Mangos: ja. Mangosaft: eher nein
Afrikas Wohl liege Deutschland am Herzen, beteuert die Bundesregierung. Und doch produziert die EU mit ihrer Handelspolitik neue Flüchtlinge. Warum betreibt die EU diesen neokolonialen Kurs? Pit Wuhrer gibt Antworten und klärt über die Handelsmisere auf.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist derzeit ein viel beschäftigter Mann. Mitte Januar lancierte er unter einigem Mediengetöse seinen schon lange angekündigten „Marshall-Plan mit Afrika“, Anfang Februar besuchte er dann in Kenia ein paar Vorzeigeprojekte, Mitte Februar warb er am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz für eine „neue Zusammenarbeit“ mit afrikanischen Staaten. Und auch im Rahmen einer G20-Präsidentschaft werde sich Deutschland besonders Afrika widmen; schließlich wolle man Fluchtursachen bekämpfen, den afrikanischen Kontinent entwickeln und die Lebensverhältnisse der Menschen in den ärmsten Regionen verbessern. Dumm nur, dass die EU – und damit auch die deutsche Regierung – mit Kräften das Gegenteil tut.
Partnerschaft?
Seit über einem Jahrzehnt setzt die EU-Kommission alles daran, die Staaten der fünf großen Regionen West-, Zentral-, Südost-, Ostafrika und Südliches Afrika dazu zu bewegen, sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zuzustimmen; diese können erst dann endgültig in Kraft treten, wenn alle Staaten einer Region den Vertrag ratifiziert haben.
Diese Economic Partnership Agreements (EPAs) – sie sollen mit allen 77 Staaten der AKP-Gruppe (Afrika, Karibik, Pazifik) abgeschlossen werden – sind zwar seit 2014 weitgehend ausverhandelt. Tatsächlich in Kraft getreten ist jedoch nur das Abkommen mit der Staatenregion Südliches Afrika.
Nur hier stimmten alle Länder zu (Südafrika, Mosambik, Botswana, Lesotho, Swasiland und Namibia). In den anderen vier Regionen ist das Tauziehen noch im Gange. Nigeria zum Beispiel, die stärkste afrikanische Wirtschaftsmacht, lehnt das EPA ebenso ab wie Tansania (das gerade versucht, eine eigene Industrie aufzubauen), Niger oder Gambia. Das hat vor allem mit dem Charakter und den Zielen der EPAs zu tun: Sie sehen eine umfassende Öffnung der regionalen Märkte für europäische Waren vor, verbieten – mit wenigen Ausnahmen – Import- und Exportzölle und sichern internationalen Rohstoffkonzernen den ungehinderten Zugang zu afrikanischen Ressourcen.
Bisher war das anders. Bisher galten (im Rahmen der Lomé-Abkommen) für die ehemaligen Kolonien einseitige Handelspräferenzen – die Staaten des Südens konnten ihre Produkte zollfrei in den EU-Raum exportieren und gleichzeitig ihre (Agrar)-Ökonomien vor den Produkten der europäischen Konkurrenz schützen. Theoretisch jedenfalls. In der Praxis jedoch verflüchtigte sich dieser Schutz im Laufe der Zeit: Ghana zum Beispiel musste auf Drängen des Internationalen Währungsfonds IWF ab den 1980er Jahren Strukturanpassungsmassnahmen akzeptieren, die eine schrittweise Liberalisierung der Wirtschaft, eine Konzentration auf lokalen Ökonomie auf Exportprodukte und einen schrittweisen Abbau der Schutzzölle erzwangen. Die Folge: Hochsubventionierte und weiterverarbeitete EU-Agrargüter wie Milchpulver, Zucker, Gemüsekonserven, Weizen und Geflügelteile überschwemmten Ghanas Märkte.
Europäisches Diktat
Darunter litt die heimische Wirtschaft. Das Land, das zuvor den westafrikanischen Raum mit Tomaten versorgt hatte, begann Wirtschaftsflüchtlinge zu exportieren, die inzwischen zu Tausenden in Süditalien Tomaten pflücken, welche dann in Form von billigem Tomatenmark zu Hause landen. Und während lokale KleinbäuerInnen im Jahr 2000 noch 80 Prozent des Geflügelbedarfs deckten, kamen 2010 nur noch zehn Prozent aus der ghanesischen Landwirtschaft.
