Konsumentenschutz bei Sekten und Alternativmedizin
Die Massenmorde und Massensuizide der Sonnentempler mit vier Massakern 1994 und 1995 erschütterten nicht nur die Schweizer Bevölkerung, sondern sorgten auch weltweit für Schlagzeilen. Ein solches Sektendrama mit über 70 Toten in der heilen Schweiz? Das schien unvorstellbar. Gesucht sind also Maßnahmen, die die Narrenfreiheit von problematischen Gruppen mit Sektencharakter eindämmen.
Öffentlichkeit und Politiker forderten solche ein. Die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Schweizer Nationalrats machte das Sektenproblem zum Kernthema und befasste sich zwei Jahre lang mit dem Phänomen. Die Untersuchungen und Hearings, zu denen auch ich eingeladen war, dauerten zwei Jahre lang und mündeten in einen Bericht von 150 Seiten.
Ergebnislose Untersuchung
Darin stellten die Parlamentarier Forderungen an den Bundesrat. Dieser solle Aufklärungsarbeit, eine Dokumentationsstelle und Beratungen initiieren. Der Bundesrat wischte die Forderungen und Anregungen mit einem Federstrich weg. Zuständig für religiöse Belange seien die Kantone, beschied er. Die GPK hatte für den Papierkorb gearbeitet, die Sekten konnten aufatmen.
Es gäbe einen anderen Ansatz, um die Narrenfreiheit der Sekten einzudämmen und Missbräuche im Sektenmilieu zu reduzieren. Notwendig wäre eine Art Konsumentenschutz. Problematische oder auffällige Gruppen, die Seminare, Workshops oder Kurse anbieten, müssten mit ihren Mitgliedern Verträge abschließen.
Diese müssten Angaben über Dauer, Methoden, Ziele und Preise enthalten. Einerseits würde damit eine gewisse Transparenz erreicht, und die „Kunden“ könnten im schlimmsten Fall juristische Schritte einleiten und auf den Vertrag verweisen.
Scientology zum Beispiel bietet unzählige Kurse an, die in den höheren Stufen Hunderte von Franken pro Stunde kosten. Dabei verspricht die Sekte völlig unrealistische Gewinne. Das kann von der Heilung von Krankheiten bis zu genieartigen Persönlichkeitsentwicklungen gehen.
Der Gründer Ron Hubbard hat denn auch erklärt, ein Scientologe könne „Ursache über Leben, Raum, Zeit und Materie“ werden. Wenn nicht in diesem Leben, dann in einem späteren. Denn Scientologen würden jeweils das gesamte scientologische Wissen über mehrere Leben konservieren und kumulieren.
Ich kenne mehrere Fälle, bei denen Aussteiger wenigstens einen Teil der Zehntausenden oder Hunderttausenden von Franken, die sie der Sekte „gespendet“ hatten, zurückverlangten. Da meist die Mutterorganisation in den USA für das Finanzielle zuständig ist, sind die Chancen gering, Geld zurückerstattet zu bekommen. Gäbe es Verträge, könnten die Geprellten leichter juristische Maßnahmen ergreifen.
Es gibt einen weiteren Bereich, bei dem eine Art Konsumentenschutz sinnvoll wäre. Ein Beispiel: Sporadisch melden sich bei mir Angehörige, die eine Tochter, einen Sohn oder den Lebenspartner wegen einer schweren Krankheit verloren haben. Statt sich von Ärztinnen und Ärzten untersuchen und behandeln zu lassen, vertrauten sie sich Heilern oder Geistheilern an.
Scharlatane unter ihnen raten ihren Patienten dringend ab, medizinische Therapien in Anspruch zu nehmen. Selbst bei schwerem Krebs. Manche Heiler behaupten, Krankheiten seien lediglich ein Signal für eine spirituelle Blockade. Könnten sie diese lösen, würden die Symptome auf der körperlichen Ebene verschwinden. Selbst Tumore.
Verantwortungslose Heiler behaupten gar, Bestrahlungen und Chemotherapie würden die Krankheit nur verschlimmern, denn die Pharmaindustrie ist für sie des Teufels. Sie raten auch von Operationen ab, da die martialische Methode das spirituelle Gleichgewicht stören würde.
In Standardverträgen müssten die Heiler ihre Diagnose, die Dauer der Therapie, Behandlungsmethode, Heilungschancen und Preise festhalten. Und sie müssten sich bei schweren Symptomen verpflichten, von den Patientinnen eine ärztliche Diagnose zu verlangen.
Esoteriker und Anhänger der Alternativmedizin wenden ein, dass Ärzte auch keine Verträge mit ihren Patienten abschließen müssen. Das stimmt, doch sie durchlaufen eine lange Ausbildung, und es gibt medizinische Standards, die in den meisten Spitälern weltweit eingehalten werden.
Abhängigkeit bei Heilern
Außerdem ist die Kontrolle durch die Kolleginnen und die Spitalleitung gegeben. Vor allem aber: Bei Heilern ist die Abhängigkeit ungleich größer. Eine Chirurgin sieht ihre Patienten oft nur einmal vor dem Eingriff. Und nach Abschluss der Behandlung gibt es keinen Kontakt mehr.
Bei vielen Heilern ist dies anders. Sie pflegen meist eine enge Beziehung zu ihren Klienten. Sie sehen sich als Lebensberater und begleiten sie gern in allen Lebenssituationen. Das ist aus finanziellen Gründen interessant und führt oft zu einer engen Bindung, nicht selten zu einer Abhängigkeit. Deshalb wagen es Krebspatienten manchmal nicht, den Rat des Heilers in den Wind zu schlagen und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Solche Bestimmungen im Sinn eines Konsumentenschutzes könnten zwar Missbräuche nicht verhindern, sie würden es Geistheilern aber erschweren, ihre Kunden abzuzocken und zu missbrauchen.
Text: Hugo Stamm. Sein Beitrag erschien zuerst auf: www.watson.ch
Bild: H. Reile