Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (62)

Die abstinente Netzwerkerin

Heinrich Rothmund, Chef der Schweizer Fremdenpolizei, schäumte: Wenn sie im spanischen Bürgerkrieg nur die republikanische Seite unterstützen wolle, spalte sie die Schweiz und gefährde die Neutralität, wetterte er. Doch sie brauchte Rothmunds Segen nicht. Die Ayuda Suiza, ein breites Bündnis für das notleidende Spanien, kam auch so zustande. Das war 1937. Das „vorlaute Frauenzimmer“ (so Rothmund) hatte daraufhin alle Hände voll zu tun, damit Kleider, Nahrung, Transportmittel organisiert, Mütter und Kinder aus den bombardierten Städten evakuiert, Flüchtlingsheime eingerichtet, medizinische Hilfe bereitgestellt werden konnte. Daneben klärte sie mit zahllosen Vorträgen die Schweizer Bevölkerung über diesen „Exerzierplatz für die künftigen Auseinandersetzungen zwischen Diktatur und Demokratie“ auf und sorgte für regen Spendenzufluss.

Zur Welt gekommen war die Sozialaktivistin 1889 in Zürich. Der Vater, ein dem Alkohol zugeneigter Kaufmann aus Riga, hätte sie gern als Ärztin gesehen, sie selbst hielt sich dazu manuell aber für zu ungeschickt. Schauspielerin durfte sie allerdings auch nicht werden; vorher, versprach der Vater, drehe er ihr Arme und Beine aus. So wurde sie Lehrerin und – fasziniert von den Ideen einer gerechten Gesellschaft – überzeugte Sozialistin.

1915 heiratete sie und folgte ihrem Mann in die Nordostschweiz, wo sie als verheiratete Frau aufgrund der dortigen „Hinterwäldlerordnung“ ihr Lehramt aufgeben musste. Stattdessen hob sie die Schaffhauser Frauenzentrale aus der Taufe, wirkte an einer Studie über HeimarbeiterInnen mit, trat in die SP ein und versuchte – leider vergeblich –, die Kleinhandelsreisenden in einem Berufsverband zusammenzuschließen.

1933 beriefen SP und Schweizer Gewerkschaftsbund sie dann zur Leiterin der Arbeiterkinderhilfe (dem späteren Schweizerischen Arbeiterhilfswerk), und von Stund an kannten ihre Tage kein Ende mehr. Mit dem Siegeszug des Faschismus in Europa hieß es Kinder in Sicherheit bringen, verfolgte GenossInnen unterstützen, JüdInnen retten. Ihre Wohnung wurde zur Notunterkunft für Geflüchtete und zur Schaltstelle der Colis suisses, jener Hilfspakete, die in den Flüchtlingslagern Tausenden überleben halfen, auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis 1951 führte sie das Hilfswerk weiter, organisierte, intervenierte bei Behörden, netzwerkte. Und half dann auch noch der Schweizer Entwicklungshilfe auf die Beine.

Wer war die 1972 verstorbene Uno-Mitarbeiterin, die sagte, dass für eine wirkungsvolle Hilfe ein gutes Herz nicht genüge, denn es brauche auch „eine klare Vorstellung von den Ursachen der Not und ein eindeutiges Ziel“?

Text und Collage: Brigitte Matern

Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.