Straßenkampf im Thurgau
Während in Konstanz die Frage heiß diskutiert wird, wie und wann der B33-Ausbau weitergeht, wird im südlich angrenzenden Thurgau am 23.September über zwei Straßenprojekte abgestimmt, die seit rund 50 Jahren die Gemüter erhitzen. Die insgesamt 50,2 Straßenkilometer sollen 1,02 Milliarden Franken kosten – die 10,76 Kilometer B33 sind auf knapp 139 Mio. Euro veranschlagt. Von „unverzichtbar“ bis „überflüssig“ reichen die Meinungen im Thurgau. (Um die verschiedenen Plakatmotive mit zu bekommen, sollten Sie einen Klick auf das Teaserbild probieren)
Die Meinungen darüber, ob die insgesamt 50,2 Kilometer Straße überhaupt gebaut werden sollen und wenn Ja, mit welchem Standard und wer sie bezahlen soll, sind geteilt: Christliche Volkspartei (CVP), Freisinnige, Volkspartei (SVP) sowie die kantonalen Wirtschaftsverbände sind dafür. Grüne (GP), Sozialdemokraten (SP), Grünliberale(GLP) sowie Umweltverbände sind dagegen. Die einen finden, die Straßen seien für die wirtschaftliche Entwicklung unverzichtbar, die anderen meinen, sie seien überflüssig, nutzlos und zögen nur mehr Verkehr an.
Daran hat sich in rund 50 Jahren nichts geändert. So lange nämlich wird um die sogenannte Bodensee-Thurtal-Strasse (BTS) – von Bonau nach Arbon – und die Oberlandstraße (OLS) – von Bätershausen bei Kreuzlingen nach Amriswil – schon gestritten. Gut, bis 2008 hießen die Straßen noch T14 (T für Talstrasse) und T13. 2002 mutierte die T13 zur „Südumfahrung Kreuzlingen“ und wurde 2005 zusammen mit der T14 in einer Volksabstimmung mit gut 54 beziehungsweise 52 Prozent der Stimmen abgelehnt.
Damit waren die Straßenbaupläne aber nicht etwa vom Tisch: Bereits zwei Jahre später nahm die Baudirektion (Ministerium) einen neuen Anlauf. 2008 wechselte der Mann an der Spitze des Bau-Departementes und die Straßen erneut ihre Namen. Aus T14 wurde BTS und ausT13 wurde OLS. Zudem wurde die Linienführung der Straßen verändert. Die 32,4Kilometer lange BTS soll jetzt auf einem Viertel der Strecke auf der Trasse der bestehenden Thurtal-Strasse verlaufen, etwa gleich lang direkt neben der Bahnlinie und über sechs Kilometer lang soll sie in Tunnels verschwinden.
Kosten wird sie rund 800 Millionen Franken, die der Bund bezahlen soll. Der Bundesrat (Bundesregierung) beantragt, sie als H14 ins Nationalstraßennetz zu übernehmen. Damit würde siez war den Kanton nichts mehr kosten, allerdings könnte er dann auch nicht mitbestimmen, ob und wie die Straße gebaut wird. Die kantonale Richtplanänderung ist bisher vom Bund noch nicht genehmigt.
Und das Bundesamt für Straßen betonte im August in einer Mail an Toni Kappeler, Präsident der Thurgauer Sektion des Umweltverbandes pro natura: Sollte die BTS ins Nationalstraßennetz aufgenommen werden, „können sich die Anforderungen des Bundes (Linienführung, Anschlüsse, Ausbaugrad etc.) noch ändern.“ Und im März hielt Bundesrätin (Ministerin) Doris Leuthard (CVP) in einem Schreiben an einen ehemaligen GP-Parlamentarier fest, für den Bund stehe noch nicht fest, „ob die H14 nach der Übernahme ausgebaut werden soll und falls ja, wie“. Es könnte passieren, dass der Bund noch lange Zeit kein Geld für eine Straße übrig hat, die – verglichen mit Straßen in anderen Regionen – nicht übermäßig stark befahren ist. Die Zählungen schwanken zwischen derzeit etwa 18.200 Fahrzeugen täglich bei Weinfelden und 10.700 bei Sulgen. Als Vergleich: Täglich passieren ungefähr 37.000 Fahrzeuge Hegne auf der B33.
Die eine Straße macht die andere notwendig
Baut der Bund aber nicht wie geplant ab 2020 die BTS, ist auch die OLS nicht nötig. Der Kanton wollte diese rund 220 Millionen Franken teure Neuführung ursprünglich erst bauen, wenn auf der bestehenden Straße mehr als 10.000 Fahrzeuge täglich durch Langrickenbach führen. Derzeit sind es etwas mehr als die Hälfte.
