Kreuzlingen will großes Stadthaus
In Konstanz herrscht ja bei vielen EinwohnerInnen die Meinung vor, die Stadt gebe für das Kongresshaus im Centrotherm-Gebäude viel zu viel Geld aus. Gemach, gemach, hier lohnt sich allemal ein neugieriger Blick über die Grenze, wo die Kreuzlinger Verwaltung derzeit eifrig an einem neuen Stadthaus samt Tiefgarage herumplant und dafür schon mal mindestens 46 Mio. Franken veranschlagt.
Konstanz hat rund 85.000 Einwohner, Kreuzlingen freut sich, dass es kürzlich die 21.000er-Marke überschritten hat. Ein Städtchen also und keine Großstadt. Gut, auch eine kleine Stadt braucht natürlich eine Verwaltung und die braucht Raum. Raum für 150 Angestellte – weitere 50 arbeiten auf dem Bauhof und bei den Technischen Betrieben. Sie werden von den Planungen nicht berührt. Diese betreffen nur die Ämter im jetzigen Stadthaus an der Hauptstrasse, dem dahinter liegenden Haus der Sozialen Dienste und jenem der Bauverwaltung gegenüber dem Bärenplatz.
Aller guten Dinge sind vier
Der Bärenplatz ist der große Parkplatz vor dem Veranstaltungshaus „Dreispitz“ und neben der Kirche St. Ulrich. Und genau auf diesen soll nun das neue Stadthaus kommen. Das ist der inzwischen vierte gewünschte Standort für die Kreuzlinger Stadtverwaltung, die schon seit 25 Jahren umziehen möchte. Vorgeschlagen hatte ihn der Denkmalschutz, nachdem er Wunsch Nummer 3 „abgeschossen“ hatte: den kleinen Dreispitzpark zwischen Einkaufszentrum Ceha und Bushof. Beim Bärenplatz wiederum darf der Blick auf die Kirche St. Ulrich nicht verbaut werden.
Genau diese Bedingung erfüllt das im Mai präsentierte Projekt: parallel zum bestehenden „Dreispitz“-Saal, 100 Meter lang, mehrheitlich zweistöckig, ein Teil dreistöckig. Darunter eine Tiefgarage mit 250 Stellplätzen, von denen 150 wochentags vermietet sind. Der heutige Parkplatz soll zur „Festwiese“ werden. Insgesamt soll der Spaß gut 46 Mio. Franken kosten „plus/minus 25 Prozent“ wie Stadtpräsident Andreas Netzle gegenüber der Presse betonte. Bereits vorhanden sind gegen 17 Millionen Franken, die aus den Überschüssen der städtischen Rechnungen angespart wurden. Kreuzlingen erwirtschaftete nämlich seit 2007 jährlich ein Plus zwischen 2 und 5 Millionen Franken.
Umstrittener Standort
Leisten könnte man sich die Bauten also. Trotzdem darf man durchaus an der Erfüllung des Bauwunsches zweifeln. Denn die Kreuzlinger Stimmberechtigten haben sich in den letzten Jahren zugeknöpft gezeigt, wenn es um große Bauvorhaben ging. Sie bereiteten sowohl einem neuen Bushof als auch einer geplanten Schwimmhalle eine Beerdigung erster Klasse.
Beide wurden bei Volksabstimmungen mit Glanz und Gloria versenkt, obwohl satte Parlamentsmehrheiten sie befürwortet hatten. Zumindest beim Bushof spielte dabei das eine Rolle, was auch in der eben beginnenden Debatte ums Stadthaus eine Rolle spielt: Der Standort ist umstritten. Der Bushof hätte den kleinen Dreispitzpark arg beschnitten. Trotz Kritik daran mochten weder Stadt- noch Gemeinderat etwas ändern. Erfolg: kein neuer Bushof und auch keine neue Schwimmhalle.
Bammel vor der nächsten Abstimmung
Nun gibt es eine ganze Reihe von Kritikern, die dem Stadthaus-Neubau auf dem Bärenplatz sehr skeptisch gegenüber stehen. Sie verfechten einen Ausbau am heutigen Standort und schlagen vor, den Raum zwischen Stadthaus und sozialen Diensten zu überbauen und den neuen Bau auf eine Tiefgarage zu setzen. Der Stadtrat wiederum will das nicht und stellt sich stur. So ein Projekt sei höchstens drei Millionen billiger als der gewünschte Neubau, sei aber schwieriger zu realisieren. Auch die Vorschläge einzelner GemeinderätInnen und Leserbriefschreiber, man solle doch erst einmal per Abstimmung klären, welcher Standort von den Bürgern bevorzugt werde, fanden keine Gegenliebe. Ähnlich erging es der Idee, doch über Stadthaus und Tiefgarage getrennt abzustimmen. Nein, der Stadtrat will ein großes Paket schnüren und über dieses in rund einem Jahr abstimmen lassen.
