Der rechte Rand der Querdenker am Bodensee

Die gegenwärtigen Proteste gegen die Corona-Auflagen der bundesdeutschen Behörden sind das verfassungsmäßig geschützte Recht der demonstrierenden Bürger, bedarf doch die im Rahmen demokratischer Freiheitsrechte geäußerte Kritik an staatlichen Maßnahmen und staatlicher Politik generell keiner besonderen Rechtfertigung. Und das ist gut so. Je nach politischer Perspektive fällt die Kritik natürlich unterschiedlich aus und diagnostiziert andere Fehlleistungen staatlicher Stellen. Auch die  unterschiedlichsten Bedenken und Einsprüche gegen Entscheidungen zum Schutz der Bevölkerung vor Corona dürfen natürlich öffentlich formuliert werden, ganz egal ob der jeweils anderen politischen Seite der Inhalt gefällt oder nicht. Hier gilt, dass wir alle im demokratischen Diskurs von unserer eigenen Auffassung abweichende Ansichten tolerieren und aushalten müssen. So funktioniert Demokratie.

Anders freilich steht es um politische Gruppierungen, die das freiheitlich-demokratische Spektrum (das aus gutem Grunde überaus weit zu fassen ist) verlassen, die demokratische Vielfalt selbst bedrohen und sich verfassungsfeindlich engagieren. Vernünftigerweise gibt es hier Grenzen für die Freiheit jener, welche die Freiheit und die gesellschaftliche Pluralität selbst im Visier haben. Auch hierüber besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens.

Mit Blick auf die „Querdenken“-Bewegung gibt es bereits eine ganze Reihe kritischer Beiträge, die sich mit der nach weit rechts offenen Flanke von „Querdenken“ beschäftigen. Zwar werden die systematischen Verbindungen und Bündnisstrategien der „Querdenker“ mit der extremen Rechten von jenen stets geleugnet oder kleingeredet; alle Dementis sind im Kern jedoch unglaubwürdig, wenn der rechte Rand ganz offensichtlich und kaum kaschiert von den „Querdenkern“ selbst integriert und damit hoffähig gemacht wird. Dann hilft es auch nichts, sich unter friedlichen Mottos zu versammeln, Friedenslieder zu singen und allerlei linksalternativ sich kleidende Menschen zu mobilisieren. Sich selbst allein über Dresscodes und Dementis zu entlasten ist ein alter Hut, gerade und besonders von jenen, die sich mit Akteuren der extremen Rechten einlassen, wenn sie nicht gar dieser direkt zuzuordnen sind. Die „Querdenker“ vom Bodensee, die gerade erst am 3. und 4. Oktober vor allem in Konstanz mobilisiert haben, stellen hier keine Ausnahme dar. Im Gegenteil.

So hat der mit Stephan Bergmann auch offizielle Pressesprecher von „Querdenken“ am 3. Oktober Konstanz besucht und dort im Konstanzer Stadtgarten freundschaftlich und angeregt mit einer ihm politisch nahestehenden Frau geplaudert, die sich „Lilly Thüringen“ nennt.[1] Diese Politik-Aktivistin heißt eigentlich Liane Steup und ist eine entschiedene Anhängerin des vom Verfassungsschutz beobachteten völkisch-faschistischen Flügels der AfD um Björn Höcke. Im Jahre 2017 engagierte sich Steup intensiv bei von Neonazis in Thüringen organisierten „Bürgerwehren“ (besonders bei „Ellricher für Sicherheit und Ordnung“ aus Nord-Thüringen) und bei dem komplett von Neonazis durchsetzten Ableger von PEGIDA, der vom Verfassungsschutz beobachteten Thüringer Bündnis „Thügida“. Sie wirbt auf ihrem „Telegram“-Kanal auch für das Nazi-Kampagnenprojekt „Ein Prozent“.


Antisemitische Facebook-Beträge von „Lilly Thüringen“ als Mitglied der Thüringer Bürgerwehr (s. https://thueringenrechtsaussen.files.wordpress.com/2017/06/bild-6.jpg)[2]

Brown Girl in the Ring: Liliane Steup und der Faschist Björn Höcke, Herz an Herz[3]

Stephan Bergmann („Der Frieden beginnt im eigenen Herzen“) selbst ist nicht nur Gründer des esoterischen „Vereins für indianische Lebensweisen e.V.“, sondern auch von „PeaceCrowd“ („Ich bin schön – Ich bin heil – Ich bin wild – Ich bin frei“). Letztere Gruppierung bewirbt auf ihrer Facebook-Seite beispielsweise den britischen Ober-Verschwörungsideologen David Icke, sondern natürlich auch den Trump-Verschwörungskult QAnon und den neuerdings in der Gemeinde um Xavier Naidoo und Attila Hildmann angekommenen Michael Wendler.[4] „PeaceCrowd“ verbreitet dort auch KenFM-Botschaften zur Bill-Gates-Verschwörung und esoterischen Nonsens zur „Hohle-Erde“-Theorie.[5] Der Verein stellt insofern einen Treffpunkt für Schwitzhütten-Reichsbürger und Wünschelruten-Nazis dar.

