ARD, Bild, Spiegel vereint gegen das Streikrecht
Die Gewerkschaft der Lokführer(GDL) nervt: Mit ihren über 30 000 Mitgliedern vertritt sie 90 Prozent der Lokführer und 30 Prozent der Zugbegleiter. Es gibt aber auch eine handzahmere Gewerkschaft: Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat knapp über 200 000 Mitglieder – allerdings nur wenige Lokführer. Der Deutschen Bahn AG und der Bundesregierung, die sich die Scheingewinne der Bahn als vermeintlichen Privatisierungserfolg auszahlen lässt, ist die GDL ein Dorn im Auge
Arbeitsministerin Andrea Nahles möchte deshalb ein Gesetz verabschieden lassen, wonach es pro Betrieb – also eben für die Deutsche Bahn – nur noch einen Tarifvertrag, also auch nur noch einen Tarifpartner geben soll. Das wäre das Ende für eine Lokführergewerkschaft – und ein stichhaltiger Grund, einmal richtig und nachhaltig zu streiken. Was neu ist: Erstmals können sich Regierung und Bahnführung auf die Unterstützung durch die Massenmedien Bild, Spiegel und ARD stützen.
1750 als Verantwortlicher für hunderte Fahrgäste und millionenteure Technik
Auf Verständnis der ohnehin täglich geplagten Bahnreisenden kann die GDL allerdings kaum hoffen. Aus Sicht vieler Pendler befindet sich die Bahn in einem unbefristeten Dauerstreik, seit sie sich von einst über 400 000 Mitarbeitern auf teilweise nur noch 230 000 Beschäftigte krank schrumpfte, Strecken stilllegte und mit marodem Material für ständige Verspätungen sorgt.
Nach 25 Berufsjahren kann ein Lokführer laut Handelsblatt ein Einkommen von 3010 Euro erreichen – nein, brutto, nicht netto. Für 1750 Euro netto soll also ein hochprofessioneller Zugführer, der die Verantwortung für das Leben hunderter Passagiere und für millionenteure Technik trägt, im Schichtdienst und an Wochenenden dafür sorgen, dass die Bahn AG „Gewinne“ erwirtschaftet, da sie ja „privatisiert“ ist.
Mit diesem Einkommen kann er in den Ballungsgebieten, wo der verbliebene Bahnverkehr sich überwiegend abspielt, also in München, Hamburg, Frankfurt, Köln und Stuttgart nicht einmal mehr eine 4-Zimmer-Wohnung für seine Familie anmieten, sondern muss selbst zum Arbeitsplatz pendeln, oft Stunden.
Die Jobagentur findet kein Personal
Zudem schoben die Bahnmitarbeiter Anfang 2014 acht Millionen Überstunden vor sich her. Es herrscht chronische Personalnot nicht nur für Lokführer, sondern auch für Zugbegleiter und Bordpersonal. Während Jobcenter im Durchschnitt in 80 Tagen einen neuen Mitarbeiter finden, dauert es bei Bahnmitarbeitern 184 Tage, fast ein halbes Jahr. Zu den Forderungen der GDL zählt deshalb auch eine Arbeitszeitverkürzung und längere Ruhepausen.
In den Nachbarstaaten Frankreich, Schweiz, Dänemark und den Niederlanden verdienen Lokführer das Doppelte – trotzdem funktionieren die dortigen Bahnen um Klassen besser als die seit Jahrzehnten herunter gewirtschaftete Deutsche Bahn, die sich als weltweit führender Logistikdienstleister wähnt.
Kann man einen Streik bewerten, ohne dessen systemische Ursachen zu diskutieren? Bereits kurz nach der Bekanntgabe des Streiks, dem übrigens 91 Prozent der befragten GDL-Mitglieder zustimmten, überboten sich deutsche Medien darin, die Unsinnigkeit und Unzulässigkeit des Streiks zu verbreiten.
Sehnsucht nach einer handzahmen Niedriglohn-Gewerkschaft
„Deutschlands dümmste Gewerkschaft“ titelte Spiegel-Online. Die Lokführer, so die Hamburger Verkehrsspezialisten, provozierten erst durch den Streik den Einheitstarif. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Aus GDL-Sicht handelt es sich um einen sogenannten „Erzwingungsstreik“, also einen Streik um das Recht, überhaupt Tarifverhandlungen zu führen. Was die Deutsche Bahn besonders aufregt: Die GDL möchte auch für die bei ihr organisierten Zugbegleiter verhandeln, mithin also für eine Berufsgruppe, die aus Sicht der Bahn durch die EVG hinreichend vertreten werde.
