„Nicht zeitlebens Sklave des Kapitals bleiben“ (II)

Vor 150 Jahren begann die Geschichte der Konstanzer Mediengewerkschaften, die ein Thema eines neuen Buches ist (siehe auch den ersten Teil der Besprechung). Sie war lange vor allem eine Geschichte der Klassenkämpfe in der christlich-konservativen Provinz, profitierte aber auch von der Randlage zur freiheitlicheren Schweiz. Nach 1945 entstanden schließlich die bundesdeutschen Einheitsgewerkschaften heutiger Prägung, die in den siebziger Jahren noch epochale Streikbereitschaft zeigten, sich aber seit Jahrzehnten im Niedergang befinden.

Der erste Konstanzer Aldi, vor rund 50 Jahren an der Bodanstraße eröffnet, war damals eine echte Attraktion für nah und fern, alt und jung, arm und arm, und stets brechend voll, so dass man nur allzu oft schon in der sich durch den gesamten Laden windenden Schlange zur Kasse stand, sowie man die erste Fußspitze gegen alle menschlichen Widerstände überhaupt nur über die Schwelle geschoben hatte. Heute befindet sich in diesen Räumen in der Bodanstraße 19 „Denns BioMarkt“. Nichts aber erinnert mehr daran, dass hier vor anderthalb Jahrhunderten in der „Meßmer’schen Restauration“, der kleinsten der damals elf Konstanzer Brauereien, die Gewerkschaften tagten und sich Arbeiter und Soldaten mit den Mädchen „zum Tanz“ trafen, stets skeptisch beäugt und belauscht von Polizeispitzeln. Genauso wenig ist der „Tollen Knolle“ am Bodanplatz anzusehen, dass hier einst – sie hieß damals noch „Helvetia“ – „Agitatoren“ gewerkschaftliche und sonstige Aufklärung trieben.

Schmuggler am Inselhotel

Konstanz mit seinen 1871 rund 10.000 EinwohnerInnen (1890 waren es bereits 21.445) war wenig entwickelte Provinz, hatte kaum Industrie und diente vielen Gesellen eher als Zwischenstation auf ihrer Wanderung in die Schweiz. Als 1870 der hiesige Ortsverein des Verbands deutscher Buchdrucker gegründet wurde, dürfte es in Konstanz vielleicht zehn Druckereien mit insgesamt nur 5-10 angestellten Buchdruckern und Schriftsetzern gegeben haben. In den meisten Betrieben stand der Besitzer selbst an der Maschine, nur große Unternehmen wie Stadler beschäftigten überhaupt Personal, wie die AutorInnen der „etwas anderen“ Stadtgeschichte „Druck. Machen.“ herausfanden. Trotzdem wuchs die Gewerkschaftsbewegung am See schnell, bis 1878–1890 das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ dazu führte, dass in Konstanz neben der Sozialistischen Arbeiterpartei (Vorläuferin der SPD) und diversen Gewerkschaften auch der Ortsverein der Buchdrucker aufgelöst wurde. Natürlich profitierten die Unternehmer davon, „die Löhne sanken rapide und Ende der 1880er waren 68% des gesamten Personals im Druckgewerbe miserabel bezahlte Lehrlinge“.

Allerdings kam Konstanz in dieser Situation seine geographische Lage zugute. Der Kreuzlinger Schuhmacher Joseph Belli (ein Weg auf dem Chérisy-Gelände erinnert an diesen wackeren Menschen, dessen Autobiographie „Die rote Feldpost unterm Sozialistengesetz“ noch immer äußerst lesenswert ist) schmuggelte Zeitschriften aus Zürich über die Grenze und schickte sie mit falschen Frachtpapieren weiter. Nicht nur am Hörnle und in der Schmugglerbucht landeten die Boote an, sondern weit nach Mitternacht sogar am Inselhotel, von wo das Gedruckte dann als Gepäck abging, gern mit Absenderadressen lokaler Honoratioren getarnt. Auch die Insel Reichenau – übrigens bereits seit dem Dammbau 1838 keine „echte“ Insel mehr – wurde zur Zeit der Sozialistengesetze eine wichtige Zwischenstation, und vielerorts an der Grenze sahen bestochene Zöllner einfach weg – Historie kann eben auch Spaß machen.

