Bitte, bitte besteuert uns höher
Purzeln jetzt alle Fronten durcheinander? Vor kurzem kündigte das Getöse auf dem medialen Jahrmarkt von Tiefgreifendem: Milliardäre betteln, einen Teil ihres Geldschatzes abgeben zu dürfen. Rechte Publizisten werfen sich vor den Linken dieser Welt in den Staub und ihr politisches Leben von sich: Wir Marktradikalen irrten und Ihr hattet Recht. Was ist geschehen?
Es gibt in der westlichen Welt vermutlich Millionen von Milliardären und Millionären. Von diesen fordert einer in den USA (Warren Buffett), ein gutes Dutzend in Frankreich und ein gutes halbes Dutzend in Deutschland eine höhere Reichensteuer. Es spricht für diese Menschen, dass sie wenigstens ein bisschen unter den erdrückenden Geldhaufen leiden, die ihnen ihre jeweils demokratisch gewählten Regierungen via Steuersenkungen aufgebürdet haben. Denn ihr Reichtum ist inzwischen ja nicht nur obszön groß, er ist weder mit einer Leistung noch mit einer Moral zu begründen, und volkswirtschaftlich ist er Dynamit: Speisen sich doch aus ihm die reißenden Spekulationsströme, mit denen die Finanzmärkte die Welt immer wieder an den Abgrunds führen. Vor diesem Hintergrund ist es zu würdigen, dass wenigstens 20 von Millionen sagen: Besteuert uns höher, bitte, bitte besteuert uns höher
Der Irrtum der Marktradikalen
Es ist zeitgleich noch etwas geschehen. Es gibt in der westlichen Welt schätzungsweise hunderttausende von rechten und konservativen Publizisten und Journalisten. Und von diesen hat ebenfalls eine wackere Schar von drei bis vier Aufsehenerregendes gesagt. Nehmen wir als ein Beispiel Charles Moore, ein knochenharter britischer Konservativer, langjähriger Journalist und offizieller Biograf von Margret Thatcher. Er schrieb jüngst: „Ich fange an zu denken, dass die Linke vielleicht doch Recht hat.“ Die Demokratie fülle „die Taschen von Bankern, Zeitungsbaronen und anderen Milliardären“. Alle müssten härter arbeiten, „damit wenige im Reichtum schwimmen“. Er scheint an seinem Markt-Glauben zu verzweifeln und der überzeugte Republikaner David Brooks verzweifelt öffentlich an der Kompromisslosigkeit seiner Partei und vor allem der tea party, die mit ihrer Politik den Bankrott des eigenen Landes riskierten.
Interventionen, die Folgen hatten. Wenigstens in Deutschland. Da war vielleicht was los: Beispielsweise ließ sich Frank Schirrmacher, einer der Heraus- und vor allem Profil-Geber des konservativen Leitmediums „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, von seiner Redaktion eine ganze Zeitungsseite geben, um die Frage des eventuellen großen Irrtums der Marktradikalen eingehend zu prüfen und mit der Orientierungslosigkeit der Regierungspartei CDU/CSU zu verbinden. Michael Naumann, einst Minister unter Kanzler Schröder und heute Chefredakteur der Zeitschrift „cicero“, beruhigte anschließend Schirrmacher ebenfalls auf einer ganzen Seite und erläuterte, von den Linken gebe es doch nur noch Erinnerungen. Und das liberale Leitmedium Deutschlands, die Wochenzeitung „Die Zeit“, machte aus dem Thema Reichtum einerseits sofort eine Titelgeschichte und andererseits einen Comic, ausgiebig prominent mit den Figuren aus der Welt von Walt Disney garniert. Nur am Rande die Information: Die beiden Leitmedien „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Die Zeit“ haben mit Frank Schirrmacher und Giovanni di Lorenzo eher beste Entertainer denn ernsthafte Journalisten an ihrer Spitze.