Wo der Spiegel gegen das Streikrecht ist, darf auch Bild nicht fehlen. „Die Streik macht wütend“ titelt Jan Schäfer in Bild. Allerdings macht er nicht wütend auf die systemischen Missstände der Bahn und die desaströse Verkehrspolitik der Bundesregierung, nein, wütend natürlich auf die streikenden Lokomotivführer: „Das Streikrecht in Deutschland ist ein hohes Gut. Es wurde eingeführt, damit sich Arbeitnehmer gegen übermächtige Chefs wehren können. Doch die Lokführer nutzen diese Freiheit schamlos aus. Sie drangsalieren Millionen Väter, Mütter und Kinder – und verderben ihnen das Wochenende! Wer so verantwortungslos Dampf ablässt, hat sein Recht auf Streik verwirkt.“ So eingestimmt, konnte auch die einstige Arbeitnehmerpartei SPD in Gestalt ihrer Generalsekretärin Yasmin Fahimi bei Plasbergs „Hart aber fair“ auf den GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky losgehen
Wo es unsozial zugeht, darf die SPD nicht fehlen
Bereits das Thema der Plasberg-Sendung „Sind wir Geiseln der Mini-Gewerkschaften?“ sorgte dafür, dass die Hintergründe des Streiks gar nicht erst zur Sprache kamen. Geschickt versuchte Fahimi, die brave EVG als einzigen Tarifpartner ins Gespräch zu bringen und lobte deren Abschlüsse. Aus ihrer Sicht zu Recht: Die EVG möchte die Niedriglöhne in der Bahn beibehalten und hat schon einmal einen Abschluss mit 1,5 Mehrstunden ohne Lohnausgleich verhandelt.
Die Wahrheit ist, dass Lokführer nicht fünf, sondern 35-50% mehr Lohn benötigen, was auch einige Kommentatoren unter dem Bild-Artikel erwähnen. Überhaupt scheinen die Leser die Hetze gegen die GDL nicht zu goutieren und schreiben zumindest bei Bild tapfer gegen die ihnen unterstellte Mehrheitsmeinung an.
Fahimi drohte in der Talkrunde der GDL mit einem „echten Imageschaden“ – angesichts der Berichterstattung von ARD, Spiegel und Bild nicht übertrieben. Die ARD-Hörfunksender, etwa der BR, fragen dann auf Bahnhöfen entnervte Fahrgäste, wie sie den Streik am letzten Wochenende der Herbstferien finden und interviewten Bahn-Manager, die „fassungslos“ über die „jedes Maß verlorene“ GDL sind. „Was die GDL macht, ist irre“ wird Personalvorstand Ulrich Weber gar zitiert.
Millionengehalt für ahnungslosen Personalchef
„Dumm“ (Spiegel), „verantwortungslos“ (Bild), „irre“ (Deutsche Bahn) – kann man von einem breiten Publikum genervter Fahrgäste inmitten dieser Pogrom-Stimmung verlangen, dennoch Sympathie für die Ziele der Lokführer zu empfinden, ja, gar Solidarität? „Ulrich Weber“, so schreibt Bild in unfreiwilliger Objektivität, „wurde vom Bahnstreik genauso überrascht wie Millionen Bundesbürger“. Wenn das stimmen sollte – offenbar hat Weber selbst das Bild so gesagt – stellt sich die Frage, wofür Herr Weber ein Jahresgehalt von über einer Million Euro erhält, wenn sein Wissen über die Unzufriedenheit der Mitarbeiter auf dem Level eines Bild-Kommentators steht.
