Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (57)

Der praktische Philosoph

Ins Meer mit denen vom Festland!, lautete die Parole des vor 125 Jahren geborenen Sarden, ins Meer mit den ausbeuterischen Bergwerkbesitzern, mit den Käse-Baronen, die schamlos niedrige Milchpreise zahlten, mit den Steuereintreibern und den Wirtschaftspolitikern, die die Industrie Norditaliens schützten, die BäuerInnen Sardiniens aber von ihren Absatzmärkten isolierten! Ins Meer damit!Denn wenn es, wie 1906, wegen der sardischen Missstände zu Revolten kam, kannte die Regierung in Rom nur eine Antwort: militärische Gewalt. Damals glaubte er, gerade fünfzehnjährig, dass nur die Abspaltung von Italien die Probleme Sardiniens lösen könne.

Als sieben Jahre später auch Arbeiter und Bauern zur Wahlurne durften, sah er aber, dass die Konfliktlinie gar nicht zwischen Festland und Insel verlief: Auch die sardischen Eliten versuchten, Hand in Hand mit Justiz, Polizei und Kirche, zu verhindern, dass sich jemand für die Interessen des Landproletariats einsetzte. Er trat, inzwischen Philologiestudent in Turin, der Sozialistischen Partei (PSI) bei und wurde Redakteur verschiedener linker Publikationen. 1919 gründete er die Zeitung „L’Ordine Nuovo“, versorgte die Turiner Fabrikräte-Bewegung mit Ideen und Informationen und half tatkräftig mit, als es diesen gelang, die Leitung der Fabriken zu übernehmen.

„Pessimismus des Verstands und Optimismus des Willens“ forderte er von seinen GenossInnen: eine nüchterne Analyse der jeweiligen Gegebenheiten und beherztes Hinarbeiten auf eine bessere Zukunft. Dabei maß er der Bildung eine wichtige Rolle zu, da „jeder Revolution eine intensive kritische und kulturelle Arbeit vorausgehen“ müsse. Dem PSI prophezeite er, dass es zu einer „furchtbaren Reaktion der besitzenden Klasse“ käme, wenn er sich jetzt nicht für die „Eroberung der politischen Macht durch das revolutionäre Proletariat“ engagiere.

Als der PSI sich nicht bewegte, kam es 1921 zum Bruch: Er hob die Kommunistische Partei mit aus der Taufe und zog für sie 1924 ins Parlament ein. Zwei Jahre später verhafteten ihn Benito Mussolinis Schergen, um, wie der Staatsanwalt erklärte, „für die nächsten zwanzig Jahre [zu] verhindern, dass dieses Gehirn funktioniert“. Das schafften sie nicht, auch wenn er 1937 entkräftet starb.

Wer war der eineinhalb Meter große Philosoph der kulturellen Hegemonie, der durch seine Gefängnisaufzeichnungen unsterblich wurde?

Text und Collage: Brigitte Matern

Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.