Was ist also bisher geschehen? Nun, man könnte das Geschehene persönlich interpretieren. Ein paar Reiche und ein paar konservative Publizisten sind psychisch angegriffen, die einen haben zuviel Geld und die anderen eventuell eine falsche politische Haltung. Es war Sommerpause und außer der Finanzmarkt-Krise und dem Krieg in Libyen nichts los, beides keine neuen Ereignisse, so dass den Medien, Frank Schirrmacher und Michael Naumann so langweilig war, dass sie sich sofort auf die neue Mücke stürzten und massenmedial drei Elefanten aus ihr machten. Aber geben wir uns damit noch nicht zufrieden, wechseln wir die Perspektive und unterstellen, in diesem Getöse schlummerten politische Signale, die gedeutet werden wollen. Welche könnten es sein und was sagen sie?
Welche Leistung lohnt?
Sie sagen: Die Konservativen und Rechten fühlen sich (unverändert) so stark, dass sie unbeschwert öffentlich ihre programmatischen Schwächen thematisieren und debattieren können, wissend, die Linke wird nicht die Kraft haben, ihnen daraus einen politischen Strick zu knüpfen. Obwohl das Lager der Konservativen tatsächlich alles andere als stabil ist.
Denn: Dass manche Schichten so reich und andere so arm sind, das verträgt sich mit einem halbwegs humanen konservativen Weltbild wirklich nicht mehr. Dass so viele Menschen ständig noch reicher werden, ohne dafür etwas zu leisten – Empfänger von Erbschaften, Zinsen und Dividenden -, das ruiniert einen der tragenden Leitsätze der Konservativen, dass Leistung sich lohnen solle. Dass die nutzlosen Finanzspekulationen ständig die Arbeit der produzierenden Kapitalisten gefährden und desavouieren, passt ebenfalls nicht in das Weltbild der Konservativen. Ebenso wie das permanente Unterminimieren der Fundamente der heiligen Institution Familie durch die kapitalistische Arbeitswelt (Leiharbeit, Prekariat, Lohndumping etc.). Mit anderen Worten: Das konservative Lager schwimmt auf hoher See, auf der Suche nach der geistigen Heimat – und keine in Sicht.
Die Obszönität des Reichtums
Das heißt, die Lage ist höchst ungemütlich und nicht nur ein bisschen schwankend: Die deutsche Kanzlerin flüchtet in eine Politik des schweigenden Pragmatismus und lässt deshalb auch ihre besten Anhänger verstört zurück. Die Teaparty zerfleischt die Konservativen in den USA, in dem sie sich buchstäblich in Wahnvorstellungen flüchtet. David Cameron ruft in seinem Land, das Industrie und werteschaffende Wirtschaft auf dem Altar der Finanzmärkte der London City geopfert hat, eine Kulturrevolution aus – Macht und Ressourcen des Staates zusammenstreichen, der (nicht vorhandenen) Zivilgesellschaft Aufgaben und Verantwortung übertragen – und wundert sich auch noch, wenn solche Kopfgeburten an den ersten Jugendkrawallen zerschellen.
Aber: Diese tief geschwächten Konservativen können ihre Schwächen öffentlich ansprechen, ohne Gefahr. So schließt sich die Frage an, warum die Linke so schwach ist, dass die Konservativen und Reichen jetzt sogar beginnen, das Thema der Obszönität des Reichtums zu besetzen: Der Reichtum ist so groß, dass er Reichen unerträglich wird. Bisher dachten wir doch: Wenn die Linken ein Thema haben, das ihr Eigen ist, dann das des privaten Reichtums und der öffentlichen und privaten Armut. Und nun degradieren die Reichen diesen vornehmsten Kampf der Linken auch noch zu einer feudalen Geste der Gabe von Almosen; eine kulturelle Entwürdigung erster Güte.
Warum ist die Linke auf ihrem ureigensten Feld so schmählich schwach?
