Erfinder, „Brandstifter“, Demokrat
Jakob Friedrich Kammerer (1796-1857) stellte das erste Phosphor-Reibzündholz her, dessen Flamme gleichmäßig brannte. Unklar ist, wer aber tatsächlich als Erfinder für das Zündholz gilt, denn etwa zehn andere Tüftler beanspruchen diese Auszeichnung ebenfalls für sich. Kammerer aber war nachweislich der Erste, der die Mischung des Zündkopfes verfeinerte und dem es gelang, damit erfolgreich in die industrielle Fertigung einzusteigen. Eine Erinnerung an einen in vielerlei Hinsicht interessanten Zeitgenossen.
In der schwäbischen Kleinstadt Ehningen, nicht weit weg von Ludwigsburg, wurde Jakob Friedrich Kammerer 1796 geboren. Er war das zweitjüngste von insgesamt sieben Geschwistern. Sein Vater übte den Beruf des Siebdruckers aus. Nach dem Tod des Vaters übernahm Kammerer junior zusammen mit seiner Mutter die Siebmacherei und pachtete dazu die Gastwirtschaft „zur Katharinenpläsir“ in Ludwigsburg. Doch Kammerer überwarf sich mit dem Besitzer und wechselte erneut den Beruf: Er wurde Hutmacher, entwarf fantasievolle „Rosshaarkappen“, „Seiden- und Rohrhüte“. Umtriebig war er, stets neugierig, begierig, ständig Neues zu erfinden oder Altes weiter zu entwickeln. Durchaus einer in der langen Reihe der legendären schwäbischen Erfinder und Tüftler.
1831 tauschte der geschäftstüchtige Schwabe seine Seidenhüte gegen mehrere sogenannte Platinazündmaschinen ein. Um Feuer zu machen, musste man damals umständlich mit Feuerstein, Zunder und Stahl hantieren. Kammerer sann auf eine Verbesserung. Nach unzähligen Versuchen in einem Schuppen hinter seinem Haus gelang es ihm, Phosphor mit Schwefel und sauerstoffhaltigem Kaliumchlorat in einem kleinen Zündkopf zu binden. Wir schreiben das Jahr 1832 und das Phosphorreibestreichholz war erfunden, sozusagen der Vorläufer unseres heutigen Sicherheitsstreichholzes. Kammerers Anspruch auf diese bahnbrechende Erfindung wurde aber abgelehnt, denn zu dieser Zeit gab es noch kein Patentgesetz in Deutschland.
Dazu kam, dass Kammerer den damaligen Feudalherren ein Dorn im Auge war. Kammerer galt als antimonarchistisch und sympathisierte offen mit den Demokraten, die für eine Veränderung der politischen Verhältnisse eintraten. Kammerer schloss sich dementsprechenden Kreisen an, forderte demokratische Reformen und half mit bei der Verbreitung revolutionärer Publikationen. Schließlich wurde er 1833 auf der Festung Hohenasperg in Untersuchungshaft genommen. Nach seiner Entlassung bastelte er weiter an seinen chemischen Experimenten und produzierte in großer Zahl seine Zündhölzer, die er europaweit vertreiben ließ. 1936 beschäftigte er rund 400 Mitarbeiter*innnen, die bis zu 400 000 Hölzer am Tag herstellten.
Anfang 1838 wurde er „wegen intellektueller Beihilfe zu einem versuchten Hochverrat“ zu einer zweijährigen Festungshaft verurteilt, entzog sich aber der Strafe und floh in die benachbarte Schweiz. In Riesbach, einem kleinen Ort bei Zürich, baute er eine Zündholzfabrik auf und schon ein Jahr später blühte auch dieses Unternehmen auf und exportierte Zündhölzer in alle Welt.
Nach dem Zusammenbruch der deutschen 1848er Revolution nahm Kammerer viele politische Flüchtlinge aus der Heimat in seinem „Württemberger Haus“ auf, darunter auch Georg Herwegh und Friedrich Hecker. Er unterstützte sie in jeder Hinsicht, oft bis zum eigenen finanziellen Niedergang.
1847 kehrte Kammerer wieder nach Deutschland zurück, doch seine Zündholzproduktion durfte er nicht wieder aufnehmen. Er litt zunehmend an einer schweren Nervenkrankheit und starb am 23.Oktober 1857 in Ludwigsburg. Dort erinnert ein Gedenkstein an den schwäbischen Genius. In der Ortsmitte seiner Geburtsgemeinde Ehningen hat man ihm ein Denkmal errichtet und seit 1980 trägt die Grund- und Hauptschule seinen Namen.
Text: H. Reile
Symbolbild: Pixabay
Zur Erfindung des Zündhölzchens kommt mir nicht der aufrechte Demokrat Jakob Friedrich Kammerer, sondern die Phosphornekrose in den Sinn. Der anfangs zur Herstellung der Zündhölzer verwendete weiße Phosphor ist hochgiftig, die Berichte über die Berufskrankheiten der Zündholzarbeiter ragen aus den Berichten über die Arbeitsbedingungen im 19. Jahrhundert als besonders grausam heraus.
In den Zündholzfabriken arbeiteten zumeist Kinder, Jugendliche und junge Frauen, da es sich um körperlich leichte Arbeit handelte. Am Arbeitsplatz war die Luft so mit Phosphor durchsetzt, dass deren „Wände und Einrichtungsgegenstände nachts leuchteten und „die Arbeiter oft solche Mengen an Phosphordämpfen einathmeten, daß im Dunkeln ihr Athem leuchtend wurde.“
Der eingeatmete Phosphor führt im Körper zu einem Zerfall der Eiweiße. Aus der mit Zahnschmerzen verbundenen Schwellung der Kiefernschleimhaut entwickelen sich Eiterherde, die sich immer weiter ausbreiteten. Nur selten war es möglich, die Krankheit in diesem Stadium noch zu stoppen. Bald trat nicht mehr nur Eiter aus, „sondern blutgemischte Jauche, der oft Knochenstücke beigemengt sind. Der Knochen ist angefressen, er ragt oft ganz nackt in die Mundhöhle hinein.“
Die Phosphornekrose ließ sich nur noch durch eine Amputation des Unterkiefers, oft auch von Teilen des Oberkiefers aufhalten, wenn der Kiefernknochen nicht von selbst abgestoßen wurde. Oft aber war es nicht möglich, die Krankheit zum Stillstand zu bringen – eitrige Meningitis oder Sepsis brachten den qualvollen Tod.
Kammerers „Zündholzfabrik“ im zürichschen Riesbach war übrigens keine Fabrik in unserem Sinn: Er arbeitete dort in einen kleinen Holzschopf und hielt sich nur einen Gesellen, die Produktion war reine Handarbeit. Erst ab 1841 betrieb Kammerer in Seebach (jetzt Zürich) eine chemische Fabrik, die er, gesundheitlich angeschlagen, alsbald seinem Sohn Theodor übergab. Ob der weiterhin auch Zündhölzer herstellte, ist nicht bekannt.
Die Verwendung des giftigen „weißen Phosphors“ (P4) wurde 1906 durch eine völkerrechtliche Konvention verboten. Die ist mit Modifikationen bis heute gültig und von etwa 50 Staaten unterzeichnet. Die USA und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion gehören nicht dazu.
Zitate aus Schieber, Georg Rudolf Albrecht „Gesundheitsbuch für die Phosphorzündwaarenfabrikation mit Berücksichtigung der Hausindustrie“, Berlin 1898
Quellen: Schweizerisches Zündholzmuseum, hier besonders „s’Zünhölzli“ Nr. 3/2003