Exklusiv aus Silivri: „Endlich müssen Taten folgen“

Solidarität mit Meșale Tolu: Die Journalistin aus Ulm bleibt weiter in türkischer Untersuchungshaft – das entschied am Mittwoch ein Gericht in Istanbul. Als einzige Politikerin aus Deutschland verfolgte Heike Hänsel den Prozess vor Ort. Im Telefon-Interview mit seemoz kritisiert die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, die aus Tübingen kommt, nicht nur die türkische Justiz, sondern vor allem die Bundesregierung in Berlin: „Nur Appelle reichen nicht mehr“.

Das Verfahren in Silivri, westlich vor Istanbul, war eigentlich auf zwei Tage angesetzt. Doch schon nach dem ersten Verhandlungstag verfügte der Richter, dass Meșale Tolu weiter in Haft bleibt. Der nächste Haftprüfungstermin ist erst für den 18. Dezember angesetzt. Was ist Ihr Eindruck vom Prozess?
Es gab keine Begründung des Richters, das Ergebnis scheint mir willkürlich. Insgesamt stehen ja in diesem Verfahren 18 Angeklagte vor Gericht – warum nun elf der Beschuldigten freigelassen wurden, Meșale aber nicht, bleibt völlig unklar. Die Staatsanwaltschaft hat nur Polizeiprotokolle vorgetragen, aber keine echten Beweise für eine Schuld Tolus präsentieren können, der Richter, wie gesagt, keine Begründung formuliert.

Welchen Eindruck machte die 32jährige Journalistin – Deutsche mit türkischen Wurzeln und deutschem Pass – auf Sie?
Meșale schien mir sehr gefasst und sie ist recht selbstbewusst aufgetreten. Kein Wunder, denn die Vorwürfe gegen sie sind lächerlich: Tolu arbeitet als Journalistin und Übersetzerin für die linke Nachrichtenagentur Etha, die in der Türkei nicht verboten ist. Die Anklage stützt sich auf die Teilnahme Tolus an vier Veranstaltungen und auf eine in ihrer Wohnung gefundenen Zeitschrift, die die Staatsanwaltschaft als Propagandamaterial einstuft. Tolu sagte, die fraglichen Veranstaltungen seien weder verboten noch von der Polizei aufgelöst worden. Bei dem angeblichen Propagandamaterial handele es sich um eine legale Zeitschrift, die in jeder Buchhandlung frei zu bekommen sei.

Wie gut wird sie von deutschen Stellen betreut?
Da muss man differenzieren: Vor Ort kümmern sich zwei Diplomatinnen aus dem Generalkonsulat in Istanbul wohl recht gut um sie, die beiden waren auch im Gerichtssaal. Aber auf politischer Ebene gibt es viel zu wenig Unterstützung für sie. Die Reaktion der Bundesregierung ist nur von appellativem Charakter, da müssen endlich Taten folgen.

Welche könnten das sein?
Berlin dealt weiter mit Ankara, immer noch fließen Millionen Euro ungebremst aus Berlin und Brüssel in die Türkei, immer noch gibt es Militärhilfe, immer noch werden Waffen geliefert. Damit muss endlich Schluss sein. Schließlich sitzen noch immer über 40 Deutsche als Erdogans Geiseln in Haft – das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Die USA hier vor Ort wehren sich und machen vor, wie das gehen kann – da werden schnurstracks die Visa-Bestimmungen geändert.

Aber immerhin spielte der Fall Tolu im Wahlkampf hierzulande eine Rolle …
… aber nur da, wenige Tage nach der Wahl waren die inhaftierten Deutschen, ob nun der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel oder der Berliner Entwicklungshelfer Peter Steudtner oder eben die Übersetzerin und Journalistin Meșale Tolu aus Ulm kein Thema mehr für die in Deutschland Verantwortlichen. Real gab es keine Konsequenzen aus Berlin. Das darf so nicht weitergehen – endlich müssen Taten folgen: Ende jeglicher Deals mit Ankara und tatkräftige Unterstützung für die Häftlinge statt wohlfeiler Sonntagsreden.

hpk (Das Foto von Daniel Schröder zeigt Heike Hänsel bei ihrem letzten Vortrag in Konstanz)