Verstönd sie mi? Und andere Schweizer Eigenheiten
Neue Sponsoren beim Seenachtfest, neue Mundart-Initiativen im Thurgau und Landgasthöfe, die dem Bauboom weichen müssen – manchmal ticken Schweizer anders. Und wir, diesseits des Gartenzauns, hinken hinterher. Deshalb intensiviert seemoz seine Berichterstattung aus dem befreundeten Ausland und berichtet verstärkt aus den Bodensee-Kantonen: Völkerverständigung en miniature.
Wohnungen verdrängen Gastronomie
In der Schweizer Nachbarschaft scheint Wohnungsbau weiterhin das lukrativste Geschäft zu sein. Diesem allgegenwärtigen Bauboom fallen dann auch schon mal alteingesessene, beliebte Gastronomiebetriebe zum Opfer, vor allem solche an der sogenannten „bevorzugten Lage“.
Jüngstes Beispiel für diese Entwicklung ist der Landgasthof „Haldenhof“ in Fruthwilen. Das allseits bekannte und beliebte Ausflugslokal, wunderschön am Hang gelegen mit freiem Blick auf die Reichenau und den Untersee, wurde dieser Tage abgebrochen. Die Betreiber Alice und Friedhelm Peter mussten nach rund 30 Jahren aus Altergründen schließen. Ein Nachfolger für den Gasthof fand sich nicht, dafür aber Investoren, die das Grundstück vermarkten wollen. Eine Schweizer Investment-Gesellschaft plant nun auf dem Gelände 23 Eigentumswohnungen für „gut Ausgebildete mit höherem Einkommen“.
SPAR beim Fantastical
Die Zeiten, als Konstanz und Kreuzlingen das alljährliche Seenachtsfest gemeinsam ausrichteten, sind lange vorbei. Begonnen hat`s mit Eintritt hier, freier Zugang dort, inzwischen geht man bei diesem angeblich größten Fest am Bodensee sehr getrennte Wege. Das zeigt sich auch im Namen. So nennt sich das immer sehr geordnete, brave Kreuzlinger Familienfest am zweiten Augustwochenende inzwischen „Fantastical“, auch wenn bisher nie so richtig deutlich wurde, was denn daran so „fantastic“ sein soll.
Jetzt aber wird noch mal durchgestartet, mit einem neuen Sponsor nämlich, der offenbar ordentlich Geld in die etwas mager gewordene Festkasse spült. Mit von der Fest-Partie ist für die nächsten drei Jahre die Schweizer Lebensmittel-Kette Spar, und da ist es nur logisch, dass das Kreuzlinger Seenachtfest nun „Fantastical by Spar“ heißt – leicht verständlich und auch leicht zu merken. Der „Familiencharakter“ des Festes aber soll auf jeden Fall erhalten bleiben, wird betont, und es wird vom 12. bis 14. August auch ein tolles Programm in Aussicht gestellt unter dem Motto „Samba, Schlager, Hip-Hop“. Eintritt natürlich weiterhin frei. Also nichts wie hin. Und noch ’ne Anregung für die Konstanzer Festmeile: wie wär’s mit „Spectacle by Edeka“?
Verstönd sie mi?
Es ist ein beliebtes Thema bei Eidgenossen. Soll in Kindergärten und Schulen „Mundart“ gesprochen werden oder Deutsch, also „Schriftdeutsch“ oder „Hochdeutsch“? Ob in Basel, Zürich oder anderen Regionen, die Meinungen gehen da weit auseinander, neigen aber in aller Regel zum jeweils heimischen Idiom, weil das ja „üseri Identität“ zum Ausdruck bringe und die Kinder sich eh im Dialekt besser ausdrücken könnten. In manchen Kantonen gab es schon Volksinitiativen und Abstimmungen zu diesem Thema, jetzt macht man sich offenbar auch im Thurgau in diese Richtung auf.
Jedenfalls haben drei Abgeordnete der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) im Kantonsparlament beantragt, die Regierung solle sich dafür einsetzen, dies notfalls sogar gesetzlich regeln, dass in den Kindergärten Mundart gesprochen werde. Hochdeutsch, so die Begründung, sei nicht „kindgerecht“ und bringe keine Vorteile. Dialekt hingegen erleichtere sogar ausländischen Kindern die Integration. Vermutlich schicken deshalb in der Schweizer Nachbarschaft lebende Deutsche ihre Kinder lieber auf Konstanzer Schulen.
Sorge bereitet den streng national denkenden Parlamentariern in diesem Zusammenhang auch die angeblich große Zahl von deutschen Studierenden an der Pädagogischen Hochschule Thurgau in Kreuzlingen. Um diesem Trend entgegen zuwirken, müsse die Kantonsregierung für mehr einheimischen Lehrernachwuchs sorgen, so der Antrag. Die PH Thurgau übrigens pflegt seit Bestehen intensive Kooperationen mit der Uni Konstanz und der PH Weingarten, aber das haben die streng heimat-zentrierten SVP-ler vermutlich noch gar nicht mitbekommen.
