Rommel und unsere demokratische Erinnerungskultur (Teil I)

Inwiefern ist Hitlers Lieblings-General Erwin Rommel wirklich „unser“ Rommel – und wie gehen wir mit dem Gedenken an seine Opfer um? Darum entbrannte in Heidenheim an der Brenz, Rommels Geburtsstadt, ein jahrelanger Streit, der jetzt durch das Aufstellen eines „Gegen“denkmals zumindest vorläufig beigelegt wurde. Aus diesem Anlass hielt der profilierte Historiker Wolfram Wette eine lesenswerte Rede von grundsätzlicher Bedeutung, die wir hier ungekürzt in drei Teilen wiedergeben.

Erwin Rommel (1891-1944) genießt als „Wüstenfuchs“ wegen seiner militärischen Erfolge in Afrika einen teils legendären Ruf. 1961, zu Rommels 70. Geburtstag, wurde in Heidenheim ein raumgreifendes Denkmal errichtet, zu dessen Kosten neben Stadt und Land auch der Verband Deutsches Afrikakorps, ein Kriegsveteranen-Verein, erheblich beitrug. Nachdem in den letzten zehn Jahren unter anderem ein Abriss des Denkmals debattiert wurde und eine Erläuterungstafel aufgestellt worden war, fand sich schließlich eine andere Lösung: Am 23. Juli 2020 übergab der Künstler Rainer Jooß der Stadt Heidenheim ein Gegendenkmal, das unmittelbar vor dem bestehenden Rommel-Denkmal platziert ist (siehe Bild). Ein verstümmelter Zivilist wirft ab sofort also einen Schatten auf Rommel und erinnert an die zahllosen Menschen, die damals wie heute im Gebiet um El Alamein (und anderswo) zu Opfern der vermeintlichen Kriegs“helden“ wurden. (red)

An Rommel scheiden sich die Geister*

„An Rommel scheiden sich die Geister. Sein Bleiben oder sein Verschwinden als Kasernenpatron der Bundeswehr wird zeigen, wie ernst es ihr mit der Korrektur der Traditionspraxis ist. Rommel ist der Testfall.“[i] Dieses Diktum stammt von dem Schriftsteller und Publizisten Ralph Giordano (1923-2014). Geschrieben wurde es bereits vor 20 Jahren mit dem Blick auf das Militär – und nicht auf die Zivilgesellschaft, in der nicht unbedingt dieselbe Sichtweise vorherrschen muss.[ii] Bis heute, zwei Jahrzehnte später, geht die Traditionsdebatte weiter.[iii] Nach wie vor gibt es Rommel-Kasernen, Rommel-Straßen, Rommel-Denkmäler, auch das in Heidenheim aus dem Jahre 1961.[iv]

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Giordano, selbst ein Überlebender des Holocaust, versuchte seinem Publikum stets eine Grundeinsicht zu vermitteln, die häufig übersehen oder verdrängt wird. Sie lautet: Nicht die Ermordung der europäischen Juden war das Hauptverbrechen Deutschlands, sondern vielmehr der „Krieg der Waffen“: „Die militärische Aggression auf Europa, auf die Welt, auf die Menschheit – der Krieg: Er war das Hauptverbrechen des Nationalsozialismus.“[v] Es kostete etwa 70 Millionen Menschenleben, auch das der europäischen Juden. Schon Norbert Blüm kannte den Zusammenhang von Krieg und Judenmorden. Er formulierte den schlichten Satz: „Das KZ stand schließlich nur so lange, wie die Front hielt.“[vi]

Die Wehrmacht-Ikone Rommel sei – so Giordano – aus diesem Kontext nicht herauszulösen.[vii] Daher tauge dieser Wehrmachtgeneral auch nicht als traditionsstiftend für die Bundeswehr. Er könne kein Leitbild für Soldaten von heute sein, habe er doch einem verbrecherischen Regime gedient.

