Tumult im Turm
In der Eidgenossenschaft stimmte am Wochenende das Wahlvolk über eine Initiative ab, die Konzerne in die rechtliche Verantwortung nehmen wollte, für begangene Menschenrechts-Verstöße und angerichtete Umweltschäden geradezustehen. Sie erzielte immerhin einen moralischer Sieg. Die Abstimmung zur Konzernverantwortung hat die Schweiz stärker verändert, als Bundesrat und Wirtschaftsverbänden lieb sein kann, meint unser Kommentator aus dem Nachbarland.
Wie nervös sie doch geworden waren oben im Turm, in der Führungsetage dieses unseres Konzernhauptsitzes namens Schweiz! Der Bundesrat, die Wirtschaftsverbände, ihre PR-Agenturen: Erst hatten sie im Parlament versucht, die Initiative zur Konzernverantwortung (Kovi) mit allen möglichen Winkelzügen auszubremsen, im Abstimmungskampf dann schalteten sie mit Millioneneinsatz eine zerstörerische Negativkampagne. Angeführt von Justizministerin Karin Keller-Sutter, schreckten sie nachweislich nicht einmal vor Lügen zurück. Und jetzt dieses unglaublich knappe Resultat.
Mit 50,7 Prozent hat eine Mehrheit der Stimmberechtigten die Kovi angenommen. Die Verwaltungsratspräsidenten globaler Konzerne wie Novartis, Nestlé oder Credit Suisse, die mit ihrer Unterschrift in Inseraten Stimmung gemacht hatten, wurden lediglich vom antiquierten Ständemehr gerettet. Just an jenem Wochenende, an dem die CVP ihre Glaubenszugehörigkeit aus dem Parteinamen strich, entfaltete das Ständemehr, dieses historische Eingeständnis an die katholischen Kantone, seine fatale Wirkung. Bei Abstimmungen, in denen nicht das Verhältnis von Bund und Kantonen geregelt wird, hat das Ständemehr nichts verloren. Es gehört revidiert.
Wer aber hat nun tatsächlich gewonnen? Auf dem Papier selbstverständlich die Führungsetage oben im Turm: Sie muss nun nicht befürchten, dass die ArbeiterInnen tief unten in den Minen ihres Superreichtums die Möglichkeit haben, eine Klage nach oben zu schicken. Die moralischen SiegerInnen – und es klingt wie eine selbsterfüllende Prophezeiung in diesem Abstimmungskampf, in dem sie dauernd MoralistInnen geschimpft wurden – sind aber die InitiantInnen. Das breite zivilgesellschaftliche Bündnis aus NGOs, Parteien und Kirchen hat eine Mehrheit davon überzeugt, dass die Globalisierung eine Verrechtlichung braucht. Auch das überraschend gute Resultat der Kriegsgeschäfteinitiative, die mehr als vierzig Prozent Zustimmung erreichte, weist in diese Richtung.
Bei den vielen Menschen, die sich für die Konzernverantwortung engagierten, wird an diesem Abstimmungssonntag dennoch die Enttäuschung überwiegen. Die Enttäuschung darüber, dass die Schweiz die Chance verpasst, bei den Menschenrechten und den Umweltstandards international voranzugehen. Dass selbst eine Initiative, die bloss etwas mehr Gerechtigkeit fordert und noch keine Umverteilung, am Ende doch scheitert. Dass die alte Leier vom angeblichen Schaden für unsere KMUs noch immer bei so vielen verfängt. Dass es in der Konzernzentrale nicht für einen Aufstand gereicht hat, nur für einen Tumult.
Im besten Fall verhält es sich mit der Kovi aber so wie einst mit der GSoA-Initiative zur Armeeabschaffung von 1989. Auch wenn sie letztlich nicht angenommen wurde, hat sie die Schweiz doch aus dem mentalen Gefängnis des Kalten Kriegs befreit. Trotz der Niederlage hat die Kovi den politischen Diskurs in der Schweiz – und deshalb wurde sie auch so heftig bekämpft – verändert. Die eigene Rolle in der Welt, fernab des neoliberalen Standortmarketings, wird die Schweiz in Zukunft noch verstärkt beschäftigen. Mögen die orangen Fahnen weiterwehen.
Kaspar Surber, zuerst erschien bei der WOZ (Foto: Rudolf H. Boettcher, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)