Der andere 8. Mai

Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung vom Faschismus. Vor 75 Jahren endete in Europa aber auch der Zweite Weltkrieg, dem über sechzig Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren. „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ lautete daher eine zentrale Losung in den folgenden Jahren. Doch ist der Krieg wirklich vorbei? Oder führen wir ihn weiter beziehungsweise lassen ihn führen – gegen die Armen der Welt? Darüber sprach Wolfram Frommlet in seiner Rede zum 8. Mai in Ravensburg, die seemoz hier dokumentiert.

Was haben Politiker, Ökonomen, Wissenschaftler, in den 75 Jahren seit dem 8. Mai 1945 gelernt?  Befreiung wovon und für wen? Verantwortung wem gegenüber? Darüber werde ich reden.

Am 8. Mai war der Horror des Zweiten Weltkriegs nicht zu Ende. Am 6. und 9. August wurden die ersten Atombomben der Menschheit über Hiroshima und Nagasaki aus amerikanischen B52-Bombern abgeworfen.

70.000 bis 80.000 Menschen waren sofort tot. Bei Menschen, die sich im innersten Stadtkern aufhielten, verdampften buchstäblich die obersten Hautschichten. Der gleißende Blitz der Explosion brannte Schattenrisse von Personen in stehengebliebene Hauswände ein. Durch die Abwürfe starben – die Spätfolgen bis 1946 eingerechnet –bis zu 160.000 Menschen.

Wer Fotos aus Hiroshima gesehen hat, hält es nicht für möglich, dass Menschen auf die Idee kommen könnten, diese Waffe noch einmal einzusetzen. Welch ein Irrtum.

April 45. Auf dem Bahnhof von Eromskirchen fiel US-Soldaten eine intakte V2 in die Hände. Hergestellt von Häftlingen aus dem KZ Buchenwald. Hitlers liebster Raketenbauer, Freiherr Wernher von Braun, selektierte die Häftlinge selbst im KZ. Sie starben wie die Fliegen. Von Braun war ideologisch flexibel. Schon Ende 1944 zweifelte er am „Endsieg“ und brachte die Geheimnisse der deutschen Raketenforschung in Sicherheit. Und am 18. September 45 wurde der Chefkonstrukteur der Nazi-V2 in die USA geflogen, wenig später 115 Mitglieder seines Peenemünde-Teams. In der texanischen Wüste und in Huntsville Alabama, entwickelten sie die erste atomare Mittelstrecken-Rakete der USA.

„Hurra für Frankreich“

Auch Frankreich, „La Grande Nation“, hatte aus der deutschen Okkupation seine Lehren gezogen. Charles de Gaulle folgerte 1959: „Die Nationen sind in zwei Kategorien eingeteilt. Die einen besitzen Atomwaffen, die anderen nicht. Nur die Ersteren sind fähig, ihre Freiheit und ihr Leben zu verteidigen, die anderen sind zur Knechtschaft verdammt. Deshalb muss die ‚force de frappe‘ jederzeit und überall zuschlagen können.“ 1960 testete Frankreich die ersten Atomwaffen über der algerischen Sahara. Das war, gemäß französischer Ideologie, völkerrechtlich okay. Kolonien kannte die Kulturnation nicht. Sie besaß nur „territoires d’outre mer“, überseeische Gebiete.

Während die Franzosen am 8. Mai 1945 auf den Champs-Eysées tanzten und die Befreiung von den Nazis feierten, wurde die algerische Befreiungsbewegung von der rassistisch-kolonialen französischen Geheimorganisation OAS zu Tode gefoltert. Algerien erkämpfte die Unabhängigkeit. Kein Problem für de Gaulle. Da gab es noch genug überseeisches Territorium, mit dem man machen konnte, was man wollte – eine Atombombe testen, 37 mal so stark wie die von Hiroshima. Über den Atollen Muroroa und Fangataufa in der Südsee. Da standen sie in Schutzanzügen auf der Brücke des Kreuzers „De Grasse“ und brüllten „Hurra für Frankreich.“

1947 beschloss das britische Parlament den Bau eigener Atomwaffen. 1950 vereinbarte der britische Premierminister Clement Attlee mit dem australischen Premier Robert Menzies unter höchster Geheimhaltung, britische Atomwaffen auf den Montebello-Inseln zu testen. Nichts erfuhr das Parlament.

