Parteitaktische Spielchen am 13. November

Nachdem sich die Wahlkampfwolken verzogen haben und die Wunden geleckt sind, wäre eine kleine Bilanz der eidgenössischen Parlamentswahlen nicht fehl am Platze. Im Blick auf den Thurgau allerdings eher eine Zwischenbilanz, denn noch steht nicht mit letzter Sicherheit fest, wer tatsächlich künftig den Kanton in Bern vertritt. Dies entscheidet sich erst mit dem Zweiten Wahlgang für den Ständerat am 13. November.

Das wichtigste Ergebnis der Nationalrats- und Ständeratswahlen ist bekannt: Zum ersten Mal seit den 1990er Jahren hat die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) beachtliche Verluste hinnehmen müssen, und dies nicht nur schweizweit, sondern unter anderem auch in einigen Ostschweizer Kantonen. Sogar SVP-Übervater Christoph Blocher wurde im Kanton Zürich, seiner Hochburg, persönlich abgewatscht. Doch der 71 jährige gibt sich gelassen, gar einsichtig und räumt ein: Die SVP hat Fehler gemacht.

Vor allem jüngere Wählerschichten, so sehen es Analysten, stoße der zunehmende Rechtsruck der SVP ab, die eindimensionale Argumentation und nicht zuletzt die Holzhammer-Methoden des Vorgehens, wie beispielweise jüngst die Kampagne gegen die „Masseneinwanderung“ mit jenem – übrigens von einer deutschen Agentur entwickelten – martialischen Plakat, mit dem die SVP die gesamte Schweiz überzog (seemoz berichtete). Nun, kurz nach der Wahl waren alle Plakate verschwunden.

Auch im Thurgau hat die SVP Stimmen verloren, konnte dennoch ihre drei Sitze im Nationalrat verteidigen. Die meisten Stimmen erhielt auch diesmal wieder der durchaus SVP-kritische Peter Spuler, Chef der Firma Stadler-Rail in Bussnang, die auch die schönen Seehas-Züge baut. Ebenfalls verloren hat die FDP und büßte damit ihren Sitz im Nationalrat ein. Der Wirtschaftspartei fehlt es, nicht nur im Thurgau, seit einiger Zeit an kantigen, profilierten Politikern, etwa vom Schlag eines Ernst Mühlemann, dem allüberall bekannten, 2009 verstorbenen langjährigen Thurgauer FDP-Nationalrat. Der FDP-Sitz geht an die neue Grünliberale Partei (GLP). Damit verteilen sich die sechs dem Thurgau im Nationalrat zustehenden Sitze also auf drei SVP-Abgeordnete sowie je einen Vertreter von CVP, SP und GLP.

Geringe Wahlbeteiligung

Doch neben Parteien und Politikern ist bei Wahlen auch noch ein anderer Aspekt interessant, ein Aspekt, dem in der Schweiz üblicherweise kaum Beachtung geschenkt wird: Die Wahlbeteiligung. Und es erstaunt immer wieder festzustellen, wie gering im Land der hierzulande so hoch gelobten „direkten Demokratie“ das Interesse der Bürger an Wahlen und Abstimmungen tatsächlich ist.

Während bei uns die vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung von 72 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 lauthals beklagt wurde, beteiligten sich jetzt an der Wahl des eidgenössischen Parlaments schweizweit gerade mal knapp 50 Prozent (49,1 %) der Wahlberechtigten. In den Kantonen Thurgau und St. Gallen war die Wahlbeteiligung mit rund 47 Prozent noch geringer, in der Stadt Kreuzlingen waren es sogar nur 43 Prozent, was andererseits schon wieder viel ist im Vergleich beispielsweise zur jüngsten Gemeinderatswahl in der Nachbarstadt mit einer Wahlbeteiligung von nur 28,5 Prozent.

Zweiter Wahlgang

Doch die Sache ist noch nicht zu Ende, denn im Thurgau wie auch in zahlreichen anderen Kantonen gibt es bei der Ständeratswahl einen zweiten Wahlgang. Denn bei der Wahl der Vertreter für die kleine Kammer gilt das Mehrheitswahlrecht – im Gegensatz zur Verhältniswahl beim Nationalrat – das heißt, gewählt ist im ersten Wahlgang nur, wer die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Im zweiten Wahlgang reicht dann die einfache Mehrheit.

Im ersten Wahlgang bereits geschafft hat es der allseits bekannte Kandidat der SVP, Roland Eberle, unter anderem von 1994 bis 2002 Mitglied der Thurgauer Kantonsregierung. Am 13. November geht es also noch um den zweiten Thurgauer Sitz im Ständerat. Und da wird es jetzt ein bisschen kompliziert. Denn bei den gleichzeitig stattfindenden Nationalrats- und Ständeratswahlen sind Doppelkadidaturen möglich, das heißt ein Kandidat/eine Kandidatin kann sowohl auf der Nationalrats- als auch auf der Ständeratsliste geführt und auch gewählt werden. Ein Doppelmandat allerdings ist nicht möglich, also Sitz entweder in der einen oder in der anderen Kammer.

Parteitaktische Spielchen

Das bedeutet aber auch, dieses Verfahren, das inzwischen vielfach kritisiert wird, lässt viel Raum für parteitaktische Spielchen. Am Beispiel Thurgau sehen diese so aus: Brigitte Häberli, seit 2003 für die Thurgauer CVP im Nationalrat, hat diesmal nicht nur erneut für die große Kammer kandidiert, sondern auch für den Ständerat. Ihren Nationalratssitz hat die Kauffrau aus dem Hinterthurgau auch erfolgreich verteidigt und damit ihrer Partei diesen Sitz im Parlament gesichert.

Bei der Ständeratswahl erreichte sie nicht die absolute Mehrheit und landete hinter Roland Eberle nur auf Platz zwei. Doch Häberli möchte – oder soll aus Parteiräson – in den Ständerat und hat auch gute Chancen, den zweiten Thurgauer Sitz in der kleinen Kammer doch noch zu gewinnen. Jedenfalls erreichte ihr Gegenkandidat, der etwas farblose Weinfelder Gemeindeammann Max Vögeli (FDP) im ersten Wahlgang weit weniger Stimmen. Überlegung also: Wird Häberli in den Ständerat gewählt, bleibt der CVP-Sitz im Nationalrat dennoch erhalten. Ihn besetzt dann ihr Parteikollege Christian Lohr, der bei der Nationalratswahl auf dem zweiten Platz landete.

Für den Kreuzlinger mit deutschen Wurzeln ginge damit im dritten Anlauf ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Denn der von Geburt an schwerbehinderte Journalist landete bei den Nationalratswahlen 2003 und 2007 jeweils knapp hinter seiner Parteikollegin Häberli. Christian Lohr ist ein engagierter Politiker: Seit 1999 für die CVP im Kreuzlinger Gemeinderat, seit 2000 zusätzlich auch im Thurgauer Kantonsparlament, dessen Präsident er von 2008 bis 2009 war. Daneben engagiert sich der 49 Jährige unter anderem vielfältig im Behindertenbereich. Jetzt sieht er sich kurz vor dem Ziel, rührt auch kräftig – und nicht ganz uneigennützig – die Werbetrommel für seine Kollegin Häberli. Doch die beiden haben inzwischen Gegenwind, nachdem die Thurgauer SVP ihre Anhänger dazu aufgerufen hat, bei der Stichwahl am 13. November den FDP-Kandidaten zu unterstützen. Das Rennen ist also noch nicht gelaufen.

Autorin: Regine Klett