Kreuzlinger Boulevard: Alles zurück auf Anfang
Angeblich hat ja alles ein Ende – nur die Wurst hat zwei. Der Vorgang um die Verkehrsberuhigung der Kreuzlinger Hauptstraße, auch „Boulevard“ genannt, hat viele Verästelungen. Und ab 16. Oktober nun auch ein Ende. Dieses wiederum heißt: Alles zurück auf Anfang – sowie es 2011 begann. Unsere Autorin dröselt die fast schon surreal anmutende Geschichte nochmal auf.
Vergliche man die Geschehnisse um die rund 500 Meter „Begegnungszone“ des Kreuzlinger Boulevards – zwischen Einkaufszentrum Ceha! im Süden und Helvetiaplatz im Norden – mit einem „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel (für SchweizerInnen: „Eile mit Weile“), so ginge die Geschichte so: Ende Mai 2011 würfelte die Stadt Kreuzlingen eine Sechs und begann das Spiel mit der Eröffnung einer rund 500 Meter langen Begegnungszone: Tempo 20 für alles mit Rädern, das sich wiederum gleichberechtigt mit den FußgängerInnen den Straßenraum zu teilen hat. Lastwagen verboten.
Ziel: weniger Autoverkehr
Weil das idyllisch sein und den Durchgangsverkehr verprellen sollte, war die Straße zum „Boulevard“ umgestaltet worden. Die Verkehrsplaner erhofften dadurch eine deutliche Abnahme des Autoverkehrs. Zwei Jahre später hatten die BefürworterInnen einer Fußgängerzone die Unterstützer der Begegnungszone eingeholt; ihrer Meinung nach waren immer noch zu viele Autos auf dem Boulevard unterwegs.
Noch aber saßen Befürworter und Gegner gemeinsam auf dem „Bänkchen“, auf dem man vor einem Rauswurf geschützt ist: Die Fußgängerzonen-Unterstützer reichten zwar eine Volksinitiative ein, zeigten sich aber verhandlungsbereit und die Initiative kam in Gang.
Nach Beratungen beschloss man, ein Verkehrskonzept umzusetzen, das den Verkehr noch stärker vermindern sollte. Kaum lag das auf, da schmissen die Gegner des Konzeptes erstmal die Befürworter raus: Sie – darunter Coop wegen der erschwerten Zufahrt zum Einkaufszentrum „Karussell“ – wehrten sich durch alle Gerichtsinstanzen. So lange standen wieder alle „Spielfiguren“ brav daheim.
Neustart mit Versuch
Dann aber lehnte das Bundesgericht im Juni 2017 die Beschwerde ab – das war sozusagen die erneut gewürfelte Sechs für einen einjährigen Versuch mit neuer Verkehrsführung. Bis aber das Spiel nach den neuen Regeln wirklich begann, wurde es Februar 2018. Die Spiel- bzw. Verkehrsteilnehmer hatten sich noch nicht mal richtig daran gewöhnt, dass ein Teil des Boulevards zur Einbahnstraße geworden war, da versuchte der Gewerbeverein als Vertretung der Einzelhändler schon wieder, die anderen Mitspieler aus dem Spiel zu werfen: Er reichte eine Petition ein.
Der Stadtrat (Exekutive) hatte dafür ein offenes Ohr – setzte aber die getroffene Regelung erst einmal aufs „Bänkli“, damit ihr nichts passierte. Dann startete er eine Umfrage bei den Einzelhändlern und einigen anderen Anwohnern. Als das eine Mehrheit für die Beendigung des erst vier Monate alten „einjährigen“ Versuchs ergab, warf der Stadtrat die Neuregelung aus dem Spiel und ließ die Verkehrsschilder abbauen. Dank der Anhänger eines autofreien Boulevards blieb sie aber auf dem „Bänkchen“ – denn diese zogen zum kantonalen Baudepartement und beklagten, dass das Versuchsjahr mit vier Monaten doch etwas arg kurz geraten sei.
Das Baudepartement stimmte zu und entschied, bis es sich entschieden habe, müsse der Versuch auf dem „Bänkchen“ bleiben. Die Stadt montierte die eben abgebauten Schilder erneut. Im Februar 2019 wären eigentlich die Spielfiguren alle geschützt im „Bau“ gewesen – das Versuchsjahr war um. Aber das Baudepartement hatte immer noch nicht endgültig entschieden. Also blieben die Verkehrsschilder erstmal, wo sie waren. Das Spiel lief weiter. Und kam noch einmal (erfolglos) vor Gericht.
Im April kam dann das Departement zum Schluss, der Stadtrat habe das Spiel vorzeitig beenden dürfen (indem er die Spielfiguren vom Brett schmiss). Das verhinderten aber erneut die Befürworter der Regelung: Sie schoben die Figuren wieder zurück aufs „Bänkchen“ und legten Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein. Anfang September schubste dann das Verwaltungsgericht die Spielfiguren wieder vom „Bänkchen“ auf das normale Spielfeld – es lehnte den Rekurs ab.
Das Spiel – Entschuldigung: der Versuch – der sowieso seit sieben Monaten beendet war – durfte abgebrochen werden. Jetzt werden am 18. Oktober die Verkehrsschilder des Versuchs wieder abgebaut und alles wird wieder sein wie beim Start der Begegnungszone. Für alle, die auf Rädern über den Boulevard wollen, heißt das: man darf auch wieder vom Helvetiaplatz (also aus Richtung Hauptzoll) her auf den Boulevard fahren. Vorläufig: Game over.
Lieselotte Schiesser