8,50 Mindestlohn – wenn Sie sich verteidigen

seemoz-angela-merkel--mindestlohn-fuer-friseure-mir-egalHaben Sie es schon gemerkt? Seit Anfang Februar ist Taxifahren in Konstanz deutlich teurer geworden. Zur Begründung muss der Mindestlohn herhalten. Nur: Nach Aussage etlicher Taxifahrer kommt davon bei ihnen nicht viel an, denn die Unternehmer verrechnen die Nachtzuschläge. Was man dagegen tun, wie man sich wehren und verteidigen kann, erläutert Simon Pschorr und gibt wichtige Tipps zur Gegenwehr

Deutschland hat es endlich geschafft – nach Jahrzehnten führte die Bundesrepublik den ersten allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zum 1.1.2015 ein. Im europäischen Vergleich ist es damit immer noch deutliches Schlusslicht. Allein Österreich kennt keinen dem Mindestlohn entsprechenden Schutzmechanismus (https://www.mindestlohn.de/hintergrund/mindestloehne-in-europa/). Auch wenn noch viele Arbeitnehmer aus fachlichen oder personenbezogenen Gründen aus dem Anwendungsbereich der Regelungen ausgenommen sind, so erzwingt das Mindestlohngesetz (MiLoG) fast flächendeckend einen Mindestsatz von 8,50 € pro Stunde.

Schon bevor ein endgültiger Beschluss des Gesetzgebers gefasst war, diesen progressiven Schritt endlich zu wagen, schrien die Verbände der deutschen Arbeitgeberschaft auf und redeten den Untergang des Abendlandes herbei. Nachdem die Regelung nun endlich gilt werden Mittel und Wege gesucht, auch am Gesetzeszweck und Wortlaut vorbei, das MiLoG zu umgehen. Öffentliche Aufrufe (sog. Information) zur Umschiffung dieser sozialen Mindeststandarts finden sich vermehrt im Internet, hierunter auch – traurigerweise – ‚Expertisen‘ einiger Kollegen, beispielsweise:

http://www.etl-rechtsanwaelte.de/stichworte/arbeitsrecht/strategien-zur-umgehung-des-mindestlohngesetzes

http://www.marktundmittelstand.de/nachrichten/strategie-personal/so-kann-man-den-mindestlohn-umgehen/

Anrechnung von besonderen Vergütungsbestandteilen

Neben den schon bis zum 1.1.2015 weit verbreiteten Vehikel des Scheinwerkvertrages und der Pseudoselbständigkeit ist ein beliebtes Mittel der Arbeitgeberschaft, Lohnkosten durch den Mindestlohn zulasten ihrer Belegschaft zu reduzieren, indem bereits gezahlte Zuschläge um die Höhe zu reduzieren, um die der Stundenlohn steigt.

Um was für Zuschläge handelt es sich hierbei? Grob gesagt können Zuschläge, die im Arbeitsleben gezahlt werden, in zwei Kategorien eingeordnet werden: Zum einen gibt es zusätzliche Leistungen, die der Arbeitgeber zahlt, um die Arbeitsleistung selbst zu honorieren. Hierunter fallen typischerweise allgemeine Anwesenheitsprämien und Schichtzulagen. Darüber hinaus zahlen viele Arbeitgeber zusätzliches Arbeitsentgelt für Gesundheitsbelastungen oder -gefahren, die auf der Arbeit beruhen. Hierunter fallen Gefahren- und Schmutzzulagen, Nacht-, Sonn- und Feiertagszulagen. Darüber hinaus sind dieser Gruppe auch die Überstundenzulage, sowie besondere Leistungsprämien für qualitativ oder quantitativ hervorragende Leistungen zuzuschlagen.

