Bankenrettung schiebt Kollaps nur hinaus
Am Anfang eine gewagte These: Bankenrettung und die Wiederversorgung der Geldinstitute mit frischem, staatlichem Geld war die einzige Möglichkeit, einen Totalkollaps des Wirtschaftssystems aufzuschieben. Nur die Finanzwirtschaft hält das kapitalistische Wirtschaften überhaupt noch in Gang. Mit dieser Eingangsthese eröffnete Norbert Trenkle, Publizist und Mitglied des KRISIS-Kollektivs (http://www.krisis.org/), seinen Vortrag an der Konstanzer Universität im Rahmen der AStA-Ringvorlesung „Die Politik in der Krise“. Trenkle untermauerte diese These durch eine umfassende und schonungslose Analyse der herrschenden Dogmen.
Ausgehend von den Grundlagen der kapitalistischen Warenproduktion zeigte der linke Ökonom auf, wie alle Wertschöpfung durch Arbeit entsteht. Arbeit generiert eine Ware, die jedoch einen von ihrem Gebrauchswert abstrakten, gesellschaftlich konstruierten (ökonomischen) Wert erhält – üblicherweise als Preis bezeichnet. Der entscheidende Faktor, um das eigene Ausgangsvermögen – das Kapital – bestmöglichst zu verwerten, ist die Arbeit, die im Kapitalismus ebenfalls als Ware gekauft und genutzt wird. Unter dem Druck der Konkurrenz müssen deshalb immer mehr Waren von immer weniger Arbeitskräften produziert werden, um eine größtmögliche Verwertung des eingesetzen Kapitals zu erreichen.
Der Kapitalismus sieht sich also andauernd der Notwendigkeit ausgesetzt, entweder Arbeitskraft einzusparen oder die Warenmenge, beziehungsweise die Absatzmärkte, auszudehnen. Die klassische Wirtschaftswissenschaft nennt dies Erschließung neuer Märkte.
Ein historischer Schritt zu weit
Norbert Trenkle behauptet: Trotz all der bisherigen Krisen hat es der Kapitalismus bis in die 1970er Jahre hinein geschafft, sich durch immer größere Ausdehnung der realen Produktion und die Erfindung immer neuer, scheinbar notwendiger Konsumgüter am Leben zu erhalten.
In den 70ern jedoch verändern sich die Grundvoraussetzungen der Produktion schlagartig. Mit der sog. dritten industriellen Revolution wurden plötzlich zu viele Arbeitskräfte freigesetzt. Die Arbeit wird nun von Maschinen und datenverarbeitenden Systemen erbracht. Wachstum ist nun auch ohne menschliche Arbeit möglich. Dabei verliert die vertriebene Ware auch eine ihrer Kernfunktionen, nämlich die integrative Rolle, die sie für die Kommunikation zwischen den Gesellschaftsmitgliedern spielt. Gleichzeitig stellt sich eine Saturierung der Absatzmärkte ein. Wer keine Arbeit hat, kann auch nichts konsumieren. Realwachstum wird plötzlich unmöglich. Norbert Trenkle formuliert es so: Der Kapitalismus wurde zu reich für sich selbst.
Der Placebo-Effekt
Ein neues Placebo, ein neues Wachstum musste her, sonst würde der Kapitalismus an seinem eigenen Dogma scheitern: Wertschöpfung um der (Mehr)wertschöpfung willen. Dieses neue Placebo findet die globale Wirtschaft im Finanzsektor. Dort wird fiktives Kapital generiert. Mit diesem Begriff sind Werte gemeint, die nicht mehr mit bereits geleisteter Arbeit und damit mit einem real fassbaren Produkt der Arbeit zusammenhängen. Fiktives Kapital ist vielmehr die Erwartung, dass in Zukunft Arbeit erbracht und damit ein Wert geschöpft wird. Es lebt vom Vertrauen der Investoren auf die Wertigkeit und Prosperität des Unternehmens oder des Produkts, auf dem es basiert. Eine Aktie der Firma VW beispielsweise ist konzentriertes Vertrauen in zukünftiges Wachstum, d.h. zukünftige Realproduktion dieses Unternehmens.
