Armer Vatikan

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Bildidee: Siggi Galter

Kürzlich weilte ein veritabler Kardinal der katholischen Kirche in Konstanz und hielt einen Vortrag zum Thema „Konstanzer Konzil (1414-1418)“. Sein Name: Walter Brandmüller. Brandmüller lehrte lange Zeit Kirchengeschichte in Augsburg; zuletzt jedoch war er Präsident des „Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft“ im Vatikan, oder, wie er auch oft genannt wurde, „Chefhistoriker des Vatikans“. 2010 wurde er schließlich zum Kardinal ernannt. Jetzt verbreitet er historisch Erstaunliches im Interview mit dem Heimatblatt


Am 23.12. erschien nun pünktlich zu Weihnachten im ‚Südkurier‘ ein Interview mit Kardinal Brandmüller zu Fragen rund um die päpstliche Unfehlbarkeit, die lateinische Messe und natürlich zum Konstanzer Konzil, als dessen ausgesprochener Fachmann er Vielen gilt, weil er Autor einer zweibändigen Konzilsgeschichte ist. Die Antworten Brandmüllers jedoch entlarven ihn als einen überaus papsthörigen Theologen, der sogar bereit ist, historische Unkorrektheiten und Fehlschlüsse zu verbreiten, die nur einen Schluss zulassen: Hoffentlich hat der Vatikan heute bessere Historiker, denen nicht die theologische Entscheidung für einen ausgeprägten Papstzentrismus verbunden mit geradezu abenteuerlichen apologetischen Verbiegungen den historischen Verstand vernebelt.

Eine der ersten von Uli Fricker im Südkurier gestellten Fragen bezog sich auf den Gebrauch der lateinischen Sprache im Rahmen der Messe. Brandmüllers Antwort lautet u. a.: „Latein ist und bleibt die Sprache des römischen Ritus. Das hat nicht nur historische Gründe. Es hat auch einen aktuellen Grund. Im Zeitalter der Globalisierung ist es doch nicht wünschenswert, dass der Gottesdienst nationalisiert wird. Es gibt besonders in Städten kaum mehr Gemeinden, die einsprachig sind. In einer solchen Situation kann der Gebrauch der Muttersprache jene unterdrücken, die eine andere Sprache haben.“

Als ich das las, hat es mir die Sprache verschlagen. Man stelle sich die logischen Konsequenzen dieses kämpferischen Arguments der Kirche für eine Integration via Latein einmal konkret vor: Man sage einem deutschen und einem türkischem Christen vor dem Gottesdienst im Konstanzer Münster: „Da wir mit unserem Deutsch niemanden unterdrücken wollen, sprechen wir während der Messe lieber Latein mit Euch“. Darauf gibt es nur eine Antwort: Sechs, setzen!

Zu den Verbrennungen des Prager Reformators Johannes Hus und seines Kollegen Hieronymus von Prag während des Konstanzer Konzils fällt Kardinal Brandmüller ebenfalls Erstaunliches ein: „Jan Hus ist nicht Märtyrer seiner religiösen Lehren, sondern seines politischen Engagements für die tschechische Nation geworden“.

Da ist man allerdings platt: Sämtliche einschlägige Literatur zu Hus weiß davon nichts. In den überlieferten Briefen aus dem Gefängnis, in dem zeitgenössischen Bericht von Peter von Mladoniowitz, auch in anderen Berichten über den Prozess gegen Johannes Hus ist von einer politischen Motivation keine Rede. Unter seinen Hauptanklägern befanden sich auch tschechische Landsleute, und die wesentlichen Punkte, die schließlich zu seiner Verurteilung führten, basieren auf Hus‘ Hauptwerk „De ecclesia“ von 1413 und den darin entfalteten ekklesiologischen Vorstellungen bezüglich der Kirchenhierarchie oder der Gültigkeit von gespendeten Sakramenten bei Priestern, die in Todsünde leben.

Die verschiedentlichen Weigerungen Hus´, die ihm zu Last gelegten Sätze zu widerrufen, ergeben sich außerdem aus dessen Hinweis, bestimmte Sätze gar nicht gesagt zu haben und sie daher nicht widerrufen zu können. Johannes Hus wurde zum Tode verurteilt, nicht weil er ein Vorkämpfer für eine tschechische Nation sein wollte, sondern wegen der fundamentalen theologischen Diskrepanzen, zu deren Auflösung durch Widerruf er nicht bereit war.

Ein vorletztes Beispiel der völligen historischen Ignoranz des von vielen bewunderten Kirchenhistorikers Brandmüller: Auf dem Konzil zu Konstanz wurde nach der Flucht von Papst Johannes XXIII. das Dekret „Haec sancta“ beschlossen, das die Überordnung eines allgemeinen Konzils wie demjenigen von Konstanz über den Papst zum Inhalt hatte. Diese Auffassung, kurz „Konziliarismus“ genannt, blieb Diskussionsgegenstand in der Kirche bis zum II. Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) und stellt die innerkirchliche Gegenauffassung zum absoluten Primat des Papstes und zum Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes von 1870 dar.

Auf diesen Konziliarismus angesprochen, antwortet Brandmüller: „Man kann zwischen Papst und Konzil nicht trennen. Es gibt zwar einen Papst ohne Konzil, aber kein Konzil ohne einen Papst. Insofern ist das Problem ein Phantom. Es gibt es nicht.“ Eine der meistumstrittenen theologischen Thesen des späten Mittelalters und ein Ansatzpunkt für heutige Diskussionen um die Allmacht des Papstes in der katholischen Kirche ist nach des Kardinals Meinung lediglich „ein Phantom“.

Diese Antwort würde man keinem Geschichtsstudenten im zweiten Studienjahr durchgehen lassen! Hier hat tatsächlich der fundamentalistische Theologe über den Historiker in Brandmüllers Verstand gesiegt.

Zur Unfehlbarkeit des Papstes schließlich lautet Brandmüllers Kommentar: „Die Kirche ist kein mehrstimmiges Konzert, sondern spricht mit einer Stimme. Diese konzentriert sich im Papst“. Also, liebe katholische Priester: Mund halten!

Abschließend noch ein Zitat aus einem Radiointerview von 2007, zu einer Zeit also, in der Brandmüller noch Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft war: „Einen Fall, dass Päpste aufgrund persönlicher Fehler und Sünden falsche Entscheidungen getroffen hätten, dafür gibt es in zweitausend Jahren kein einziges Beispiel“.

So einen „Chefhistoriker“ kann sich doch jeder Papst nur wünschen – schöne Weihnachten auch.

Autor: Henry Gerlach