Rechte Esoterik bei der „Friedensmenge“: PeaceCrowd bewirbt den für seinen Antisemitismus berüchtigten David Icke

Bergmann selbst sucht aktiv und unverhohlen das Bündnis mit Holocaustleugnern. Bereits Mitte Mai gab er unter positiver Bezugnahme auf den Holocaustleugner Nikolai Nerling seinen unbedingten Willen zur Querfront unter Einschluss der extremen Rechten einem Kamerateam von Spiegel TV zu Protokoll:

„Ich glaube, dass Links und Rechts und wie sie alle sind gerade zusammenstehen und mir ist es gerade egal wer bisher was gedacht hat. (…) Die Zeiten sind vorbei wo wir uns spalten.“[6]

Im Beisein des rechtskräftig verurteilten Holocaustleugners zeigt Bergmann, dass ihm eine kritische Distanznahme zu Neonazis nichts weiter als eine „Spaltung“ ist, und „Spaltung“ darf offenbar nicht sein, sodass auch Nazis von Bergmann integriert und mit Liebe statt Kritik überhäuft werden. Nicht zufällig erfuhr der ihm seinerzeit bereits wohlbekannte Rechtsextremist am 1. August in Berlin eine herzliche Umarmung vor laufender Kamera.[7] Das freundschaftliche und von tiefer Übereinstimmung geprägte Gespräch mit Liane Steup im Konstanzer Stadtpark war also kein Zufall. Nicht zuletzt wies der Berliner „Tagesspiegel“ vom 31. Juli nach, dass Bergmann auf Facebook rassistische Postings gegen die „Vermischung der Rassen“ und das Schreckgespenst der Entstehung einer „hellbraunen Rasse in Europa“ verbreitet.[8] Durch Einwanderung von außerhalb Europas würde eine Bevölkerung „mit einem durchschnittlichen IQ von 90“ entstehen – eine Bevölkerung, „zu dumm zu begreifen, aber intelligent genug um zu arbeiten.“ Der völkische Beobachter Bergmann passt insofern gut zu „Lilly Thüringen“, Nikolai Nerling und deren politischen Agenden.

Gut zu beiden passen auch der Konstanzer Chef-„Querdenker“ Gerry Mayr, selbsternannter Extremsportler, und Thomas Müller, der bei den samstäglichen Hygienedemos im Konstanzer Stadtgarten stets mit einem eigenen Cateringservice präsent ist.[9] Mayrs öffentlich zugänglicher Bereich seines Facebook-Accounts offenbart, dass die auch von ihm immer wieder beteuerte Distanz zu den extrem rechten Anteilen der „Querdenken“-Bewegung nicht wirklich ernst genommen werden kann. So hat Mayr seinen Facebook-Aufruf zur großen Anti-Corona-Demo vom 29. August in Berlin ausdrücklich unter Bezugnahme auf das vom Verfassungsschutz beobachtete, rechtsextreme „Compact“-Magazin veröffentlicht:

Gerry Mayrs „Compact“-Posting auf Facebook vom 25. August 2020

Auf seinem Account hat Mayr zudem eine Reihe offensichtlich selbst gemachter Fotos veröffentlicht, die klar positiv Bezug nehmen auf die ultrarechte Szene. So hat Mayr ein Foto der großen Berlin-Demo vom 29. August veröffentlicht, auf welchem klar erkennbar und ohne jeglichen kritischen Kommentar Mayrs ein Fan des antisemitischen Rechtsaußen-Magazins „Compact“ am Stand der Konstanzer „Querdenker“ zu sehen ist: (den Pfeil habe ich eingefügt)

Die größte friedlichste, deutsche Demo für unsere Grundrechte, Liebe, Frieden und Freiheit“ (Gerry Mayr). Konstanzer „Querdenker“ wie selbstverständlich neben bekennenden Rechtsextremisten mit „Compact“-T-Shirt und entsprechender Botschaft: „Deutsches Volk! Widerstand ist Pflicht!“

