf

Aber schon heute ist klar, dass der Initiative aus der gleichen politischen Ecke ein scharfer Wind entgegen bläst, wie bei den beiden ersten Anläufen. Ein SVP-Kantonsrat (und Gemeindepräsident) hat bereits per Leserbrief seine Ablehnung kundgetan: AusländerInnen, die politische Mitsprache wollten, könnten sich einbürgern lassen. Man habe ein „vernünftiges Einbürgerungsgesetz“. (Anmerkung: Das im Thurgau – dank SVP und FDP – die höchsten sprachlichen Hürden der gesamten Schweiz für die Einbürgerungswilligen aufweist.) Man wolle sich nicht durch die ausländische Bevölkerung „majorisieren“ lassen. Und der Kreuzlinger SVP-Präsident geht den Stadtpräsidenten an: Es stelle sich die Frage, ob dieser überhapt seine Zeit in diese Initiative investieren solle.

Wenn’s ums Ausländerstimmrecht geht, vergessen SVP-Exponenten hehre Parteigrundsätze. Ansonsten halten sie nämlich die Gemeindeautonomie hoch. Das ist der Grundsatz, dass Gemeinden prinzipiell über alles in eigener Regie befinden können sollen, das sie direkt betrifft. Da die „Mitbestimmungs-Initiative“ den Gemeinden nicht vorschreiben will, dass sie ein Ausländerstimmrecht einführen müssen, sondern ihnen nur das Recht einräumen will, darüber selbst zu entscheiden, müsste die SVP eigentlich jubilieren lassen. Wenn es nur nicht um AusländerInnen ginge.

Lieselotte Schiesser