Wie Betriebsschließungen verhindert werden können…
…wenn Belegschaft, Gewerkschaften, Behörden und die Bevölkerung zusammenstehen und koordiniert vorgehen, zeigt ein Beispiel aus der Schweiz. Oder aber auch nicht, zeigt ein weiteres Beispiel aus der Schweiz. Dennoch: Die Parallelen zum Takeda-Crash in Konstanz sind überdeutlich. Beim Pharmamulti Novartis wurde der Abbau von 1320 Arbeitsplätzen verhindert, beim Pharmamulti Takeda der von 710 nicht. Was ist da anders gelaufen? Einschätzungen aus Nyon, St. Gallen und – im Hinterkopf – aus Konstanz.
Ganz im Osten und ganz im Westen der Schweiz fanden in den letzten Wochen beinahe parallel zwei Arbeitskämpfe statt. Swissprinters, die größte Druckerei der Schweiz, hatte Mitte Oktober 2011 angekündigt, ihre Werke in St. Gallen und Zürich zu schließen und 300 Leute auf die Straße zu setzen. Der Pharmamulti Novartis ließ Ende Oktober verlauten, er wolle sein Werk in Nyon schließen. 320 Personen sollten entlassen, weitere 300 Stellen verlegt werden. Gleichzeitig kündigte Novartis an, in Basel mehr als 700 Stellen zu streichen. Am selben Tag gab der Pharmamulti einen Konzerngewinn von acht Milliarden Franken für die ersten neun Monate des Jahres bekannt.
Mittlerweile sind beide Arbeitskämpfe ausgefochten. Die St. Galler Druckerei, die älteste der Stadt, schließt Mitte des Jahres endgültig. Ein Teil der 173 Entlassenen hat den Betrieb bereits verlassen. Die übrigen werden es in den kommenden Monaten tun. 77 Mitarbeitende haben laut Angaben der Regierung eine «Anschlusslösung» gefunden. «Es wäre mehr dringelegen», zeigt sich Dominik Dietrich, Sekretär der Gewerkschaft Syndicom, enttäuscht. Ganz anders tönt es in Nyon. «Ein historischer Sieg!», jubelt Yves Defferrard, Sekretär der Gewerkschaft Unia. Anfang letzter Woche hat Novartis mitgeteilt, auf die Schließung des Werks in Nyon und auf Entlassungen zu verzichten. In Basel wird nur ein Drittel des ursprünglich vorgesehenen Stellenabbaus umgesetzt.
Die Politik mischt sich ein …
Dabei hatte es gut begonnen in St. Gallen: Gegen die beabsichtigte Schließung der gut ausgelasteten Druckerei durch die Mehrheitsaktionärin, den Großverlag Ringier, regte sich zunächst Widerstand. Ein Teil der Betroffenen organisierte sich in einem Komitee und forderte wenigstens eine teilweise Weiterführung der Druckerei. Es gab Protestmärsche zur Olma-Messe und eine Kundgebung in Zürich vor dem Ringier-Sitz. Doch die Geschäftsleitung hielt an der Schließung fest. Als Begründung wurden der starke Franken sowie Überkapazitäten im Druckbereich genannt – obwohl der Verwaltungsrat nachweislich schon vor zwei Jahren entschieden hatte, den Betrieb dicht zu machen.
Auch in Nyon war die Belegschaft umgehend aktiv geworden. Auf einer Betriebsversammlung forderten die Angestellten Einblick in den Bericht der US-amerikanischen Beratungsfirma, die das Ende des Werks empfohlen hatte. Das Motto lautete: «Wir kennen unseren Betrieb besser als die amerikanischen Experten» Unter dem Druck von weiteren Versammlungen und Demonstrationen versprach Novartis Einblick in den Bericht – ein erster Sieg des Personals.