Kurz vor der Berliner Demo ist das rechtsextreme „Compact“-Magazin übrigens, am 28. August, wegen seiner menschenverachtenden Inhalte von Facebook und Instagram entfernt worden. Ein anderes Beispiel für unkritisch veröffentlichte Inhalte der extremen Rechten  ist ein Foto einer Konstanzer „Querdenker“-Demo vom 20. Juni 2020. Was ist etwa von einem Plakat wie jenem zu denken, das Mayr für würdig hält, auf seinem Facebook-Account Verbreitung zu finden?:

Kritik an Angela Merkel als Bundeskanzlerin ist legitim und das gute Recht jedes Bürgers. Aber muss es wirklich so eine, arg an Nazi-Propaganda erinnernde Dämonisierung der Bundeskanzlerin sein? Du Unterstellung, dass Angela Merkel ein Teufel sei, Menschen versklaven und quälen möchte hat nichts von berechtigter Kritik, sondern erinnert eindeutig an die üble, diffamierende Hetze rechtsextremer Kreise.

Mayrs positive Bezugnahme auf „Compact“ verträgt sich zweifellos gut mit seiner Abneigung gegen Antifaschismus. Dabei sollte, historisch betrachtet, stets klar sein, dass „Antifaschismus“ nicht nur eine Angelegenheit und ein politisches Anliegen der radikalen Linken und der Kommunisten war, sondern auch christliche, liberale, ja auch konservative Wurzeln hat. Der Begriff selbst drückt ja aus, dass „Antifaschisten“ nur ein gemeinsames Anliegen eint, nämlich der Widerstand gegen Faschismus. Dennoch will Mayr vom Recht auf Antifaschismus nichts wissen. Er möchte, und hier übernimmt er auf Facebook ein Posting eines Walter Rihm, „Antifa als terroristische Vereinigung verbieten“:

Die hier erwähnte Civilpetition.de ist ein Projekt des AfD-Kampagnen-Netzwerks, das von Sven von Storch, dem Ehemann der stellvertretenden AfD-Bundessprecherin Beatrix von Storch, geleitet wird. Dass ausgerechnet die AfD den Antifaschismus generell verbieten möchte und hierbei auf Applaus von Gerry Mayr rechnen darf, wirft ebenfalls kein gutes Bild auf die Konstanzer „Querdenker“.

Der die Konstanzer „Querdenker“ jeden Samstag mit Speis‘ und Trank unterstützende, mit Mayr auf Facebook befreundete Thomas Müller, offenbart auf Facebook nicht weniger unzweifelhaft, welche politische Gesinnung die seine ist. Müller ist nicht nur ein bekennender „Querdenker“,[10] sondern auch ein überzeugter QAnon-Anhänger, der allen Ernstes an die irre und von antisemitischen Hassmotiven durchsetzte „Adrenochrom“-Verschwörungstheorie glaubt:

Zwei Screenshots von Thomas Müllers öffentlich einsehbarem Facebook-Account

Auch der Schauspieler Johnny Depp ist nach Müller ein zuletzt an Adrenochrom-Mangel leidender Konsument der angeblich aus Kinderkörpern gewonnenen Verjüngungs-Droge:

 

Screenshots von Thomas Müllers öffentlich einsehbarem Facebook-Account

So sieht gewissermaßen der Endzustand eines verschwörungsideologischen Irrweges aus. Und natürlich taucht bei Müllers „Feinde des Volkes“-Posting auch ein antisemitisches Denkmotiv übelster Art auf, denn an der Spitze der Verschwörungspyramide steht selbstredend die unter rechtsextremen Verschwörungsfans beliebte Familie Rothschild. Das „Lexikon der antisemitischen Klischees“ von Peter Waldbauer aus dem Jahre 2007 (S. 87) erklärt deutlich, dass der in rechtsextremen Kreisen verbreitete, und auch vom „Querdenker“ Müller verbreitete Mythos von der allmächtig-konspirativen, jüdischen Bankiersfamilie Rothschild nichts mit der Realität zu tun hat, viel aber mit judenfeindlichem Wahn:

„Spielen die Rothschilds heute in der Finanzwelt noch eine Rolle? Kaum, ihr Stern ist schon lange verblasst. Dabei entfacht kein anderer Name der Finanzgeschichte so sehr den Mythos von der geheimen Macht einer jüdischen Hochfinanz. (…) Die Rothschild-Bank (gegründet in Frankfurt a.M. 1801) besitzt heute weder in der internationalen noch in der französischen Finanzwelt großen Einfluss. Waren die Rothschilds einst Bankiers der Fürsten und Fürsten unter den Bankiers, so sind sie heute nur noch Zwerge gegenüber den großen internationalen Finanzkonzernen. (…) Die nachfolgende Generation der Rothschilds ist durch eine Reihe finanzieller Misserfolge in Verruf geraten. Die Rothschild-Beteiligungen der Erben beschränken sich nur noch auf Weinberge, Kunstschätze, Rennpferde, Paläste und Schlösser.“