Indem die Verkörperung dieses Vertrauens, im vorliegenden Beispiel das Wertpapier Aktie, handelbar wird, löst es sich von seinem Ausgangswert, also dem Unternehmen, und wird selbst zu einem Wert. Die Verkörperung bekommt einen Preis, der steigen, sinken, stagnieren kann – und damit selbst wieder neues Kapital, also neues Wachstum, generiert. Die Krisengesellschaft ab den 1970er Jahren, so Trenkle, lebt von der fortwährenden künstlichen Schöpfung solchen Kapitals.
Grundlage: Vertrauen
Ein Einwand liegt da auf der Hand: Woher kommt dieses irrationale Vertrauen in zukünftige Prosperität? Wie kann jemand ernsthaft glauben, dass ein Unternehmer das zehn- oder mehrfache seines tatsächlichen Wertes jemals realisieren kann? Norbert Trenkle meint, zur Aufrechterhaltung dieses Vertrauens müsse es Anknüpfungspunkte in der Realität geben, die die berechtigte Erwartung auf gute Zeiten weckt. Um den Jahrtausendwechsel sei dies die Hoffnung auf neue Technologien wie die Bio-Chemie oder die Dotcom-Industrie gewesen. Danach hat man verstärkt auf Immobilienwerte gesetzt. Heute sind die meisten dieser Hoffnungsschimmer als irrationale Illusionen entlarvt.
Stattdessen treten vermehrt Staaten als Garanten absoluter Sicherheit ein. Diese schienen zumindest bisher als über jeden Zweifel erhaben und jedenfalls immer solvent, wenn’s hart auf hart kommt. Gleichzeitig sind die Staaten fundamental auf das Fortbestehen der Finanzwirtschaft angewiesen: Ohne die andauernde Generierung künstlichen Kapitals würde das gesamte Wirtschaftssystem zusammenbrechen, was verheerende soziale Folgen nach sich zöge. Es entsteht ein systemimanenter Zwang, Banken zu retten und faule Kredite auf Kosten der Steuerzahler aufzukaufen.
Spätestens seit Argentinien und Griechenland steht fest: Auch Staaten bieten keine absolute Sicherheit. Diese müssen ihre Glaubwürdigkeit ab sofort durch Sparen, Sparen, Sparen nachweisen. Wissenschaftliche Grundlage: 0; Wirtschaftliche Zukunftschancen: 0; Systemerhaltung: Ausreichend, um die Krise zeitweise zu vertagen. Von diesem System profitieren einige wenige Nationen (vornehmlich Deutschland und China), deren Volkswirtschaften selbst noch im großen Stil Warenproduktion leisten und die damit als Geldgeber für die Finanzmärkte auftreten können. Doch auch diese rosige Perspektive hat nur eine kurze Zukunft. Bricht einmal das Vertrauen endgültig zusammen, wird das globale Weltwirtschaftssystem zusammen stürzen, ist Norbert Trenkle überzeugt.
Statt des Systems: Ein neues Gesellschaftskonzept
Diese Logik ist zwingend, solange sich keine Alternative zum kapitalistischen System durchgesetzt hat. Erst wenn wir gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht mehr nach den Gesetzen von Leistung und Gegenleistung, Kauf und Verkauf, also nach den Gesetzen des Marktes organisieren, werden diese Sachzwänge entfallen. Eine neue Gesellschaftsform der Solidarität, in der nach Notwendigkeit produziert wird, und nicht nach maximaler Profitgenerierung, ist dafür allerdings Voraussetzung. Und dazu müsste niemand kürzer treten: Wir verfügen über genügend Arbeitskraft und Ressourcen, um für alle Wohlstand zu schaffen. Allein: Der Wunsch, mehr zu haben als die anderen, das Bedürfnis nach dem Immer-Mehr, muss auf dem Altar der Zukunft geopfert werden.
Simon Pschorr[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]