„Die Linke und der Atomausstieg – eine verpasste Chance“

Bei der aktuellen Abstimmung im Bundestag zum Atomausstieg enthielt sich der Konstanzer Till Seiler von den Grünen der Stimme. In einem seemoz-Beitrag erläutert MdB Seiler seine Position und spart dabei nicht mit Schelte an seiner Partei. Vor allem aber kritisiert er Die Linke im Bundestag als „Ein-Themen-Partei“, die in ihrer Oppositionsrolle seltsam diffus sei. Wohl nicht die letzte Berliner Zustandsbeschreibung aus Konstanzer Sicht.

Angela Merkels rasanter Kurswechsel in der Energiepolitik hat die politischen Verhältnisse gewaltig durcheinander gewirbelt. Während CDU/CSU und FDP mehr oder weniger überzeugt dem neuen Kurs der Kanzlerin folgten, blieben die Strategien der Opposition diffus. Während die SPD schnell ihre Zustimmung signalisierte, war die Position der Grünen zunächst unklar. Innerhalb meiner Partei gab es aus vielfältigen Richtungen Kritik am Vorschlag Merkels. Diese entzündete sich vor allem an dem vorgelegten Zeitplan, der trotz der von Winfried Kretschmann über den Bundesrat durchgesetzten Korrekturen nicht wirklich überzeugen konnte und kann.

Wie sieht die politische Landschaft in 11 Jahren aus?

Die letzten Meiler sollen erst 2022 abgeschaltet werden – dieser Termin liegt in der über-übernächsten Legislaturperiode. Niemand weiß, wie die politischen Verhältnisse dann aussehen werden und ob wir nicht doch wieder einen Ausstieg aus dem Ausstieg erleben werden. Schließlich wurde auch der im Konsens mit der Energiewirtschaft 2001 von Jürgen Trittin ausgehandelte Atomausstieg damals als „unumkehrbar“ betrachtet. Mithin erleben wir jetzt alle 10 Jahre einen „unumkehrbaren“ Atomausstieg.

Auch innerhalb der niedersächsischen Grünen gab es zunächst scharfe Kritik an Merkels Ausstieg, da dieser keinen Baustopp für das geplante Atomendlager Gorleben umfasst. Auf dem Bundesparteitag der Grünen stimmten ca. 40 % der Delegierten aus den genannten Gründen gegen die vom Bundesvorstand vorgeschlagene Zustimmung zum Merkel-Ausstieg. Völlig anders stellte sich jedoch die Situation in der grünen Bundestagsfraktion dar, die sich in weiten Teilen doch beträchtlich von der Parteibasis entfernt hat. Am Ende blieb ein kleines Häuflein von sechs Abgeordneten, die sich bei der Abstimmung im Bundestag der Stimme enthielten, da sie Merkels Atomkurs im Gegensatz zur Fraktionsmehrheit nicht unterstützten wollten. Mit mir stimmten u.a. Hans-Christian Ströbele und der Klimaschutz-Experte Hermann Ott mit Enthaltung.

Von der Linken kommt nur Altbekanntes zur Sozialpolitik

Vor dem Hintergrund des Kuschel-Kurses von SPD und Grünen mit der Kanzlerin wäre nun eigentlich die große Chance für die Linke gekommen, sich erstmals jenseits ungelesener Parteiprogramme klar als Atomausstiegspartei zu profilieren. Bei der Bundestagsdebatte am 30. Juni schickte die Fraktion mit Gregor Gysi denn auch ihren rhetorisch versierten Vorsitzendens ins Rennen, dem man eine kluge und pointierte Darstellung einer linken Energiepolitik jederzeit zutraut. So begann Gysi auch damit, Merkels Atomausstieg als „halbherzig“ und „mit Rückfahrkarte“ zu bezeichnen und einen schnelleren Ausstieg bis 2014 bzw. 2017 zu fordern. Doch nach einem überzeugenden Beginn verzichtete Gysi darauf, Fragen der Umwelt- und Energiepolitik genauer auszuführen, sondern referierte lieber Altbekanntes zur Sozialpolitik.

So durfte der wohl vertraute Kontrast zwischen der „alleinerziehenden Mutter mit einem Kind“ und dem „Millionär mit Villa und Swimmingpool“ in der Rede nicht fehlen, obwohl Fragen der Verteilungsgerechtigkeit in diesem Zusammenhang gar nicht auf der Tagesordnung standen. Gysi schimpfte darüber, dass die Alleinerziehende im Vergleich zum Millionär zu hohe Strompreise bezahlen müsse. Das geht an der Lebenswirklichkeit vorbei: Zentrale Probleme aus der Sicht Alleinerziehender sind die fehlenden oder zu teuren Betreuungsangebote, die zu Arbeitslosigkeit führen, sowie die unzureichende Grundsicherung durch Hartz IV – nicht die Strompreise. Auch eine Attacke gegen „Versicherungen, Banken und Riesenkonzerne“ durfte in der Gysi-Rede nicht fehlen (das passt anscheinend bei der Linken im Zweifel immer, egal, worum es gerade geht), da diese angeblich durch die Förderung von Offshore-Windparks profitierten. Das ist zumindest einseitig, da auch viele Stadtwerke in diesen Bereich investieren.

Linke und FDP: Immer die gleichen Slogans

So verdienstvoll es für die Linke auch war, in Abgrenzung zur rot-grünen Regierung unter Schröder für einen gerechten Sozialstaat einzutreten, so unbefriedigend erscheint es derzeit, dass sich die Linke als Ein-Themen-Partei präsentiert und offensichtlich gar kein Interesse daran hat, sich seriös der Umwelt- und Energiepolitik zu widmen. Wer eine Rede zum Atomausstieg zur Hälfte mit sozialpolitischen Fragestellungen bestreitet, der macht deutlich, dass ihn das Thema eigentlich gar nicht interessiert.

Insofern orientiert sich die Linke an der FDP und wiederholt die immer gleichen Slogans: Während es bei der FDP gebetsmühlenartig um das „einfache und gerechte Steuersystem“ geht, hört man von den Linken bei jeder Gelegenheit „Hartz IV muss weg“. Die Linke hatte eine große Chance, sich thematisch zu erweitern und in Themenfeldern wie der Umwelt- oder auch der Bürgerrechtspolitik als wichtiger gesellschaftspolitischer Akteur neu zu profilieren. Doch diese Gelegenheit wird von der Linken geradezu mutwillig ausgeschlagen, offenbar aus der Angst heraus, die Stammwählerschaft mit diesen Themen zu verunsichern – schade eigentlich.

Autor: Till Seiler