Wohl dem, der einen Tretroller hat
Es könnte also durchaus sein, dass die Kreuzlinger Verwaltungsangestellten auch weiterhin in den bisherigen Bauten arbeiten werden. Dies obwohl sie darin, wie der Stadtrat in seiner Werbebroschüre für den Neubau anführt, die gleichen WC benutzen müssen, wie die Verwaltungskunden. Und obwohl sie zur Besprechung „heikler“ Themen mit ihren Besuchern keinen „Diskretionsschalter“ haben – sondern mit ihnen entweder in ein Büro oder einen anderen Raum ausweichen müssen. Und obwohl Rollstuhlfahrer nicht bis in jedes Büro kommen – ganz zu schweigen davon, dass es in den Altbauten keine „buchbaren Sitzungszimmer“ gibt. Das Argument der „kurzen Wege“ zwischen den einzelnen Ämtern im Neubau sollte man eh noch einmal überdenken, hieß es zusätzlich. Bei einer Baulänge von 100 Metern werden sich die Angestellten sowieso Kickboards wünschen. Früher nannte man sowas Tretroller – in der Schweiz Trottinett.
Lieselotte Schiesser
Dieser Solitär wäre für Kreuzlingen eine urbane Jahrhundertsünde, ein unverzeihlicher Fauxpas! Das heute noch freie, grüne Zentrum der Stadt ist in seiner Weite zu erhalten – zum Beispiel zu gestalten als attraktiver, veritabler, klimaschützender Stadtpark, zusammenhängend mit dem gegenüberliegenden historischen Dreispitzpark (der gärtnerisch auf eine Runderneuerung wartet). Das Ganze ist ein einmaliges Ensemble für ein Stadtmittegefühl. Man wird beneidet. Das dargestellte Stadtgebäude auf der „Gemeindewiese“ belegt vor dem einzigen nennenswerten, grossen Baukulturobjekt der Stadt, den augustinischen Klosterbauten aus dem 17. Jahrhundert, einen Grundstücksbedarf von 6 bis 8 Einfamilienhäusern samt ihren Gärten! Zum Stadthaus Ist-Zustand: Bekanntlich dümpelt dort, wo heute ein gewisser Teil der Stadtadministration untergebracht ist, an der Ecke Marktstrasse/Hauptstrasse, der „Boulevard“ als Geschäftsstrasse vor sich dahin. Die Ursachen sind vielfältig. Die Attraktivität von Konstanz ist die eine. Zudem hat unverkennbar das Einkaufen in der Nachbarstadt durch die „nächtliche Frankenaufwertung der CH-Nationalbank“ regional stark zugenommen. Umso sinnvoller ist es – wenn schon ein Stadthaus zu bauen ist! -, mit dem zu gestaltenden Bauobjekt eine „Renaissance“ der stärkeren Belebung der Hauptstrasse (alias „Boulevard“) einzuläuten. Ein modernes Stadthaus darf heute alle möglichen publikumswirksamen Elemente entfalten: Von administrativ notwendigen Angeboten, einem kleinen Stadtmuseum, über die Tourist-Information, zu einem Stadtkaffee oder Stadtrestaurant, usw. Die Ausgestaltungsfreiheit ist grenzenlos. Hier kann sich die Architektur urban-kreativ bewegen. Die Geschäftswelt dankt. Nur mal ein Beispiel: Kreuzlingen liegt „im Prinzip“ am Bodensee. Doch der zeigt sich der Innenstadt nicht. Und so könnte etwa das Stadthaus auch als attraktiver Turm gebaut werden – mit einer geschützten Plattform, die einen wunderbaren Rundblick zum See hin, über die Stadt und in die Berge ermöglichen würde. Bezaubernd für Bewohner und für Gäste der Stadt. Wirklich nur so zur Anregung! Und die notwenigen Parkplätze? Die sind im rückwärtigen Bereich der Marktstrasse „boulevardwirksam“ gut unterzubringen – entweder offen gestaltet, wie bereits heute, oder in Garagenebenen. Kreuzlingen ist wenig mutig. Das zeigte „das abgelehnte Ding“ mit der modernen Schwimmhalle. Dabei geht es der Stadt finanziell glänzend. Mut ist aber notwendig, um nicht noch mehr in den Schatten des grösseren Nachbarn zu fallen – oder besser: um sich mit ihm zu messen, aber auch bewusst zu werden, dass wir hier eine Region sind, die gegenseitig Attraktives zu bieten hat – für Bürger der Stadt, wie für Besucher – geschäftlich, kulturell, sportlich, geschichtlich, usw. Mit 100 Meter Stadthaus in einem glücklicherweise heute noch freien, urbanen Raum vor den Klosterbauten ist dies definitiv nicht durchzuführen.