Die Kundgebung am 8. Mai in Ravensburg.

Von 1945 bis 2016 wurden weltweit etwa 2100 Atomtest durchgeführt, über Wüsten, in der Atmosphäre, in Weltmeeren. Niemand weiß, was die Schäden sind. Über 1000 Bomben von den USA, 210 von Frankreich, 715 von der Sowjetunion, der Rest war britisch und chinesisch. Millionen Megatonnen nukleares Material wurden in jenen Himmel entlassen, in dem –zumindest nach dem Verständnis der mehrheitlich christlichen Politiker, Wissenschaftler und der Bevölkerung der USA, von Frankreich und England – Gott residiert, der Schöpfer der Meere, der Wüsten und des Universums.

Aus Sicht jeder Religion war jeder Test eine Gotteslästerung, die noch größeren folgten schon bald: die Tests der H-Bomben. Krank, pervers, bar jeder zivilisatorischen Werte, gleich welcher Kultur; abartiger noch als die Konstruktionen von KZs und Gasöfen, weil sich noch schneller eine noch gigantischere Menge Menschen damit töten ließe. Bomben, die extremsten mit der über 1000-fachen Sprengkraft derer von Hiroshima und Nagasaki, Atomraketen mit der 30-fachen Sprengkraft. Die amerikanische Minuteman III reicht für 25 Hiroshimas.

Wer im Suff einen Menschen tot fährt, sitzt, zu Recht, Jahre lang im Gefängnis. Ich erspare mir den nächsten Satz. Ächtet sie.

Was haben diese Verbrechen an der Menschlichkeit und der Menschheit an indirekten Toten gekostet? Wie viel tausend Mal Corona?

Aufrüsten in dieser NATO?

Weil die Tausende Milliarden Euro oder Dollar für die Rüstung in diesen siebzig Jahren global fehlten für die Entwicklung umweltschonender, zukunftsfähiger Technologien, für die Zigtausenden von Schulen in der Dritten Welt ebenso wie in den Slums Amerikas, in denen Kinder hätten lernen können, Konflikte gewaltlos zu lösen, Berufe zu lernen, Arbeit zu schaffen, die die Welt menschlicher, gerechter gemacht hätte – statt zu einem Waffenlager machtbesessener Psychopathen.

Doch 75 Jahre nach dem Beginn dieses Irrsinns, in den durch den Kalten Krieg auch die Sowjetunion einsteigen musste (in der Hoffnung im Westen, dass das Wettrüsten sie wirtschaftlich ruiniere), lagert noch immer dieser atomare Müll der US-Armee auf deutschem Boden und keine Regierung und Opposition ist aufgestanden und hat gewagt, ihnen dieses Zeug zurückzugeben. Im Gegenteil. Die christliche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer – ich weiß bis heute nicht, was von wem gegen wen verteidigt werden soll – redet von „nuklearer Teilhabe“ (allein die Sprache!) mit dem potenziellen Kauf von 45 atomwaffentauglichen F-18 und 93 Eurofightern. Über welchem Land, welchen Städten sollen die atomaren Ladungen der F-18 abgelassen werden? Ganz bestimmt doch nicht über jenen edelgentrifizierten Stadtvierteln, die vom skrupellosesten Immobilienspekulanten Blackrock für Milliarden an die Gewinnler des Neoliberalismus verhökert wurden? Das fände Parteikollege Friedrich Merz aus diesem Unternehmen sicher nicht prickelnd.