Diese besonderen Vergütungsbestandteile unterscheiden sich erheblich voneinander, denn gerade ihre Zielsetzung differiert erheblich. Während die erste Gruppe, ähnlich wie der Mindestlohn, gerade die Arbeitslast entlohnt, soll die zweite Gruppe Mehraufwand kompensieren. In der Rechtswissenschaft ist es bisher erheblich umstritten, welche Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Während einige Stimmen davon ausgehen, dass jede Zulage mindestlohnwirksam ist, geht ein erheblicher Teil der Wissenschaft davon aus, dass nur Zulagen zur Honorierung der Arbeitskraft im Sinne der ersten Gruppe auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen. Jede andere Anrechnung ist ein Verstoß des Arbeitsvertrages und kann vor den Arbeitsgerichten gerügt werden.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht zu dieser Frage noch keine Stellung bezogen, jedoch hat es bereits in ähnlich gelagerten Fällen – sog. Tariflichen Mindestlöhnen – entschieden, dass nur funktional gleichwertige Zusatzleistungen auf einen Mindestlohn angerechnet werden dürfen (BAG Urt. v. 16.4.2014 – 4 AZR 802/11 = NZA 2014, 1277). Es steht zu erwarten, dass das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung auch auf den Mindestlohn nach dem MiLoG übertragen wird.

Gewerkschaftliche Arbeit um den Mindestlohn

Als Arbeitnehmer sollte man sich gegen Maßnahmen des Arbeitgebers wehren, die einseitig den Lohn und damit verbundene Zuschläge an den Mindestlohn anpassen. Sie werden dabei nicht allein gelassen. Die Arbeitsgerichte haben eigene Rechtsantragsstellen (für das hier zuständige ArbG Radolfszell:  http://www.arbg-loerrach.de/pb/,Lde/1207580), bei denen Sie auch ohne anwaltliche Vertretung um Hilfe ersuchen können.

Die Gewerkschaften machen sich um die Verteidigung des Mindestlohnes besonders verdient. Die DGB-Rechtsschutz-GmbHs sind fünf Tage die Woche für Sie im Einsatz und vertreten Sie in Sachen rund um das Arbeitsverhältnis. Darüber hinaus haben die DGB-Gewerkschaften eine Hotline rund um das Thema Mindestlohn eingerichtet, die noch bis 31.3.2015 erreichbar ist: 0391/4088003. Die Damen und Herren sind in 10 verschiedenen Sprachen versiert und beantworten Ihnen Fragen und vermitteln Sie weiter. Weitere Informationen zum Thema finden Sie hier:

http://www.dgb.de/extra/mindestlohn-dran-bleiben

Zufrieden?

Der zu diesem Jahr in Kraft getretene Mindestlohn ist ein Schritt in die richtige Richtung, nicht der große Wurf, den man sich erhoffen könnte. Nicht nur, dass der Stundenlohn immer noch in einem Bereich liegt, der kaum geeignet ist, ein menschenwürdiges Leben zu finanzieren, geschweige denn eine Rente über der Armutsgrenze zu erwirtschaften. Leider finden sich weiterhin untragbare und diskriminierende Lücken im Anwendungsbereich, die erst bis 2017 nach dem Regelungskonzept geschlossen werden sollen: Praktikanten eines Pflichtpraktikums § 22 I S. 2 MiLoG und Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung § 22 II MiLoG sind vom Geltungsbereich des Mindestlohngesetzes dauerhaft ausgenommen. Langzeitarbeitslose müssen sechs Monate auf den Mindestlohn warten § 22 IV S. 1 MiLoG; ein Anreiz zum Lohndumping mit den Ärmsten der Armen, die man nach Ablauf der sechs Monate, die gleichzeitig das Ende der gesetzlichen Probezeit markieren, einfach wieder loswerden kann. Für ZeitungszustellerInnen gilt der Mindestlohn erst ab 2017 § 24 II MiLoG.

Mich lässt dies unbefriedigt zurück – hier gibt es noch erheblichen Verbesserungsbedarf. Ein Mindestlohn braucht keine Ausnahmen; ein echter flächendeckender Mindestlohn ist auf alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anwendbar, unabhängig von Alter, Beschäftigungsgrund und Branche. Erst ab 10€ pro Stunde wird der Wert der Arbeit ehrlich honoriert.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: Simon Pschorr