Der Aufbruch geschah im Costa

Am 1. Mai 1890 galt das Sozialistengesetz zwar noch, aber an diesem Abend versammelten sich 400 Arbeiter in der Brauereigaststätte Buck (heute „Costa del Sol“ und „Burghof“) und diskutierten unter anderem den Achtstundentag. Ein liberales Lokalblatt äußerte sich damals dahingehend, die Forderung nach einem solchen „Herrenleben“ (den Herren war’s also erlaubt!) widerspreche den sozialen und ökonomischen Verhältnissen.  Das sahen die Arbeiter naturgemäß anders, oder wie es jemand im selben Jahr im heutigen „Costa“ kurz und bündig formulierte: Wir wollen „nicht zeitlebens Sklave des Kapitals bleiben“.

So also begann die Geschichte der Konstanzer Mediengewerkschaft(en), wie es weiterging, ist nicht minder spannend zu lesen … nicht hier, sondern im Buch selbst, dessen Gestaltung übrigens durchaus selbstbewusst und liebevoll in bester kunsthandwerklicher Tradition steht. Für die LeserInnen ist in diesem Fall das Beste gerade gut genug.

Ein lesenswertes Buch

Das Schöne und Fesselnde an dieser Stadtgeschichte ist, dass sie Geschichte zumeist in anschaulichen, von den AutorInnen oft mit großem Zeitaufwand recherchierten Geschichten erzählt und damit die Entwicklung der ArbeiterInnenbewegung anhand der realen Lebenserfahrungen und Nöte der Menschen plausibel macht. So entsteht ein durchaus vielschichtiges Bild, das auch schwarze Flecken wie die blindwütige Abgrenzung der bundesdeutschen Gewerkschaften nach links nicht ausspart: So schloss die Kreisverwaltung der ÖTV 1977 drei Mitglieder wegen ihrer Nähe zum KBW aus. Als die drei ihren Ausschluss auf einer Mitgliederversammlung im Domhotel St. Johann diskutieren wollten, rief die Gewerkschaft die Polizei.

Aber auch die Grenzen, die die Gewerkschaften sich von der bürgerlichen Rechtsordnung der Nachkriegs-BRD setzen ließen, werden deutlich: 1952 verbot das Bundesarbeitsgericht den Streik für ein besseres Betriebsverfassungsgesetz und beschränkte das Streikrecht auf Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen. Der Verzicht auf Streiks für politische Ziele beraubte die Gewerkschaften einer möglichen Waffe, während ihr Klassenfeind den politischen Acker schon immer bestens zu düngen verstand.

„Druck. Machen.“ ist allemal lehrreich: Gemeinsam sind wir stark, und der Klassenfeind wird nicht zögern, die alten Unterdrückungs- und Arbeitsverhältnisse in modernerem Gewand wieder einzuführen, sofern er nicht daran gehindert wird. In diesem Sinne ist wohl auch das Vorwort des AutorInnenkollektivs zu verstehen: „Mit dieser Publikation wollen wir zeigen, dass es sich lohnt, zusammenzustehen – auch heute noch, da im reichen Deutschland die Zahl derer wieder wächst, die an oder unter der Armutsgrenze leben, weil sie einen Lohn bekommen, der zum Leben kaum reicht …“

O. Pugliese (Bilder mit freundlicher Genehmigung der AutorInnen. Oben: Sommer 1930 Sozialistenkongress, Sozialistische Arbeiterjugend (c) Stadtarchiv Konstanz Z1.fi.394.17. Mitte: Bundesweiter Frauenstreiktag 1994 (c) Louise Jochims. Unten: Mai 1932 KPD, Antifaschistische Aktion (c) Stadtarchiv Konstanz Z1.1607.

AutorInnenkollektiv Ralph-Raymond Braun, Patrick Brauns, Pit Wuhrer, Margrit Zepf: „Druck. Machen. Eine etwas andere Stadtgeschichte von Konstanz.“ Querwege Verlag, Konstanz 2021, 184 Seiten, ISBN 978-3-941585-11-9, 19,80 Euro / 25 CHF. Unter Mitwirkung u.a. von Harald Fette und Stefan Frommherz, eines StudentInnenteams der HTWG Konstanz, Prof. Karin Kaiser (HTWG) sowie mit Unterstützung von Vera Breithaupt, Matthias Märkle und Silke Schöttle vom Stadtarchiv Konstanz und von Franz Hofmann vom Kreisarchiv.