Aufrüsten in dieser NATO? In der auch jener Präsident über Leopard-Panzer verfügt, der die Türkei in ein Gefängnis verwandelt, ihre Presse platt macht, ihre kulturelle Vielfalt, ihre großartige Literatur mit Polizeistiefeln niedertrampeln lässt. Oder von einer NATO verteidigt zu werden (gegen die Russen, gegen wen sonst?), in der die ungarischen, polnischen, tschechischen Autokraten, oder Matteo Salvini, die Fratelli d’Italia, Silvio Berlusconi, Marine Le Pen oder Nigel Farage etwas zu sagen haben?

Die westlichen Alliierten und mit ihnen später in einer globalen Friedensordnung die Sowjetunion, in der es nicht nur Stalin gab – sie hätten die Chance gehabt, eine Neue Welt, (keine Weltordnung im imperialistischen Sinne), eine große Befreiung und eine nie dagewesene ethisch-moralische Verantwortung gegenüber der Vergangenheit zu realisieren.

Die Träume der „Unterentwickelten“

1945 gärte es in den Kolonien. Eine schwarze Elite hatte beim Studium in den europäischen Zentren auch den Geist der Aufklärung vermittelt bekommen, eine Minderzahl von Missionaren hatte ihnen jenes Christentum vermittelt, das später zur Befreiungstheologie wurde – Ivan Illich, Paolo Freire, Agosto Boal, Ernesto Cardenal. Visionäre, konkrete Utopisten, die vom Zambian Humanism träumten, von tansanischen Gemeinschaftsdörfern, wie Patrice Lumumba im Kongo von Sozialismus, von Land und Bildung für Kleinbauern, Arbeiter und Frauen. In allen Kontinenten der weißen Kolonialherrschaft.

Zigtausende der „Unterentwickelten“ aus den Kolonien hatten in französischen und britischen Uniformen gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft. Zigtausende in den USA rassistisch benachteiligter schwarzer GIs waren an der Befreiung der KZs beteiligt.

Nicht zufällig entstand der schwarze Widerstand, die Black-Power- und die Black-Consciousness-Bewegung in den USA gleichzeitig mit dem Widerstand in den Kolonien und gegen Südafrikas Apartheid. Doch viele der potenziellen neuen Führer und Bewegungen wurden ermordet, ins Exil getrieben. Von den kolonialen Geheimdiensten und dem CIA.

Ein Lieblingslied der Briten lautet: „Rule Britannia, Britannia rule the waves. We never never shall be slaves.“ Die Betonung liegt auf „we“: The Whites, the Middle-, the Upperclass. Cultural Supremacy. Kulturelle Überlegenheit. Die Entwickelten und die Unterentwickelten. Die Zivilisierten und die Unzivilisierten. Europa hat den Neger erfunden. In den USA nennt man diese Klasse McWASP: Middle Class, white, Anglosaxon Protestant. Winston Churchill, ein britisches Beispiel.

Wo sich in den Kolonien des Empire schon nach dem Ersten Weltkrieg Widerstand bildete, wurden ganze Dörfer mit Brandbomben ausradiert, in Birma, Somaliland, Nord-West India, im Iran die Stadt Enzeli. Churchill befürwortete den Einsatz von Giftgas und Senfgas gegen aufständische Araber, gegen Bolschewiken und schließlich über deutschen Städten im Zweiten Weltkrieg.

Schlimmer meist als die Nazi-Okkupationen war die rassistische Gewalt in den spanischen und portugiesischen Kolonien unter den erz-katholischen Diktatoren Francisco Franco und António de Oliveira Salazar. Bis 1974 die in Portugal die Nelkenrevolution mit dem Lied begann: „Grândola, Vila Morena. Terra de Fraternidade“ („Grândola, braungebrannte Stadt, Heimat der Brüderlichkeit“). Frankreich veranstaltete militärische Orgien im vietnamesischen Dien Bien Phu gegen den Vietcong.