Das Bild-Interview mit dem völlig ahnungslosen Bahnchef endet mit diesem Zitat: „Irgendwer muss der GDL klarmachen, dass sie mit ihrer Haltung das ganze System gefährdet.“ Ein marodes, ein kaputtes, ein ungerechtes System. Ein System, das den Standort Deutschland und seine Wirtschaft, die Mitarbeiter und Fahrgäste schädigt. Ein weiterer Grund, den Streik der Lokführer zu unterstützen.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: Alexander Dill (der Text erschien zuerst auf „Telepolis“, http://www.heise.de)
Sehr fundiertet Artikel, dem ich auch nur zustimmen kann. In den Deutschen „freien“ Propagandamedien lief die schlimmste Hetze und Diskreditierung, die man sich nur vorstellen kennen, gegen die Gewerkschaft GdL und seines Vorsitzenden Weselsky und natürlich all der Lokführer in Deutschland gerichtet.
Die Hetze der Medien ist mittlerweile so gleichgeschaltet und pervers einseitig, das nur die dümmsten Deutschen das noch als Unabhängige, lügenfreie, journalistische Berichterstattung „schlucken“ können. Und das nennen die Medien dann „freie Berichterstattung“.
Allen voran die Bild, aber auch alle anderen, zahlreichen Zeitungen, wie z.B. die mopo, die zum Springer Verlag gehören und die bei der perfiden persönlichen Angriffs-hetze gegen den Gewerkschaftsvorsitzenden Weselsky und der Gewerkschaft GdL alle mitmachen. Wer von den Journalisten da nicht mittlügt, wird entlassen.
Seit 4 Monaten wird jetzt schon seitens der Bahn, mit ihrer hochbezahlten PR-Abteilung die Gewerkschaft GdL diskreditiert, ohne auch nur ein einziges mal über Inhalte zu reden.
Und die Medienhuren, mitsamt all den Privatfernsehsendern von Bertelsmann, deren wenige Inhaber sich alle extrem gut in Deutschland bedeckt halten (hier insbesondere Elfriede Springer und Liz Mohn), helfen bei der Negativpropaganda fleissig mit, wie z.B. auch der Focus, der das Privathäusschen des Gewerkschaftsvorsitzenden abbildet, ohne zu erwähnen wo Bahnchef Grube denn so wohnt.. und wieviel Millionen Euro der Herr Grube im Jahr verdient, wäre auch interessant zu wissen… (wahrscheinlich 4 – 5 Mio. Euro mit allen nicht meldepflichtigen Einnahmen).
Und die Bild toppte das Ganze und veröffentlichte ungeniert die Telefonnummer des Gewerkschaftschefs, mit Aufruf dort anzurufen. Persönlichkeitsrechte gelten anscheinend nur für Bild Chefredakteur Kai Diekmann.
Aber auch staatliche Sender, allen voran ARD und ZDF zeigten sträflich einseitig, nur ausschließlich genervte Kundeninterviews.
Und zu guter letzt, bringt die SPD ein neues Streikgesetz voran, das ab 2015 kleineren Gewerkschaften endgültig des Streikrecht, in der Praxis tatsächlich zu 99 %, wegnimmt.
Unglaublicherweise wettert sogar die grosse „Gewerkschaft“ DGB in den „Qualitätsmedien“ gegen die kleine GdL. und die drucken die Hetze fleissig, weil dem DGB die Mitglieder natürlich schaarenweise weglaufen, da Alles was sich gegen die Arbeitnehmer richtet, in den letzten Jahren nur noch klanglos von den grossen Gewerkschaften in den Aufsichtsräten abgeknickt wurde.
Die Gewerkschaft der Lokführer war die einzige, die auf der Aufsichtsratssitzung der DB im März 2013 gegen die Weiterführung des Milliardengrabs Stuttgart 21 und die Erhöhung des Finanzierungsrahmens um 2 Milliarden Euro gestimmt hat. Da SPD, CDU und FDP dieses korrupte Projekt zusammen mit Dr. Grube und Co. vorantreiben, obwohl sie vor der Volksabstimmung ganz andere Kosten genannt hatten, kann man ihr Verhalten auch als Retourkutsche gegen die GDL verstehen. Wir leben halt im Land der Vetterle…
Ich finde den Streik durchaus berechtigt und finde es nachvollziehbar, dass die GDL auch für die von ihnen vertretenen Zugbegleiter verhandeln möchte. Es erschließt sich mir nicht, warum bei den Verhandlungen nicht einfach EVG und GDL gemeinsam als Tarifpartner am Tisch sitzen.
