SVP-Wünsche erfüllt, SVP trotzdem sauer

Es ist wieder einmal so weit: Die Schweizer Stimmberechtigten werden am 5. Juni mindestens über fünf nationale Vorlagen befinden. Für Nicht-Schweizer sind dabei vor allem zwei Themen interessant: Eine Gesetzes­vorlage, die Asylverfahren beschleunigen soll und eine Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Derzeit geschieht in der Schweiz geradezu Ungeheuerliches: Die SVP, für die es eigentlich gar keine „echten“ Flüchtlinge gibt, bekämpft eine Gesetzesvorlage, die Asylverfahren beschleunigen und AsylbewerberInnen bis zur Entscheidung in Verfahrenszentren kasernieren soll. Wie das? Nun, die Vorlage sieht auch vor, den AsylbewerberInnen für das gesamte Verfahren eine Rechtsberatung zur Seite zu stellen.

Das fehlte gerade noch, „Gratisanwälte“ für die „Scheinasylanten“, jaulte die SVP auf und ergriff als einzige Partei gegen das im Parlament mit 138 zu 55 (man ahnt: die SVP-Fraktion) verabschiedete Gesetz. Noch 2015 forderten SVP-Exponenten ultimativ, die Asylverfahren müssten „massiv verkürzt“ werden. Asylbewerber seien während des Verfahrens „in kontrollierten Zentren“ unterzubringen, stand in einem 2011 verabschiedeten Positionspapier der rechts-konservativen Partei.

Es ist der SVP nicht recht

Nun liegt ein Gesetz vor, das vorsieht, den Großteil der Asylverfahren innerhalb von 140 Tagen in Bundeszentren abzuschließen. Seit 2014 wird das vorgeschlagene Verfahren in einem Zentrum bei Zürich erprobt. Dabei arbeiten alle ins Asylverfahren involvierten Stellen in dem Zentrum, in dem die Asylbewerber auch untergebracht sind. Sogenannte Dublin-Fälle, bei denen es um Antragstellende geht, die über einen EU-Staat eingereist sind, können innerhalb von 80 Tagen abgearbeitet werden.

Nur komplizierte Fälle, die genau abgeklärt werden müssen, werden noch vor dem Asylentscheid den Kantonen zugewiesen. Alle anderen erst nach der Entscheidung oder eben gar nicht, weil man die Antragsteller gleich zurückschickt. Das Ganze zahlt sich auch noch finanziell aus: Der Versuchsbetrieb war für den Bund rund 12,5 Prozent billiger als das bisherige Verfahren. Die Einsparungen bei den Kantonen und Gemeinden nicht mitgezählt. Da müsste die SVP doch eigentlich jubeln – meint man.

Aber nein – sie stößt sich an der kostenlosen Rechtsvertretung für die AsylbewerberInnen. Damit rolle man denen den roten Teppich aus, reklamiert die SVP und befürchtet, jeder abgewiesene Bewerber ziehe das Verfahren bis nach Straßburg zum Gerichtshof für Menschenrechte. Der Versuchsbetrieb dagegen erbrachte deutlich weniger Einsprachen gegen die Entscheide. Zudem können sich die Anwälte  keine „goldene Nase“ verdienen: Sie werden bisher mit Pauschalen pro KlientIn entschädigt.

Die Befürworter werfen der SVP deshalb vor, sie bekämpfe die Vorlage rein aus ideologischen Gründen. Genau genommen befürchte sie, ihr könne ihr Dauerthema abhanden kommen – die viel zu langen Asylverfahren. Derzeit sieht es so aus, als ob die SVP (nach der Durchsetzungsinitiative im Februar) ihre zweite Abstimmungsniederlage in diesem Jahr erleiden könnte.

Du hast keine Chance, aber nutze sie

Keine Chance darauf, eine Mehrheit zu finden, hat dagegen die Volksinitiative „für ein bedingungsloses Grundeinkommen“. Außer dem Komitee, das die Initiative lancierte, gibt es keine Befürworter – nicht einmal bei linken Parteien oder Gewerkschaften. Die Initiative verlangt lediglich die Einführung eines Grundeinkommens für alle – sie sagt nicht, wie hoch dieses sein soll oder ob dadurch z.B. die Sozialhilfe ersetzt werden soll. Als Einkommenshöhe geistert ein Betrag von 2500 Franken durch die Diskussion.