Agent Orange und Agent Blue

Was Frankreich nicht schaffte, erledigte dann der US-amerikanische Vietnamkrieg. Eine weitere Kulturleistung einer christlichen Nation: 35 Millionen Tonnen der Entlaubungsgifte „Agent Orange“ und „Agent Blue“ über Vietnam. Und Napalm. Am 8. Mai 1945 waren erstmals Fotos aus deutschen KZs zu sehen. Ich will nicht schildern, was man im Kriegsmuseum in Ho Chi Minh City an Missbildungen sehen kann. Oder die Kinder von GIs, die in Vietnam tief durchgeatmet hatten.

Beim kleinsten Hauch von Sozialismus, wo Gefahr bestand für United Fruit, für Nestlé, für unsere Rohstoffbörsen, wo es Präsidenten gab, die Schriftsteller waren wie Léopold Sédar Senghor im Senegal oder Agostinho Neto in Angola, die Bücher liebten und nicht Waffen, da wurde die „force de frappe“ stationiert, da wurden vom CIA in El Salvador jene ausgebildet, die den Demokraten Jacobo Arbenz in Guatemala wegputschten, Oppositionelle in Argentinien lebendig vom Helikopter ins Meer warfen. Salvador Allende in Chile gegen den Massenmörder Augusto Pinochet austauschten. Die Liste ist endlos

Die besten Waffenmärkte waren sogenannte Bürgerkriege, wo es nicht um „Bürger“ ging und geht, sondern um Öl, um Rohgummi, Seltene Erden, Rohdiamanten, Tropenholz, Baumwolle, Soja, Fleisch, Agrobusiness. Nigeria, Angola, Liberia, Sierra Leone, Madagaskar, Brasilien – um nur ein paar zu nennen. Am beliebtesten jene Marionettenregime, wo mit einem Container voll BMW-Motorräder für Polizei und Milizen und Gewehre von Heckler & Koch und Sig Sauer gegen Landarbeiter, Landlose, Gewerkschaften, rebellierende Schüler eingesetzt, als Dank das Meer leergefischt, oder steuerfreie Freihandelszonen mit modernen Lohnsklaven aufgebaut werden dürfen.

Für die Zweidrittelwelt gab es keinen 8. Mai, keinen Tag der Befreiung und der Verantwortung.

Von Bandung bis Belgrad

Ein Traum wurde Wirklichkeit, der die Dritte Welt aus den Fesseln der Kolonialmächte befreit hätte, auf der Asia-Africa Conference im indonesischen Bandung 1955: the non-aligned movement, die Bewegung der bündnisfreien Staaten. Adieu Amerika, Frankreich, Niederlande, Großbritannien und auch Sowjetunion. Initiiert von Burma, Indien, Indonesien, Pakistan, Sri Lanka und Jugoslawien, traten weitere 24 junge, unabhängige Staaten aus Asien, Afrika und Nahost bei. Ihre zentralen Ziele: gegenseitige Solidarität und Anerkennung ihrer Souveränität, Friedliche Koexistenz, Selbstbestimmung, Sicherung der Menschenrechte und ökonomisch-kulturelle Zusammenarbeit. Da brauchte es keine Aufrüstung von den Großmächten, weil sie keinen Grund sahen, sich anzugreifen; keine „Entwicklungshilfe“ mit US-AID und British AID, weil sie selbst ihre Bedürfnisse, ihre schlechten und guten Traditionen definiert hätten. Ihre Abhängigkeiten von Europa und Nordamerika wollten sie gemeinsam reduzieren. Man muss sich dies vorstellen: Indien und Pakistan unter einem gemeinsamen Dach. Friedlich. Und keine Kriege und Inventionen in Jugoslawien? Das wäre – ja! – das Ende der post-kolonialen Aufseher, der militärischen Stützpunkte geworden.

Heute ist die halbe Präsidentenmaschine aus Berlin oder London oder Paris beim Staatsbesuch in New Delhi oder Karachi voll mit Rüstungslobbyisten. In beiden Ländern gibt es was zu verkaufen – für den Kaschmir-Krieg.

