Viren den Hütten, den Villen Gesundheit (Teil 2/2)
Das Virus hat auch was Gutes, ist es doch so demokratisch. Für alle ist es gleich gefährlich, es interessiert sich nicht für den Kontostand, es nimmt keine Rücksicht auf den sozialen Status. So wurde von Anfang an und bis noch vor wenigen Monaten allerorten gesprochen. Obwohl alle von Anfang an Wissen konnten, dass das Gegenteil richtig ist. Gerade in Pandemiezeiten gehören Arme mit zu den Gefährdetsten, Wohlhabende wesentlich weniger. Studien, die das für diese Pandemie belegen, gibt es bereits seit Sommer 2020. „Die vierte Welle hat begonnen“, sagt das Robert-Koch-Institut, und die Bild-Zeitung munitioniert die Verschwörer-Querfront: „Bild entlarvt neue Corona-Panikmache. Horror-Papier vom RKI“. Ein geeigneter Zeitpunkt, an die soziale Frage zu erinnern. Teil zwei des Beitrags von Wolfgang Storz.
Schon beim Untergang der „Titanic“ …
Stefan Willich, seit 1995 Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité Berlin, erinnert daran, dass dieser Zusammenhang in Seuchenzeiten und bei Katastrophen schon immer gegolten hat. Sein Beispiel aus dem Jahr 1912: „Beim Untergang der Titanic starben über anderthalbtausend Menschen, wobei die Überlebenswahrscheinlichkeit von der jeweiligen Beförderungsklasse abhing: Damals ertranken 38 Prozent der Passagiere in der 1. Klasse, 59 Prozent der 2. Klasse-Passagiere und 75 Prozent der Passagiere in der 3. Klasse. Ursache war ein Eisberg – tödlich war der Klassenunterschied.“ Willich bestätigt, was viele Studien bestätigen: dass auch Covid für sozial schlechter gestellte Gruppen (eben abhängig von Arbeits- und Wohnverhältnissen) „besonders bedrohlich“ sei. Und er findet, dass dieser Sachverhalt „bislang erstaunlich wenig thematisiert“ werde. Auch der Sozialmediziner Nico Dragona, Universitätsklinikum Düsseldorf, konstatiert: Der starke Zusammenhang zwischen Krankheit und sozialer Herkunft sei seit langem bekannt, das Wissen dringe jedoch nicht in die Öffentlichkeit. Er hofft, dass sich dies nun mit der Pandemie ändere.
Superspreader mit Klassencharakter
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Wie wenig dieser Sachverhalt ein Thema ist, das zeigt sich, wenn Medien über Maßnahmen berichten, mit denen (ausnahmsweise) die Lage der Menschen mit kleinen Geldbeuteln besonders berücksichtigt wird. Das wird dann jedes Mal als ganz tolle Idee gefeiert, was zeigt: Solche Hilfen sind absolute Ausnahme, nicht die Regel, die sie sein sollten. Beispiele: In Genf wurden Menschen aus ärmeren Regionen, so berichteten deutsche Medien, Hotelzimmer während der Quarantänen zur Verfügung gestellt; weil sie eben in der Regel in sehr beengten Wohnungen leben. Übrigens: Wurde das in Deutschland auch systematisch gemacht? Eine ebenso selbstverständliche Maßnahme wurde in diesem Mai in den Medien zur Topmeldung, eben weil sie immer noch die Ausnahme, nicht die Regel ist: In Köln fuhr ein Impfbus in Stadtteile, die als sozial schwach und deshalb als besonders gefährdet gelten; besondere Gefahren für die Bewohner dort, aber in einer Pandemie eben auch besondere Gefahren für Dritte. Quasi Superspreader mit Klassencharakter. Und in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kam die Redaktion sogar auf die Idee, übrigens unter der Rubrik „Leib&Seele“, die Poliklinik Veddel vorzustellen: Eine Poliklinik im ärmsten Stattteil von Hamburg, die das leistet, was in vielen Ländern schon Alltag ist, bei uns immer noch eine Rarität – eine ganzheitliche Gesundheitsversorgung und –prävention betreiben, die also auch die Lebensumstände der Patienten berücksichtigt. In Pandemiezeiten besonders sinnvoll.
Gesundheitsämter auf den Felgen
So leuchtet ein: Menschen mit wenig Ressourcen, egal ob Geld, Bildung oder Kontakten, brauchen besondere Hilfen, auch um ihre Gesundheit zu wahren. In einer sozialen Demokratie wird diese Hilfe vor allem vom öffentlichen Gesundheitswesen geleistet. Aber: Wie leistungsfähig ist das?
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Zunächst eine generelle Zahl: 1995 hatte der Bund noch 535.000 Beschäftigte, 2015, also 20 Jahre später, noch etwa 410.000, ein Abbau um 20 Prozent, dabei sind die Aufgaben und die Ansprüche in dieser Zeit wesentlich gewachsen. So kann nicht überraschen, dass die öffentlichen Gesundheitsämter von diesem Kahlschlag auch betroffen sind. Aus der Ärztestatistik der Bundesärztekammer geht hervor: Die Zahl der Fachärztinnen und Fachärzte im Öffentlichen Gesundheitswesen sind deutlich rückläufig. Da sie schlechter als andere Facharzt-Gruppen bezahlt werden, mangelt es erheblich an Nachwuchs. Und viele Arztstellen stehen zwar offiziell im Organigramm der Gesundheitsämter, die Stellen sind jedoch gar nicht besetzt.
So könnte es sein, dass Fake-News nicht nur von den sogenannten Querdenkern stammen: Wenn beispielsweise Politiker anhaltend behaupten, Deutschland sei mit seinem Gesundheitswesen sehr gut aufgestellt und dies als Wahrheit ausgeben, diese Aussage sich jedoch mindestens als Beschönigung, wenn nicht sogar als Lüge herausstellt.
Die Seuche auf dem Landgut verbringen
Noch ein Blick über Deutschland hinaus:
Thabo Makgoba, Erzbischof von Kapstadt, machte jüngst in einem vermutlich weithin unbeachteten Namensartikel in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ darauf aufmerksam, wie wir im Westen die Schotten dichtmachen, um unsere Reise-, Urlaubs-, Masken- und Konsumfreiheit endlich durchzusetzen: Es sei, so der Bischof, von der Covax-Initiative – reiche Länder behaupten, über diese Organisation versorgten sie großzügig arme Länder mit Impfstoff gegen Covid – sei bisher noch kein Impfstoff in Südafrika, der größten afrikanischen Wirtschaftsnation, angekommen. Nach Daten der People`s Vaccine Alliance impften jedoch die reichen G7-Staaten jeden Tag 4,6 Millionen Menschen ihrer Bevölkerung (Stand Mai).
Dass in Seuchenzeiten die Armen besonders verwundbar sind und in solchen Zeiten die Solidarität schwindet, darauf machte bereits vor Jahrzehnten der renommierte französische Historiker Fernand Braudel aufmerksam: „Sobald sich die Seuche ankündigt, brechen die Reichen Hals über Kopf nach ihren Landgütern auf; jeder denkt nur noch an sich.“
Wolfgang Storz (Bild: Archiv)
Zum ersten Teil geht es hier.
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