Bald stieg im Kanton Waadt auch die Politik in den Arbeitskampf ein: Anfang November verlangten das Kantonsparlament sowie die achtzehn Waadtländer NationalrätInnen – quer durch alle Parteien – einstimmig die Rücknahme der Schließungsentscheidung. Einige Tage später doppelte das Genfer Kantonsparlament nach: Es gehe darum, dem rasanten Abbau von industriellen Arbeitsplätzen im Genferseebogen entgegenzutreten. Mehrere ÄrztInnen in den beiden Kantonen gaben bekannt, im Falle der Schließung keine Novartis-Produkte mehr zu verschreiben. Letztlich wurde der zuständige Bundesrat Johann Schneider-Ammann eingeschaltet. In der Folge fanden mehrere Gespräche mit der Novartis-Konzernleitung statt. Vor allem der liberale Volkswirtschaftsdirektor Philippe Leuba, der freisinnige Regierungspräsident Pascal Broulis und der frühere Gewerkschaftsfunktionär und heutige sozialdemokratische Gesundheitsminister Pierre-Yves Maillard setzen sich vehement für den Standort Nyon ein.
… oder eben nicht
In St. Gallen hingegen haben sowohl die Kantons- wie auch die Stadtbehörden bei der größten Massenentlassung der letzten Jahre die Hände in den Schoss gelegt. «Der Abbau von Arbeitsplätzen ist ein unternehmerischer Entscheid, den der Kanton nicht verhindern kann», dozierte die Regierung als Antwort auf eine SP-Anfrage im Großen Rat. Die Rolle des Staats sei es, «neutrale Instanz» zu sein und die Entlassungsfolgen abzufedern. Volkswirtschaftsdirektor Benedikt Würth (CVP) wollte zunächst nicht einmal SP-Ständerat Paul Rechsteiner empfangen, der sich bei ihm für die Entlassenen einsetzen wollte. Dann kam es doch noch zu einem Treffen mit einer Abordnung der Betroffenen sowie einem Gespräch mit der Swissprinters-Führung, das jedoch ohne konkrete Folgen blieb.
Würth nahm damit den Verlust von 173 Arbeitsplätzen in Kauf – notabene alles Steuerzahlende. Absurd: Zur gleichen Zeit gab er die Ansiedlung der Firma Transoil AG in St. Gallen als Highlight der Standortförderung bekannt. Transoil ist eine Ölhandelsfirma, die in Osteuropa Geschäfte macht. Sie besteht aus gut zwei Dutzend Rohstoffhändlern, die nun in einer alten Herrschaftsvilla am Stadtrand residieren. Ob die Ansiedlung mit Steuernachlässen versüßt wurde und ob die Händler in St. Gallen überhaupt Steuern zahlen, will die Wirtschaftsförderung nicht sagen. Nach der Überzeugung der Beschäftigten von Swissprinters hätten etwa 70 Arbeitsplätze im spezialisierten Druckbereich gerettet werden können.
Solidarität als Schlüsselelement
Die Rolle der PolitikerInnen blieb nicht der einzige Unterschied. Die Mobilisierung und die Solidarität waren in der Romandie weit stärker als in der Ostschweiz (von Konstanz ganz zu schweigen). So demonstrierten Mitte November 2500 Menschen in Nyon vor der Schließung gegen die Schließung des Novartis-Werks, während in St. Gallen ein Protest auf der Straße ausblieb. Und als am 16. November das ganze Waadtländer Werk in den Streik trat, machten alle mit – vom Pförtner bis zum Manager. «Streiken ist nicht das Ziel, aber ein legales Mittel, wenn der Arbeitsfrieden faul ist», sagte Claude Dupertuis, der stellvertretende Gemeindepräsident von Nyon.