Bandung sollte nicht sein. Beispiel Indonesien: 1965 putschte sich General Mohamed Suharto an die Macht, gegen den linken, visionären zivilen Präsidenten Sukarno. Ein Massaker. Zwischen 500.000 und drei Millionen Kommunisten, Sozialisten, Chinesen, Intellektuelle, Behinderte und Homosexuelle gleich mit wurden hingeschlachtet wie räudige Hunde. Die USA und Großbritannien waren begeistert. Helmut Kohl wurde ein enger Freund.

Asien wurde zur Freihandelszone, die afrikanischen Staaten zu günstigen Rohstofflagern, zur Zuchtanstalt für gefällige Diktatoren, zum Spielfeld für Währungsfonds und Weltbank.

Ausbeutung für unsere E-Mobilität

Agrar- und Rohstoffkonzerne und inzwischen die Chinesen sind die neuen Kolonialherren. Unbewohnbare Erde, wo Seltene Erden von Söldnertruppen gefördert werden für HighTech Waffen, für unsere E-Mobilität. Die neuen Kriege sind Rohstoffkriege. Nie war die Militarisierung der Dritten Welt so hoch wie heute. Viel effektiver als im Kolonialismus. Die neuen einheimischen Mittelschichten sind die neuen Kriegsgewinnler. Sie bluten mit den auswärtigen Investoren ihre eigenen Armen aus. Bei uns profitieren alle.

Wer kann, flieht aus den Megacities, aus den Megaslums. Zu uns. Wohin sonst? Als hätten wir nicht Probleme genug. Die Russen. Wie immer. Die Aufrüstung weitet sich aus, zur Freude aller Idioten, Psychopathen, Topverdiener, Investoren in Rüstungsaktien – weltweit wird immer mehr Geld in Rüstung gesteckt und weniger und weniger in Sozialetats. An der Spitze stehen laut einem Bericht des SIPRI, des Internationale Friedensforschungsinstituts in Stockholm, die USA und China. Keines der 15 Top-Länder hat seine Militärausgaben jedoch prozentual so stark erhöht wie Deutschland.

Mit Ausgaben in Höhe von 65,1 Milliarden US-Dollar liegt Russland weltweit auf Rang vier. Die Summe macht fast vier Prozent des russischen Bruttoinlandprodukts (BIP) aus. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr hat Deutschland lediglich 1,38 Prozent des BIP für Verteidigung ausgegeben. Also sind die Warnungen berechtigt? Wladimir Putin kennt die sozialen Probleme, die Armut in seinem Land. Warum können die Aufrüster darüber nicht mit ihm reden? Weil sie kein Ethos, nicht einen Hauch Menschlichkeit haben, weil sie an ihren Topgehältern kleben, weil Politiker Angstschürereien brauchen, das bringt Stimmen aus dem rechten Lager.

Volksverdummung, Lügen, Skrupellosigkeit: Fast 2000 Milliarden US-Dollar haben die Staaten der Welt 2019 für Rüstungsgüter ausgegeben. Der höchste Wert seit 1988, so SIPRI. Sechs der Top-15-Staaten sind NATO-Mitglieder. Insgesamt gaben die 29 NATO-Mitglieder im Jahr 2019 rund 1035 Milliarden US-Dollar aus. Dagegen die geradezu lächerlichen 65 Milliarden Russlands. Das Monster, das eine Maus ist, gegen die wir die NATO aufrüsten müssen. Wenn es nach Donald Trump geht, möglichst schnell auch den Weltraum. Und alle lecken sie ihm … Da fällt mir ein, was der US-amerikanische Schriftsteller Gary Shteyngart neulich dem Korrespondenten der „Süddeutschen Zeitung“, Christian Zaschke, sagte: das Problem bei diesem Präsidenten sei, dass man nicht wisse, ob er zuerst ein Idiot oder ein Arschloch sei. Wohl doch zuerst ein Arschloch.