Es ist also offensichtlich und kaum sinnvoll zu leugnen, dass die hier gezeigten, politischen Meinungsäußerungen der Konstanzer „Querdenker“ Gerry Mayr und Thomas Müller, aber auch der esoterisch verpackte Rechtsextremismus des am 3. Oktober in Konstanz aktiven „Querdenken“-Pressesprechers Stephan Bergmann ein bezeichnendes Licht auf die Bewegung der „Querdenker“ werfen. Es wird damit keineswegs behauptet, dass alle „Querdenkerinnen“ und „Querdenker“ rechtsextrem seien – aber eben, dass in dieser Bewegung auch vor Ort in Konstanz bedeutende Kreise in ihrem politischen Weltbild als rechtsextrem zu bezeichnen sind. Die Belege liegen vor und sind eindeutig. Es könnte noch mehr ins Feld geführt werden, aber der Platz hier im „Seemoz ist begrenzt“. Es sollte im Zusammenhang mit den Anti-Corona-Demos einfach viel mehr kritisch nachgefragt werden, wer hier mit welchen Anliegen in die Öffentlichkeit drängt und mit wem man sich bei „Querdenken“ so gemein macht. Hier aufmerksam zu sein und zu recherchieren sollte selbstverständlich sein.

Bernhard Brando


[1] S. https://www.youtube.com/watch?v=N646YeOlsZs&t=3s

[2] Zu „Lilly Thüringens“ tiefer Verstrickung in die thüringer Neonazi-Szene s. Den sehr informativen Artikel von „Thüringen Rechtsaußen“: https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2017/06/11/buergerwehren-in-thueringen-ein-bisschen-rechts-eindeutige-neonazi-verbindungen-und-kontakte-zur-afd/

[3] S. https://t.me/wendezweipunktnull/1900

[4] S. https://www.facebook.com/groups/1865248700426536 Auf seinem „Motherdrum“-Youtubekanal hat Bergmann auch eine Grußadresse des Adrenochrom-Reichsbürgers Xavier Naidoo veröffentlicht, der dort Bergmanns Bündnisangebot an den Holocaustleugner Nerling zum Anlass einer Lobrede auf Bergmann nimmt: https://www.youtube.com/watch?v=ZQXzOCIhfgo

[5] So wurde dort am 29. September ein Youtube-Video mit dem Titel „Agartha in der hohlen Erde“ verlinkt und geliked.

[6] Nachzusehen bei:  https://www.youtube.com/watch?v=giRrnflxniI&t=70s

[7] Auch der bundesweit oberste „Querdenker“ Michael Ballweg sucht schon seit längerer Zeit den Kontakt zu Nikolai Nerling, wie der Fotoreporter Björn Kietzmann mittels Original-Fotos von einem Treffen Ballwegs mit Nerling vom 2. August nachgewiesen hat, s. https://twitter.com/bjokie/status/1301309207317274624/photo/1. Entsprechende Angaben Ballwegs während einer RBB-Live-Fernsehsendung vom 1. September waren unzweifelhaft falsch.

[8] S.  https://www.tagesspiegel.de/berlin/dokumentation-der-hass-den-stephan-bergmann-im-netz-verbreitete/26054768.html Ein später von Bergmann auf Youtube veröffentlichtes Dementi gegenüber den mit Screenshots nachgewiesenen Behauptungen des Tagesspiegel (s. https://www.youtube.com/watch?v=ZQXzOCIhfgo) ist denkbar unglaubwürdig, denn Bergmann sucht zum Beweis einer „Lüge“ des Tagesspiegel mit einer Word-Suchfunktion nach den entsprechenden Suchbegriffen auf seinem Account. Da es im Falle besagter Postings aber um Bild-Dateien und nicht um Text-Dateien geht ist Bergmanns Strategie durchsichtig die, seine Zuschauer für dumm zu verkaufen. Hätte der Tagesspiegel wirklich gefälschte Screenshots verbreitet wäre es Bergmann ein leichtes gewesen, die Zeitung mit Erfolg zu verklagen.

[9] Zu Müller siehe https://jobs.meinestadt.de/allensbach/standard?id=216983275.

[10] Es gibt auf Mayrs Account mehrere Fotos, die Müller bei der Teilnahme auf  Konstanzer „Querdenker“-Demos zeigen, u.a. am 2. Mai und am  26. Juli.