Dann zeigte sich aber, dass der Bau der BTS für die Gemeinden auf dem Seerücken massiv mehr Verkehr brächte: Von und nach Kreuzlingen würde es für den Durchgangsverkehr attraktiv, nicht mehr über die Seestrasse zu fahren, sondern über Amriswil, um von dort via BTS bei Arbon auf die Autobahn A1 Richtung Österreich oder zum San Bernadino zu kommen.
Deshalb, so der Schluss, müsse gleichzeitig mit der BTS auch die OLS gebaut werden. Zu dieser würde auch die, 2005 in der Volksabstimmung gescheiterte, Südumfahrung Kreuzlingens gehören. Diese soll – so die Planungshoffnung – Kreuzlingen vom Durchgangsverkehr entlasten. Anschließend soll der Rest der OLS die gleiche Funktion für die Seegemeinden übernehmen.
Die Krux dabei ist aber, dass rund 80 Prozent des Verkehrs auf dieser Strecke „hausgemacht“ sind – also kein Durchgangsverkehr. Die Prognosen für die Verkehrsentwicklung in einer vom Kanton veranlassten Studie gehen von spürbarer Entlastung im Osten Kreuzlingens bis zu mehr Verkehr vor dem Kreuzlinger Hauptbahnhof aus.
Der 6. Anlauf
Zusammen mit dem Schicksal der Straßen entscheiden die Thurgauer Stimmberechtigten am 23. September auch über eine Erhöhung der Fahrzeugabgaben (Kfz-Steuer) um 10 Prozent. Nachdem von fünf Versuchen, diese Steuern zu erhöhen, vier in Volksabstimmungen und einer im Parlament scheiterten, wird dieses Mal mit dem Bau der OLS argumentiert.
In der Parlaments-Diskussion hieß es, die Mehreinnahmen sollten Bau und Unterhalt der OLS finanzieren (helfen). OLS-Gegner erzwangen deshalb die Volksabstimmung: Die jährlich gut 4,5 Millionen zusätzlicher Steuergelder reichten niemals für die nötigen Abschreibungen (Amortisation) und den Straßenunterhalt.
Die Regierung konterte: Die Erhöhung sei ja auch gar nicht (nur) dafür gedacht. Das Geld solle ganz allgemein auf Dauer für den Unterhalt verwendet werden. So steht es auch im Abstimmungsbeschluss. Damit aber mutiert die gewünschte Erhöhung einfach zum sechsten Anlauf für eine Kfz-Steuer-Erhöhung. Allerdings tritt die nur in Kraft, wenn die OLS in der Volksabstimmung genehmigt wird. (Weitere Informationen unter: www.bts-ols-nein.ch/)
Autorin: Lieselotte Schiesser
Dieser Artikel gehörte in die Abstimmungsbotschaft an die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des Kantons TG. Sehr sachlich und fair und nicht so tendenziös, wie besagte Unterlagen oder auch die lokale Presse. Der Blick von aussen bringt Qualität. Danke an den Schreiber für seine umfangreiche Recherche.
Danke für den gut zusammengefassten Bericht.
Sollten die Planer den Auftrag gehabt haben, Kreuzlingen von Verkehr zu entlasten, dann haben sie ihre Aufgabe NICHT gelöst. Weil: Auf den Hauptachsen in Kreuzlingen wird 2030 im Vergleich zu heute gleichviel oder mehr Verkehr führen. „Verkehrsstudien Kreuzlingen“ Herausgeber: Kantonales Tiefbauamt, Frauenfeld 30.04.2012 auf Seite 29.
Wofür für etwas bezahlen wo kein Nutzen gegenüber steht? Erstaunlich, dass gerade die Thurgauer-Wirtschaftslobby so ein Widerspruch befürwortet.
Gratulation, der erste Bericht, welcher nur Fakten und Tatsachen beinhaltet.
@ Autor: Sie sollten mal im Grossen Rat des Kantons Thurgau vorsprechen. Ehrliche Menschen sind dort Mangelware :-)…
Gut geschriebener Artikel, ausgewogen, kritisch und vor allem mit historischem und regionalen Blick. Danke. Wir hoffen auf ein NEIN am 23. September, da diese Strassen das eigentliche Problem nicht lösen, sondern von Politikern genommen werden, um 800 Mio. aus Bern „abzuholen“, wie es ein Kantonsrat formulierte.