Anderen Staaten, ebenfalls unter Druck des IWF, erging es ähnlich. Die bisher einzelnen Änderungen sollen mit den EPAs nun systematisch auf das ganze subsaharische Afrika ausgeweitet werden. Die EPAs sehen vier Phasen vor. Produkte der Warengruppe A (darunter Industrieprodukte für Afrika und alle Rohstoffe aus Afrika wie Gold, Mangan, Chrom, Bauxit, Platin, Diamanten oder Erdöl) sollen sofort ohne jede Einschränkung handelbar sein; für die Warengruppen B und C gilt eine Übergangsfrist von 15 respektive 20 Jahren; geschützt bleiben – je nach Land – lediglich 13 bis 20 Prozent der afrikanischen Warengruppen. Laut Studien sind aber nicht 80 Prozent der afrikanischen Produkte international konkurrenzfähig, sondern – je nach Region – bloß 15 bis 30 Prozent. Die absehbaren Folgen: Tausenden von KleinbäuerInnen, Kleinunternehmen und Gewerbetreibende verlieren vermutlich ihre Existenzgrundlagen; Arbeitsplätze verschwinden; die sich allmählich entwickelnden Industriezweige büßen die Chance ein, neue Produktkapazitäten aufzubauen.
Auch die Einnahmen der Staaten werden sinken. Denn mit den EPAS müssen die Regierungen ihre Zölle auf Einfuhren abschaffen oder stark reduzieren. Manche Länder aber erzielen damit heute bis zu 40 Prozent ihrer Staatseinnahmen – also Geld, mit dem beispielsweise Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen aufgebaut und betrieben werden. Weitere Einnahmen fallen weg, da auf die Ausfuhr von heimischen Rohstoffen ebenfalls keine Zölle mehr erhoben werden dürfen.
Vetorecht für die EU
Damit nicht genug: Sollten die fünf afrikanischen EPA-Regionen mit anderen Staaten – etwa den Schwellenländern der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien oder China) – bessere Handelsabkommen als mit der EU abschließen wollen, kann die EU ein Veto einlegen; das hat sie in den bisherigen Verhandlungen durchgesetzt. Die EU besteht auch darauf, dass nur Ursprungserzeugnisse zollfrei in den EU-Raum gelangen dürfen. Mangos: ja. In Tetra-Pak-Kartons abgefüllter Mangosaft: nein. Denn die auf diese Weise weiterverarbeitete Frucht (Tetra-Pak-Verpackungen werden in Afrika nicht hergestellt) wäre ja kein Ursprungserzeugnis mehr.
Die EPA-Verhandlungen seien „seit der Kolonialzeit“ zu einer der „größten Belastungen der Beziehungen“ zwischen der EU und den AKP-Staaten geworden, urteilt daher Boniface Mabanza, Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in Heidelberg.
Aber warum betreibt die EU diesen neokolonialen Kurs? Zum einen aus demselben Grund, den sie auch mit Handelsabkommen wie dem europäisch-kanadischen CETA oder dem Dienstleistungsabkommen TiSA verfolgt: Stärkung der europäischen „Wettbewerbsfähigkeit“ – ein Grundsatz, den die EU seit dem Lissabon-Vertrag (1999) über alles stellt. Die EU und die europäischen Unternehmen sollen weltweit nicht nur konkurrenzfähig, sondern allen anderen möglichst überlegen sein. Zum anderen, gilt Afrika als Zukunftsmarkt: Zehn der zwölf wachstumsstärksten Ökonomien liegen auf dem Kontinent, nur Chinas und Indiens Wirtschaften expandieren schneller. Und dann ist da die Konkurrenz der BRICS-Staaten: Deren Handel mit Afrika nahm von 2008 bis 2015 um 70 Prozent zu, der europäisch-afrikanische hingehen um 35 Prozent.
Strafzoll für Kenias Schnittblumen
Natürlich regt sich auch Widerstand. Die EU stelle völlig „übertriebene Anforderungen“, urteilten die Regierungschefs der AKP-Staaten auf ihrem Gipfeltreffen in Papua-Neuguinea Anfang Juni 2016. Die Afrikanische Union, eine Vereinigung aller afrikanischen Staaten, lehnt die EPAs ab. Andere kritisieren die EU-Politik schon länger. Schon die IFW-Diktate der 1980er und 1990er Jahre hätten eine eigenständige Wirtschaftsentwicklung erschwert und die Entscheidungsspielräume der Regierungen eingeengt, argumentieren Uno-Organisationen, Hilfswerke und Gruppen wie attac. In vielen Ländern protestierten zivilgesellschaftliche Gruppierungen, Kleinbauernvereinigungen, der Mittelstand. Viele Regierungen zögerten – teils aus grundsätzlichen Erwägungen, teils aufgrund des Drucks von unten. Und so setzte die EU Daumenschrauben an und stellte Ultimaten: Nachdem der ursprünglich für 2008 vorgesehene Termin ergebnislos verstrichen war, drängte sie auf die Unterzeichnung von Übergangsabkommen und verlängerte die Frist erst bis 2014, dann bis 2016. Sie drohte mit Strafzöllen – und setzte die Drohung auch um. Kenias Regierung zum Beispiel widersetzte sich lange Zeit. Bis im Oktober 2014 die EU Einfuhrzölle auf kenianische Produkte wie Bohnen und Schnittblumen erhob, der Export einbrach und landwirtschaftliche Betriebe bankrott gingen. Drei Monate hielt die Regierung in Nairobi damals stand.