Ich möchte im Folgenden den Blick auf drei Phasen der Rezeptionsgeschichte des Kriegshelden Rommel werfen. Die erste betrifft die Kriegszeit, die zweite die Nachkriegszeit, und die dritte Phase begann um 1990 herum, als die Legende von der „sauberen“ Wehrmacht zerstört wurde.

Erste Phase: Die Entstehung des „Mythos Rommel“ zur Zeit des Nordafrikakrieges 1941-1943

Der Rommel-Mythos entstand zur Zeit des Nordafrikakrieges 1941-1943. Was hatte die Wehrmacht in Nordafrika zu suchen? Sie führte dort einen imperialistischen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Die Entsendung deutscher Truppen, unter dem Namen „Afrika-Korps“ bekannt geworden, stand im Jahre 1941 eigentlich nicht auf dem strategischen Fahrplan Hitlers, weil die Wehrmachtführung zu dieser Zeit den Überfall auf die Sowjetunion plante. In Nordafrika eröffnete die deutsche Führung einen Nebenkriegsschauplatz[viii] zur Unterstützung des Achsenpartners Italien unter Mussolini, der einen Krieg um Kolonialbesitz in Afrika gegen die Briten führte. Deutsche strategische Planungen gingen über Ägypten hinaus Richtung Suez-Kanal, nach Palästina, zu den Ölquellen des Nahen Ostens, ja bis nach Afghanistan und Indien.

Unter der Führung des risikofreudigen Panzergenerals Rommel eilten die deutschen und italienischen Streitkräfte im Jahre 1942 zu überraschenden Siegen. Aber es waren nur temporäre Erfolge. Am Ende stand im Mai 1943 die Kapitulation der deutschen und der italienischen Streitkräfte.

Die Siege Rommels bildeten den Stoff, aus dem der Nazi-Propagandaminister Goebbels den Befehlshaber des Afrikakorps als großen deutschen Kriegshelden inszenierte: Als einen unerschrockenen und draufgängerischen Haudegen, als einen ungewöhnlich mutigen Soldaten, der seine Truppen „vorne“ führte, als einen listenreichen Strategen, in der Summe als „idealen Soldaten“. Zugleich präsentierte er ihn – durchaus wahrheitsgetreu – als einen begeisterten Anhänger Hitlers, der seinen „Führer“ bewunderte, ja liebte. So verkörperte Rommel für das deutsche Publikum wie kein anderer Wehrmacht-General den Gleichklang von Wehrmacht und NS-Regime. Rommel wurde zum Star des Nordafrikakrieges gemacht, und dies keineswegs gegen seinen Willen, sondern unter seiner tatkräftigen Mithilfe.

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Auf diese Weise avancierte Rommel im Jahre 1942 in Deutschland zum wohl bekanntesten deutschen Soldaten seiner Zeit. Hinzu kam ein weiteres, auf den ersten Blick merkwürdiges Phänomen: Am Mythos Rommel arbeiteten damals auch die Propagandisten der britischen Kriegsgegner, indem sie ihrerseits die operativen Fähigkeiten des deutschen Feldmarschalls priesen. Das geschah mit dem durchschaubaren Ziel, den britischen Gesamtsieg über die Deutschen und die Italiener in Nordafrika hernach als umso großartiger zu feiern. So kam es, dass Rommel infolge der britischen und amerikanischen Propaganda in der internationalen Öffentlichkeit zum zweitbekanntesten Deutschen – direkt nach Hitler – aufstieg. Das ermittelte eine zeitgenössische Gallup-Meinungsbefragung.[ix]

Der Krieg in Nordafrika war ungemein verlustreich.[x] Mein Freiburger Kollege Gerhard Schreiber bilanziert: Die Alliierten verloren rund 220.000 Menschen (Tote und Kriegsgefangene), und die Achsenmächte hatten 620.000 Verluste, was eine Gesamtzahl von 840.000 bedeutet.[xi] Nicht mitgerechnet sind dabei die getöteten Bewohner der nordafrikanischen Länder Tunesien, Libyen und Ägypten, von den Kriegsparteien offenbar als bedauerliche „Kollateralschäden“ betrachtet.[xii] Angesichts der riesigen Menschenverluste nimmt es nicht Wunder, dass schon die Zeitgenossen den Krieg in Nordafrika mit der ebenfalls sehr verlustreichen Stalingrader Schlacht verglichen.[xiii] Sie sprachen von einem „zweiten Stalingrad“ beziehungsweise von „Tunisgrad“.[xiv]

* Für Kritik und Anregungen danke ich meinen Kollegen und Freunden Detlef Bald, Helmut Donat, Jakob Knab und Klaus A. Maier.

