Per Los zum Bundesrichteramt?
Es könnte sein, dass künftig in der Schweiz BundesrichterInnen nicht mehr vom Parlament gewählt, sondern ausgelost werden. Eine Volksinitiative, über die Ende November abgestimmt wird, verlangt das, um Parteien-Einfluss aufs oberste Schweizer Gericht zu beenden.
Nach der derzeitigen Rechtslage wählen die beiden Parlamentskammern (National- und Ständerat) BundesrichterInnen auf Vorschlag der parlamentarischen Gerichtskommission für eine Amtszeit von sechs Jahren. Eine Beschränkung der Amtszeit gibt es nicht. Bisher wurden alle erneut kandidierenden Bundesgerichtsmitglieder auch immer wieder gewählt.
Die Initianten der „Justizinitiative“ bemängeln nun bereits diese wiederkehrenden Wahlen, weil diese die RichterInnen unter Druck setzten, „parteikonform“ zu urteilen. Als Beweis dafür dient ihnen eine Untersuchung zu Urteilen und Herkunft von RichterInnen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Diese zeigte, dass die RichterInnen das Land, das sie ans Gericht schickte, nur so lange bevorzugten, wie sie für weitere Amtszeiten wiedergewählt wurden. Seit die Wiederwahl ausgeschlossen ist, sei keine Bevorzugung mehr auszumachen.
Parteimitgliedschaft als Stein des Anstosses
Die Gerichtskommission achtet – ohne, dass das vorgeschrieben wäre – bei ihren Wahlvorschlägen zudem darauf, dass alle Schweizer Sprachregionen vertreten sind und dass Männer und Frauen gewählt werden. Zudem prüft sie nicht nur das fachliche Können der Kandidierenden, sondern auch deren Parteimitgliedschaft. Sie achtet dabei auf einen Proporz entsprechend der Parteienstärke im Parlament. Die Initianten kritisieren, dass dadurch parteilose Kandidierende keinerlei Wahlchance hätten/haben.
Zudem zahlen BundesrichterInnen ihren Parteien jährlich „Mandatssteuern“ – also mehr oder weniger freiwillige Spenden als Dank dafür, dass sie per Parteimitgliedschaft zu ihrem Richteramt kamen. Auch daran stört sich die Initiantengruppe, weil sie dadurch die Unabhängigkeit der RichterInnen gefährdet sieht. Begründet wird die Mandatssteuer mit der fehlenden staatlichen Parteienfinanzierung, die es nötig mache, dass sich die Parteien andere Finanzierungsmöglichkeiten erschlössen.
Lostopf
Die Initianten wollen die Parteibindung der RichterInnen durch die Auswahl durch eine juristische Fachkommission beenden. Diese soll die fachliche und persönliche Eignung der Kandidierenden prüfen. Nicht festgelegt ist in der Initiative, wie diese Kommission gebildet werden soll und wer ihre Zusammensetzung bestimmt. Jedenfalls sollen die Namen aller, die die Kommissions-Überprüfung bestanden, in einen Lostopf kommen, aus dem der/die GewinnerInnen der Richterämter gezogen werden. Dabei müsste sichergestellt sein, dass alle Amtssprachen am Gericht vertreten wären. Einmal ausgelost könnten RichterInnen dann bis fünf Jahre übers Rentenalter hinaus im Amt bleiben.
BefürworterInnen der Initiative sehen in ihr das Mittel der Wahl, um die Einflussnahme von Parteien auf das Bundesgericht zu beenden. Die GegnerInnen argumentieren, dass es keinerlei Nachweis dafür gebe, dass Urteile parteipolitisch beeinflusst seien. Zudem sorge die öffentlich bekannte Parteizugehörigkeit dafür, dass man wisse, welche grundsätzliche Haltung ein Richter/eine Richterin habe.
Beim Vorschlag der Initiative wisse man das nicht, während gleichzeitig trotzdem Parteimitglieder ausgelost werden könnten. Theoretisch könnte das Losverfahren dazu führen, dass alle RichterInnen derselben Partei angehörten oder deren Haltung verträten.
Unklare Chancen
Wie die Chancen der Justizinitiative in der Abstimmung sind, lässt sich schlecht sagen. In Umfragen stehen rund 44 Prozent Befürwortern etwa 39 Prozent Ablehnende gegenüber. Es kommt also darauf an, wer die 17 Prozent noch Unentschlossener besser mobilisieren kann. Sagen kann man hingegen, dass der Hauptinitiant mit seiner Behauptung Unrecht hat, wonach eine Mehrheit dem Bundesgericht nicht traue. Eine Umfrage zur Vertrauenswürdigkeit staatlicher Institutionen setzte das Bundesgericht auf Platz 3 hinter Polizei und Bundesrat.
Klar ist aber, dass der Hauptinitiant selbst kein Vertrauen in BundesrichterInnen hat. Er hat als Unternehmer in den 80er Jahren Millionen verdient. Auf dem Weg dahin hat er Firmen geschlossen, saniert, Leute auf die Strasse gestellt, mit Politik und Gewerkschaften gestritten, unzählige Prozesse geführt und einen guten Teil davon verloren. Seither steht für ihn fest, dass die Schweizer Justiz durch und durch korrupt sei.
Text: Lieselotte Schiesser
Bild: Titania-fotos