Die Gegner argumentieren einerseits mit der Höhe der Kosten für ein solches Einkommen, andererseits mit den Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die Grundsatzfrage lässt sich dabei nicht beantworten: Wie viele Menschen würden aufhören zu arbeiten, bekämen sie „einfach so“ z.B. 2500 Franken pro Monat? Die Bundesregierung (Bundesrat) vermutet, dass vor allem Teilzeit-Beschäftigte oder im Niedriglohnbereich Tätige den Bettel hinwerfen und damit die Wirtschaft schädigen würden, was wiederum dazu führen könnte, dass Arbeitgeber vermehrt Arbeitsplätze ins Ausland verlagern würden.

Gleichzeitig sänken dadurch die Steuereinnahmen. Das würde den Staat, der ja schon das Grundeinkommen berappen müsste, bei der Erfüllung seiner Aufgaben deutlich einschränken. Zudem seien die Kosten von rund 25 Milliarden Franken pro Jahr kaum zu stemmen. Die Initianten dagegen finden, die Finanzierung wäre machbar, wenn die Wirtschaft eine Abgabe in die Grundeinkommenskasse zahlen würden. Denn sie spare gleichzeitig Lohnkosten, weil sie nur noch die Lohnkosten zahlen müsse, die 2500 Franken überstiegen. Andere Initianten brachten eine Finanz-Transaktionssteuer als Finanzierung ins Spiel.

Die Initiative wird wohl mit einer großen Mehrheit abgelehnt. Um das vorherzusagen, braucht man keine Hellseherin zu sein: Lohn ohne Arbeit ist Schweizern mindestens so suspekt wie Deutschen. Zudem halten sich zwar alle selbst für sehr arbeitsam – aber schon ihren Nebenmann für einen „faulen Hund“, der nie arbeiten würde, wäre er ohne Arbeit nicht obdachlos oder vom Hungertod bedroht.

Von gefiederten Kühen und irreführenden Namen

Einen netten Namen hat sich die Volksinitiative „für eine faire Verkehrsfinanzierung“ eingefangen: Sie läuft unter dem Titel „Milchkuh-Initiative“, weil sie behauptet, Autofahrer seien die Milchkühe der Nation. Sie würden ständig steuerlich und per Abgaben gerupft (es gibt anscheinend Kühe mit Gefieder…), das Geld werde dann aber in den öffentlichen Verkehr oder den allgemeinen Bundeshaushalt transferiert. Deshalb sollten alle Einnahmen, vor allem aus den Treibstoffsteuern, auch wirklich nur noch dem Motorfahrzeugverkehr bzw. dem Straßenunterhalt zukommen. Da nach einer Umsetzung dieser Forderungen die Qualität des öffentlichen Verkehrs nicht aufrecht zu erhalten wäre und gleichzeitig entweder die bestehenden Straßen total überlastet würden oder ständig und überall ausgebaut werden müssten, stößt die Initiative rundum auf Ablehnung.

Noch weniger Freunde hat die Volksinitiative „pro Service Public“, die vorgeblich die schweizweite Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichem Verkehr, Post und Telekommunikation sicher stellen will. Da sie aber den einzelnen Unternehmen untersagen will, Gewinne zu erwirtschaften und defizitäre Bereiche mit Gewinnen aus lukrativen Bereichen quer zu finanzieren, gibt es niemanden, der etwas von dieser Initiative wissen will. Lange Zeit sah es so aus, als ob sie trotzdem gute Chancen bei der Abstimmung hätte, weil die SchweizerInnen den Service Public hoch schätzen und der Initiativename verspricht, diesen zu unterstützen. Inzwischen aber sieht es nach einer Beerdigung erster Klasse aus.

Auch umstritten ist die Vorlage zur Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes. Damit soll es möglich werden, im Reagenzglas gezeugte Embryonen zu untersuchen, bevor sie der künftigen Mutter implantiert werden. Damit will man es vor allem Eltern, die Träger von Erbkrankheiten sind, erleichtern, trotzdem Kinder zu bekommen. Gegen die Gesetzesänderung wenden sich Behindertenorganisationen, die befürchten, diese Diagnostik beschneide das Lebensrecht Behinderter.

Lieselotte Schiesser