Der Versuch von Antworten: Keine Partei und keine Gewerkschaft besetzt – wenigstens in Deutschland – dieses Thema mit der Radikalität und Aggressivität, welche die Verhältnisse ausstrahlen. Wenn die Verhältnisse so radikal und aggressiv sind – ungezählte Milliarden auf der einen und spärliche Hartz IV-Almosen auf der anderen Seite -, dann muss es die linke Politik auch sein: 500 Milliarden Euro mehr für den Abbau der Staatsschulden und für öffentliche Investitionen, und keinen Euro weniger. Das macht in Deutschland keine politische Formation. Wenn die linke Politik nicht vorangeht, wer dann? Max Otte, Finanzwissenschaftler, sagt über die Politik: „Wir schützen die Reichen, die den Staat gekapert haben.“
Weiter: Woher rührt der Fatalismus in der Öffentlichkeit und warum bleibt die Empörung im eigenen Herzen und am Stammtisch stecken? Es war nicht das konservative Lager, sondern immer die regierungsoffizielle Linke, die den bereits reichen Privatpersonen und den reichen Großkonzernen die Steuern gesenkt haben: Bill Clinton, Tony Blair und die rotgrüne Regierung von Kanzler Schröder. Die Marktradikalen, die Rechten und Konservativen haben das Terrain politisch und atmosphärisch vorbereitet, mit ihren Think-Tanks, willfährigen Journalisten und Wissenschaftlern, ihren professionell organisierten politischen Kampagnen. Aber ihr eigentlicher Triumph besteht darin, dass sie die Linken als die Dummen gefunden haben, die das alles vollstreckten. Das ist nicht einfach abgehakt, das steckt tief in den Köpfen und Knochen, das lähmt und entmutigt, weit über die Regierungszeiten der Dummen hinaus.
Wie wollen in Deutschland die Oppositionsführer Jürgen Trittin, Grüne, und Frank-Walter Steinmeier, SPD, oder gar Peer Steinbrück glaubwürdig gegen den (vor wenigen Jahren von ihnen politisch hergestellten) privaten Reichtum vorgehen?
„Wer arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen.“
Ein weiterer Grund, der mutlos machen kann. Er liegt im Wesen der Geldwirtschaft: Wer Millionen hat, der wird via Zinsen und Dividenden bald noch mehr Millionen haben. Nur bei dem, der sich sehr dämlich anstellt, vermehrt sich das Geld nicht. Da Geld-Besitz auch Besitz von Macht und Einfluss ist, verteilt sich im öffentlichen Bewusstsein mit dem Geld auch die Macht neu: Die besitzlose untere Hälfte der Bevölkerung hat immer weniger und die oberen 20 Prozent immer mehr zu sagen; weshalb die sozial Nicht-Begüterten in Scharen nicht mehr zur Wahl gehen.
Noch ein Grund: Wer hart arbeitet, verdient wenig und muss froh sein, wenn er bald nicht noch weniger verdient. Harte Arbeit wird nicht mehr geschätzt. Gesellschaftlich geschätzt wird der (finanzielle) Erfolg: und zwar der, der aus Zufall, wegen einer guten Performance, wegen der Herkunft erreicht wird. Vor einigen Jahren hat die Postbank in Deutschland für ihren Investmentfond den Charakter der heute amtierenden Erfolgs- und Geldkultur unnachahmlich auf einen Nenner gebracht: „Wer arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen.“
Wenn die Linke vom Boden aufstehen will, dann muss sie sich mit dieser Kultur auseinandersetzen.
Autor: Wolfgang Storz/woz
BRAVO! Sauber analysiert und schonungslos auf den Punkt gebracht. Dem wäre nur noch hinzu zu fügen: Wer auf dem Boden liegt, und nicht vollends in den Staub getreten werden will, muss aufstehen!
Auch wenn der Kampf längst verloren scheint, kann man zumindest noch erhobenen Hauptes untergehen.