Andere Staaten im Wirtschaftsraum der East African Community (wie Tansania, Burundi und Uganda) sind weniger vom Export in die EU abhängig und wehren sich weiterhin. Ebenso die westafrikanischen Länder Nigeria und Niger. Die meisten anderen jedoch gaben inzwischen der Erpressung nach und haben Zustimmung signalisiert – weil sich dort neoliberale Eliten durchgesetzt haben oder weil sie auf europäische Entwicklungshilfe angewiesen sind. Dabei könnte darauf genauso gut verzichtet werden. Wie sagte doch Günter Nooke (CDU), Afrika-Beauftragter der Bundeskanzlerin, bereits 2014 in einem ARD-Interview? „Man sollte mit Wirtschaftsverhandlungen nicht kaputt machen, was man auf der anderen Seite als Entwicklungsministerium aufzubauen versucht.“ Er fordert, die EPA-Verhandlungen für zwanzig Jahre auszusetzen.
Wäre die Bundesregierung tatsächlich an einer Entwicklung Afrikas interessiert (und nicht nur an den Exportchancen europäischer Unternehmen), müsste sie in Brüssel auf Nachverhandlungen drängen und sich für eine faire Umgestaltung der EPAs einsetzen. Doch das ist in Berlin nicht zu erkennen.
Auf dem EU-Afrika-Gipel Ende November in Abijan, Elfenbeinküste, sollen die EPAs ein entscheidendes Thema sein.
Pit Wuhrer (http://www.konstanz-gegen-ttip.de)
PS: Dieser Beitrag erschien zuerst in der Wirtschaftszeitung „Oxi“.
Alles bestens
Rein formaljuristisch alles in Ordnung. Wären nicht die Erpressungen, mit denen die EU, der IWF und die Bundesregierung *gewohnheitsrechtlich* am (noch) lebenden Wirtschaftskörper Afrikas ihre sadistischen Experimente genießerisch vollführen. Ganz nackt, ohne die *Verträge* könnte Mensch zum Schluß kommen, er hätte es bei EU, IWF und BRD mit einer kriminellen Vereinigung zu tun.
Aber was will man anderes erwarten z.B. von einem J-C Juncker, der sinngemäß geäußert hat: Wenn es hart wird, mußt du lügen. Oder von einer Lagarde, die mit Typen wie Tapie mehr am Hut hat als mit den hungernden Kindern Afrikas, die sie gegen Griechenland instrumentalisiert hat. Oder einer Bundeskanzlerin, die die „Bildungsrepublik“ ausgerufen hat – Mensch werfe einen Blick auf den Zustand der Schulen.
Es muss natürlich Libyen heißen und nicht Jemen. Aber auch dort herrscht, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, Krieg unter Führung von Saudi-Arabien mit Unterstützung der USA. Dort droht Millionen Menschen der Hungerstod unter ihnen 2,2 Millionen Kinder. «Dies ist die größte Hungerkrise der Welt«, UN-Generalsekretär Guterres im April 2017
Danke für diesen umfassenden, aufklärenden Hintergrundbericht. All jenen Politikern, die von der „Bekämpfung des Schlepperwesens“ angesichts der Bilder tausender toter Flüchtlinge im Mittelmeer reden, sollte dieser Artikel als „Zwangslektüre“ verordnet werden. Auch eine kostenlose Überfahrt im überfüllten Schlauchboot über das Mittelmeer und ein längerer Aufenthalt in den „KZ-ähnlichen“ Flüchtlingslagern im Jemen ließen sie vielleicht darüber nachdenken warum Menschen aus Afrika fliehen. Genau diese Handelspolitik entzieht ihnen die Lebensgrundlage und zwingt sie zur Flucht!