Im gegenwärtigen Zustand der Weltgemeinschaft sind Leute wie er die Regel, nicht die Ausnahme. Dazu Stichworte: Autokratische Regime vermehren sich wie Viren, Im Bündnis mit Evangelikalen religiösem Hass: Birma, Jair Bolsonaro in Brasilien, Oban und Konsorten, Missbrauch aller großen Religionen wie Narendra Modis fanatischer Nationalismus gegen Muslime und andere Minderheiten in Indien, die globale Abschottung gegen Flüchtlinge, die kaltschnäuzige Ignoranz der Umwelt- und Klimaprobleme in Australien. Dazu rechte Medienkonglomerate weltweit, die Bedrohung einer unabhängigen Presse. Die ökologische Plünderung der Dritten Welt, das den Planeten zerstörende Agrobusiness, rasante Zunahme von Armut, Obdachlosigkeit, den Vertriebenen der Gentrifizierung … Die neue Weltreligion ist der Neo-Liberalismus von ein paar Hundert Konzernen.

Wir haben eine Chance

Doch nie gab es so viel Widerstand weltweit, in allen Kulturen. Frauen in Lateinamerika stehen auf gegen männliche Gewalt; die für uns Verarmten wagen am meisten – wie das „movimiento sin terra“, die Landlosenbewegung; NGOs decken die Arbeitsbedingungen für unsere Textilien, Nahrung, Elektronik auf; Monsanto ist ein globaler Begriff geworden wie Chichita oder Nestlé für Raubbau oder Amazon und Zalando für Menschenverachtung. Die Liste der Initiativen und NGOs gegen Rüstung und Rüstungsexporte wächst.

Menschenrechte, Massentierhaltung, Korruption, Bodenspekulation, der Amazonas und die Vertreibung der Indigenen – ein kleiner Teil der Themen. Amazon Watch, Human Rights Watch, medico international, Christliche Initiative Romero, Ärzte ohne Grenzen, Reporter ohne Grenzen, LobbyControl, Campact. Und die großartige Politisierung der Arbeit von Misereor, Brot für die Welt, Brot für alle.

Ein schönes Detail: attac, mit weltweit über 90.000 Mitgliedern, feierte im Februar ihr 20-jähriges Bestehen in der Frankfurter Pauls-Kirche. Mit dabei der SPD-Oberbürgermeister.

„Du hast keine Chance – nutze sie“, hieß ein Sponti-Spruch. Doch, wir haben eine Chance, wenn wir fähig sind, breite Bündnisse zu schließen – alt und jung, egal welcher Nation, sozialer Herkunft, Religion oder nicht, wenn die gut oder besser Abgesicherten diese vielen Initiativen auch aktiv und finanziell unterstützen. Wir sind viele – was uns eint ist eine globale Solidarität mit den Schwachen, mit denen, denen ihr Wissen um die Erde, ihr Land, ihre Rechte geraubt werden. Unsere Verantwortung für die Vielfalt der Natur, für unsere Enkel.

Ein paar zentrale Werte, die uns einen – und die alle inkompatibel mit Rüstung sind: „all you need is less“; „small is beautiful“ (E.F. Schumacher), Ökologie der Lebensfülle, für eine Postwachstums-Ökologie. Und noch ein paar Initiativen: Scientists for Future, Fridays for Future, Parents for Future, „Wir haben es satt“ (Agrardemos in Berlin und Tübingen).

Gegen die Sprache der Gewalt. Ja zu einer Kultur des Friedens.

Und wovor wir warnen sind diese smarten Typen mit rechter oder auch rechtsradikaler Ideologie und verführerischer Sprache und Habits.

Wolfram Frommlet. Er begann seine Rede mit den Worten: „Am 8. Mai 1945 war ich vier Monate alt. 1964 habe ich, erfolgreich, den Kriegsdienst verweigert. 1968 wurde ich aktives Mitglied der 68er Bewegung. Beides habe ich nie bereut.“

Fotos: Made Höld