Autorin: rk
Liäbs Bübi
danke für die Ehre – ich hätte ja nie gedacht, dass ich’s mal bis ins Portemonnaie von jemandem schaffe 😉 Typischerweise ist es ja auch kein Schweizer Geldbeutel – die sind normalerweise ja auch gegenüber engen Angehörigen streng geheim. Der wichtigste Leitsatz für die Schweiz und die Schweizer ist immer noch, dass alles von Kanton zu Kanton verschieden ist – mit Ausnahme der Dauer einer Schwangerschaft. (Der Satz würde aber auch dafür gelten, hätten die Schweizer darauf auch nur den geringsten Einfluss.) Eine „Staatssprache“ verbietet sich für aufrechte Schweizer schon deshalb, weil das ein zentralistisches Element wäre und ein solches scheut der Schweizer wie der Teufel das Weihwasser.
Liäbs frieda,
danke für die ausreichende Information. Damit ich die bekannte Schweizer Empfindlichkeit nicht treffe, hatte ich mich beim Begriff “Schwyzerdütsch” bei Google wissend gemacht, aber wie man’s macht, man kann’s leider (den Schweizern) nicht recht machen. Sollte mich noch mal ein Schweizer korrigieren und seine „Mundart“ als Staatssprache verkaufen wollen, ziehe ich Ihren Beitrag aus meinem Portemonnaie, den ich mir nun kopieren werde. Als Konstanzer Nachbar bin ich nun nach 40 Jahren seit meiner Einreise hier, wieder ein Stück schlauer über das seltsame Volk ein paar Hundert Meter südlich von Konstanz. Aber ich bin mir absolut sicher, in den nächsten 40 Jahren werde ich diesem Volk noch mehr Geheimnisse entlocken. (nicht bös gemeint, aber ernsthaft hinter dacht)
Grüezi Ihr Bübi
Liäbs Bübi
(um es mal Schweizerdeutsch zu sagen) „Schwyzerdütsch“ – so wie Sie es schreiben – ist ausschliesslich der im Kanton Schwyz gesprochene Dialekt. „Schwiizerdütsch“ – also eine einheitliche, spezielle Sprache der Deutschschweiz – gibt es so nicht. Es gibt Züridütsch, Baseldütsch, Bärndütsch, Schgwyzer-, Urner-, Luzerner-, St.Galler-, Thurgauer- und noch ein paar andere Schweizer Ausformungen der deutschen Sprache. Und da alle diese Sprachen über keine einheitlich definierte Rechtschreibung und Grammatik verfügen, sind sie Dialekte. Genau genommen sind sie hoch- und höchstalemannische (Letzteres gilt z.B. für die Walliser) Dialekte. Und so hat Regine Klett (natürlich) völlig recht mit dem Dialekt. Üblicherweise sehen das auch Schweizer so – sie reden höchstens von „Mundart“ und nicht von „Dialekt“. Die sagenhaften parlamentarischen Vorstösse (und die in Zürich angenommene Volksinitiative) fordern deshalb auch nicht „Schwiizerdeütsch im Kindergarten“, sondern „Mundart im Kindergarten“ (der Kindergarten heisst in Mundart üblicherweise „Chindsgi“ – mit ein bisschen Übung schafft ein Alemanne dieses Wort 🙂
Aber, aber Frau Klett,
dass die Schweizer ein „Dialekt“ sprechen, werden sie gar nicht gerne hören. Ich wurde jedenfalls schon mehrfach von Schweizern korrigiert, dass hier kein Dialekt gesprochen wird, sondern Schwyzerdütsch eine Nationalsprache ist.
Die SVP Thurgau spreizt die politischen Flügel eben weit: die drei Kantonsräte, die sich mit „zu vielen“ Deutschen an der PH und der Mundart im Kindergarten (wieder einmal) in Gespräch bringen wollen, bilden den äussersten rechten Rand der Partei. Die gleiche SVP-Fraktion hat vor noch nicht allzu langer Zeit mit grosser Mehrheit dem kantonbalen Volksschulgesetz zugestimmt, in dem verankert ist, dass im Kindergarten (der in der Schweiz eher eine Vorschule ist) mindestens während eines Teils des Unterrichts Schriftdeutsch gesprochen werden muss. Die SVP Thurgau hatte ja sogar zuerst verpasst, dass sie nach dem Willen ihrer Schweizer Mutterpartei eigentlich gegen zwei Jahre Pflichtkindergarten hätte sein müssen, weil das angeblich die armen 4-Jährigen dem Elternhaus entreisst. Später hat sie dann mit einer Initiative verhindert, dass der Thurgau einer Übereinkunft der Kantone beitritt, welche die Schulwesen angleichen will. Die konkreten Angleichungen – eben 2 Jahre Kindergarten und Englisch als erste Fremdsprache – blieben aber im Gesetz. Nicht alles wird bei der Thurgauer SVP so heiss gegessen, wie es die drei „Blocher-Buben“ (nach SVP-Übervater Christoph Blocher) gerne hätten.
doch, doch die „heimat-zentrierten“ haben diese zusammenarbeit schon mitbekommen, ist doch die chefin des departementes für erziehung und kultur eine stramme SVPlerin.
um sich den ruf einer heimatbezogen partei zu erhalten reicht es ein paar populäre vorstösse zu machen. jetzt vor den wahlen ist die imagepflege besonderst wichtig!