„Hitlers Lieblings-General Rommel und unsere demokratische Erinnerungskultur“, Vortrag von Prof. Dr. Wolfram Wette, Historisches Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., gehalten in Heidenheim am 23. Juli 2020 anlässlich der Einweihung des Gegen-Kunstwerks von Rainer Jooß zum Rommel-Denkmal, veranstaltet von der Stadt Heidenheim. (Bild: Birgit Baumann Stadt Heidenheim)

Weitere Informationen: www.rommel-denkmal.de


[i] Ralph Giordano: Die Traditionslüge. Vom Kriegerkult in der Bundeswehr. Köln 2000, S. 337 f.[ii] Die unterschiedlichen Rommel-Bilder wurden zuletzt analysiert von Daniel Sternal: Ein Mythos wankt. Neue Kontroverse um den „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel. Gerstetten 2017.[iii] Siehe dazu das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zur Traditionswürdigkeit Erwin Rommels für die Bundeswehr (2019). Im Internet greifbar unter: www.bundestag.de/resource/blob/645808/244e391b6318b5a.

[iv] Das Rommel-Ehrenmal wurde im Jahre 1961 vom „Verband Deutsches Afrika-Korps“, einer Organisation ehemaliger Wehrmachtsoldaten, errichtet. Als Schirmherr fungierte seinerzeit der baden-württembergische Innenminister Hans Karl Filbinger (CDU).

[v] Ralph Giordano: Die zweite Schuld oder von der Last Deutscher zu sein. Hamburg, Zürich 1987, Kap. „Wehrmacht und Krieg – die heiligen Kühe. Über das Hauptverbrechen Hitlerdeutschlands“, bes. S. 170 f.

[vi] So wird Norbert Blüm zitiert in: Der Spiegel Nr. 28 vom 10. 7.1978. Siehe: https://www.stiftung-20-juli-1944.de/reden/widerstandskampfer-und-kriegsopfer-karl-weishaupl-20071978

[vii] Giordano, Traditionslüge (wie Anm. 1), S. 338.

[viii] Peter Lieb: Krieg in Nordafrika 1940-1943. Leipzig 2018, weist darauf hin, dass es sich aus der Sicht der Alliierten zu diesem Zeitpunkt um den Hauptkriegsschauplatz gehandelt habe.

[ix] Ralf Georg Reuth: Erwin Rommel. Des Führers General. München, Zürich 1987, S. 90.

[x] Gerhard Schreiber: Der Zweite Weltkrieg. München 2002, S. 75 f.

[xi] Gerhard Schreiber: Das Ende des nordafrikanischen Feldzugs und der Krieg in Italien 1943-1945. In: Die Ostfront 1943/44. Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten. (= Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 8. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt). München 2007, S. 1100-1163, Zitat: S. 1109.

[xii] Zu den Opfern aus Ländern der Dritten Welt siehe den innovativen Band: „Unsere Opfer zählen nicht“. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Recherche International e.V. Bonn 2014, Nachdruck Bonn 2019 (Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bad 10408).

[xiii] Bezug auf Rüdiger Overmans: Das andere Gesicht des Krieges. Leben und Sterben der 6. Armee. In: Stalingrad. Ereignis, Wirkung, Symbol. Hrsg. von Jürgen Förster. München/Zürich 1992, S. 439-446.

[xiv] Siehe den Eintrag „Tunesienfeldzug“ in: https://de.wikipedia.org/wiki/Tunesienfeldzug.