Der Druck wirkte: Novartis-Generaldirektor Joe Jimenez besuchte das Werk zwei Tage nach dem Streik und versprach, alle Vorschläge, die zur Rettung führen könnten, zu prüfen. In einem eindrücklichen Experiment in Betriebsdemokratie machten in der Folge alle Angestellten Vorschläge, wie rentabler und besser gearbeitet werden könnte. Eine interne Expertengruppe bündelte die Vorschläge. Daraus entstanden zwei Prämissen: keine Entlassungen in Nyon, aber auch kein Weiterschieben des «Schwarzen Peters» an ein anderes Novartis-Werk. Kurz vor Weihnachten überreichte dann die Gewerkschaft Unia der Novartis-Spitze eine Petition mit 16 148 Unterschriften gegen die Entlassungen in Nyon und Basel. Sie waren in weniger als zwei Monaten in der ganzen Schweiz gesammelt worden.
In St. Gallen verpufften die Wut und der Druck der Angestellten derweil: Als Ende November die endgültige Schließungsentscheidung fiel, verließen sie den Betrieb und versammelten sich auf dem gegenüberliegenden Grundstück. Dort hatte die Gewerkschaft Syndicom ein Zelt samt Bratwurststand aufgestellt. Die konsternierten Angestellten hatten eine Wut im Bauch. Ein 24-stündiger Warnstreik wäre ohne Weiteres möglich gewesen. Unter dem Druck von Vorgesetzten, die sich gegen einen Streik aussprachen, sowie aufgrund von Versprechungen von Geschäftsleiter Alfred Wälti, man könne über eine Sonderprämie reden, kehrte ein Teil der ArbeiterInnen an den Arbeitsplatz zurück. Der Streik war gebrochen, eine gemeinsame Aktion nicht mehr möglich.
Millionen für Novartis
Auch Privatbankier Konrad Hummler wollte sich nicht für die Druckerei einsetzen, obwohl er Verwaltungsratspräsident der NZZ, der wichtigsten Zeitung in der Schweiz, ist, die an Swissprinters beteiligt ist, und obwohl der Druckereibetrieb eine hohe Miete – manche sagen: eine viel zu hohe Miete – an die NZZ abliefern muss. Hummler drückte sich mit der Aussage vor der Verantwortung, er könne hier «nichts ausrichten». Mit Blick auf Nyon meint Syndicom-Sekretär Dominik Dietrich: «Hätten uns die Behörden unterstützt, wäre es anders gekommen.»
Aber auch in der Waadt forderte der gewonnene Arbeitskampf einen hohen Preis: Novartis erhält im Kanton Waadt eine substanzielle Steuererleichterung in unbekannter Höhe. Zugleich wird ein Terrain im Besitz des Pharmamultis in Bauland umgewidmet – der Mehrwert wird auf bis zu neunzehn Millionen Franken geschätzt. Dieser Deal hat in anderen Kantonen für Kopfschütteln gesorgt.
Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis: Wenn Belegschaft, Gewerkschaften, Behörden und die Bevölkerung zusammenstehen und koordiniert vorgehen, kann ein Arbeitskampf erfolgreich geführt werden. Und offenbar ist es für bürgerliche PolitikerInnen einfacher, sich gegen einen US-dominierten Multi zu wehren als gegen einen lokal verankerten Traditionsbetrieb.
Autor: Helen Brügger, Nyon, und Ralph Hug, St. Gallen/WOZ
@Hendrik: kann ich nur zustimmen. Denn welche Arbeitnehmer kümmern sich sonst um Kollegen bundesweit, die auch ihre Stelle verlieren?
Erst wenn Betriebsschließungen, Verlust der Arbeitsplätze spruchreif sind, setzt die Gegenwehr ein. Als Außenstehender fragt mann sich, was haben die Arbeiter und Angestellten davor für die Sicherung ihrer Arbeitsplätze getan? Wie hoch war der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Betrieb, das Interesse und die Unsterstützung der Betriebsratsarbeit? Wenn die Entscheidung des Unternehmes gefallen ist, dann Protestaktionen zu entwickeln ist sinnvoll, aber in den wenigsten Fällen von Erfolg gekrönt. Meine Solidarität mit den Betroffenen hält sich in Grenzen.