Allerdings empfinde ich den Artikel aber auch als unnöti tendenziös. Was hat denn die Dauer der Suche eines neuen Arbeitnehmers oder das Stilllegen von Strecken mit diesem Tarifkonflikt zu tun? Den Fakt an sich kann und sollte man zwar kritisieren, einen kausalen Zusammenhang gibt es aber dennoch nicht. In diesem Zusammenhang passt, dass Herr Dill hier den Verdienst schlechtrechnet. 3010 Euro brutto sind mit Steuerklasse 1 und ohne jegliche Abzüge schon bereits 1873,78€ – also deutlich mehr als 1700€. Wohlgemerkt in der schlechtmöglichsten Steuerklasse und ohne jeden Abzug wie bspws. Pendlerpauschale. 3010€ brutto finde ich nun angesichts viel schlimmerer Löhne in vielen Branchen keinen großen Skandal – Inflationsausgleich und ggf. ein kleiner Aufschlag sollte natürlich drin sein, aber warum Lokführer 35-50% mehr Geld verdienen sollten, erschließt sich mir nicht.
Dem Artikel stimme ich vollumfänglich zu.
Erst letzte Woche konnte ich auf Bahnfahrten nach Engen wieder mal erleben, wo es überall mehr als marode ist im „System Bahn“.
Ob desolate, dreckige Bahnhöfe, Ein- bzw Ausstiegshöhen (nicht erreichbar für kleinere oder körperlich nicht so fitte Menschen), dunkle, stinkende Unterführungen, zuwenig Personal in den Bahnhöfen um die immer wieder per PR betonte Kundenfreundlichkeit zu gewährleisten…!
Kurzum ein Angebot das die Fahrpreise nicht wert ist. Von normaler Fahrsicherheit (die meisten Eisenbahnbrücken in Deutschland sind marode, FahrbegleiterInnen sind seit Jahren wegrationalisiert …) ganz zu schweigen.
Lohnenswert mal zu recherchiern wo die DB seit der Privatisierung überall Geld der SteuerzahlerInnen versenkt hat (Beteiligungen im Ausland).
Schade, dass die meisten unserer Gewerkschaften derart mutlos sind und mit einer SPD gemein, die den Namen und ihre Tradition seit Jahren verrät. Da sind die Lokführer meiner Meinung nach ein Vorbild und guter Sand im Getriebe.
Luana Thalmann
Das Tollste an der Talkshow war sicher eine eifrige Frau, die der GDL ihr Streikrecht absprechen wollte und die sich als SPD-Generalsekretärin herausstellte. Verteidigt wurde beim unerträglichen Plasberg das Streikrecht einzig von Gerhart Baum – einem FDP-Mann. Wie sich die Politik in den letzten Jahrzehnten doch entwickelt hat…
Wie sagten die alten Römer? Divide et impera! Teile und herrsche! Die Entwicklung im Tarifrecht war vor zweieinhalb Jahren schon Thema bei der von der NGG durchgeführten Veranstaltung zu 100 Jahre Maggi-Tarifvertrag in Singen, bei der ich die Diskussion u.a. mit Herta Däubler-Gmelin leitete. Die zentrale Frage war, wie sich die Einheit im Tarifrecht entwickeln werde: unterschiedliche Mitarbeitergruppen von Stammbelegschaft bis Leiharbeitern bei jetzt auch noch konkurrierenden Arbeitnehmervertretungen. Aktuell war damals der Auftritt der christlichen Gewerkschafter bei GF. Zum deutschen Wirtschaftswunder gehörte immer das Wirken der Einheitsgewerkschaft. Jetzt wird Solidarität auf vielfältige Weise angegriffen. Amazon diktiert eine neue Form des Handels und der Arbeitswelt. Große Handelsketten haben es vorgemacht. Mich nervt immer wieder die sprachliche Umerziehung, die damit in Verbindung steht. Selbst in den Fernsehnachrichten wird meist von „Jobs“ gesprochen. Es gibt keinen Beruf und keinen Arbeitsplätze mehr. „Belegschaft“ ist ein eher Fremdwort in den Medien geworden. Unsere (Arbeits-)Welt wird geändert, die Aufarbeitung des Bahnstreiks unerlässlich. Was lernt diese jüngere Führungsgeneration in ihren Kursen und Seminaren? Wer gibt da den Ton an? Viele Veränderungen haben wir zu lange ignoriert.