7768 Seelen und ein großes Herz
„Die Bereitschaft in der Bevölkerung, Flüchtlinge aufzunehmen, ist sehr groß“, so Winfried Kretschmann, nach eigenen Angaben grüner Ministerpräsident Baden-Württembergs, vor der Zustimmung Baden-Württembergs zum Asylkompromiss im Bundesrat. Auch wenn dies nur selten der Fall ist, er hat Recht. Mehr denn je werden die Deutschen durch den Anblick von Hunger, Epidemie und Krieg dazu aufgefordert, Flüchtlingen in Not jetzt Obdach zu gewähren – mit Erfolg. Dennoch bedarf es immer wieder zusätzlicher Anstrengungen, nicht nur symbolischer Art. Und da können wir hierzulande noch lernen
Im Bayerischen Wald beispielsweise – dort, wo man vermuten könnte, Weltoffenheit sei ein Fremdwort – solidarisieren sich Privatleute mit Flüchtlingen, bieten Ihnen Unterkunft und Hilfestellung, sich in Deutschland zurechtzufinden. Hier in Konstanz können wir auf die Arbeit des Aktionsbündnisses Abschiebestopp oder des Freundeskreises Asyl in Radolfzell stolz sein.
Das zivile Engagement der Bürgerschaft sollte begleitet und getragen werden durch eine eigene Position ihrer Stadt. Die Stadt Konstanz hat mit ihrer Konstanzer Erklärung gegen Rassismus, der Resolution zu Lampedusa und weiteren Äußerungen der Gemeinde klar gemacht, dass von ihr Fremdenfeindlichkeit nicht toleriert wird.
Doch mit der Verantwortung für eine Kommune geht die Pflicht einher, nicht nur Stellung zu beziehen, sondern auch in diesem Sinne zu handeln. Hier kann Konstanz noch einiges lernen. Ein leuchtendes Beispiel findet sich an einem Ort, an dem man die Betroffenheit von der Situation der Bootsflüchtlinge in Lampedusa zwar kaum vermutet, jedoch überall zu spüren ist: Das 7768-Seelen-Städtchen San Gimignano. Vielen ist die italienische Kleinstadt womöglich als beliebtes Touristenziel in der malerischen Toskana bekannt. Doch neben hohen Türmen aus dem Mittelalter kann die Stadt auch mit einem couragierten Stadtrat aufwarten.
Kein Geringerer als der Domplatz, Zentrum der historischen Altstadt, durch die täglich Hunderte von Touristen aus aller Welt schlendern, wurde für ein Jahr den Opfern der „humanitären Katastrophe an den europäischen Außengrenzen“ gewidmet. Damit soll der vielen Toten vor den Klippen der Insel Lampedusa gedacht werden. Zu diesem Zweck ließ die Stadt eine für jedermann gut sichtbare Gedenktafel aufstellen (s. Foto). Dabei richtet sich die Botschaft nicht nur an die eigene Bevölkerung – der Text ist in italienischer und englischer Sprache abgefasst. San Gimignano nutzt damit die Chance, ein internationales Publikum anzusprechen, so auch uns.
Als wir vor dieser Tafel standen, ergriff uns Rührung und Respekt vor dem großen Herzen dieser so kleinen Stadt. Auch Konstanz täte gut daran, sich ein solches Herz zu fassen.
Autoren: Franziska Spanner/Simon Pschorr