Deutsche Bank (II): Ein Geldinstitut als Krake

Deutschlands größte Bank hat Politik und Gesellschaft längst mit einem Netzwerk überzogen, aus dem es keinen Ausweg mehr zu geben scheint. In der zweiten Folge seines Reports über die Deutsche Bank beschreibt Wolfgang Storz die Verästelungen des Finanzinstituts. Und das wird unter der neuen Führung, die Ende Mai antritt, wenn Josef „Joe“ Ackermann, 1948 in St. Gallen geboren, in den Ruhestand wechselt, wohl noch schlimmer.

Früher kontrollierte die Deutsche Bank über ihre Aufsichtsratssitze die deutsche Industrie, heute bindet sie bisherige und potenziell neue Kundinnen, Verbandsfunktionäre und einflussreiche VertreterInnen von Politik und Wirtschaft als BeirätInnen an die Bank. Sie hat ein Gremiensystem entworfen, dem – so der Finanz- und Bankenjournalist Hermannus Pfeiffer, Autor eines Standardwerks über die Deutsche Bank – mindestens 600 Mitglieder angehören; der Buchautor Friedhelm Schwarz spricht gar von einem «Netzwerk der Dankbarkeit».

Ressourcen und Netze

Wissenschaftslobbying spielt ebenfalls eine zunehmend wichtige Rolle. Mit Gutachten und Umfragen von sogenannt unabhängigen Instituten und ExpertInnen versucht die Bank, jene Glaubwürdigkeit zu erzielen, die mit unverhohlener Werbung und Interessenvertretung im eigenen Namen nicht erreicht werden kann. DB Research, das wirtschaftswissenschaftliche Institut der Bank, spielt dabei eine wichtige Rolle: Zeitweise mehrmals pro Woche nimmt das Institut, in dem sieben Teams Schwerpunktthemen bearbeiten, Stellung zu aktuellen wirtschaftspolitischen Ereignissen.

Wozu das gut ist, war vor einigen Monaten in der «Zeit» zu lesen: Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Mitte September 2011 «den Austausch mit den Top-Volkswirten der Finanzbranche» gesucht. Mit dabei war natürlich auch Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Mayer stellte ein Modell vor, wie sich das Volumen des Euro-Rettungsfonds (EFSF) vergrößern ließe, «ohne neue Finanzmittel bei den nationalen Parlamenten beantragen zu müssen». Also ein Vorschlag im Interesse der Banken und ein Vorschlag, mit dem die Regierungen gleichzeitig die demokratisch gewählten Parlamente aushebeln könnten.

Aber das ist noch nicht alles. Die Deutsche Bank hat auch das in Frankfurt ansässige Deutsche Aktieninstitut (DAI) mit gegründet, ist am Bundesverband deutscher Banken beteiligt, lässt ihre Interessen vom Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) vertreten und spielt eine zentrale Rolle beim Internationalen Bankenverband, dem Institute of International Finance (IIF). Präsident dieser einzigen weltweiten Vereinigung von Finanzinstituten, der die 400 wichtigsten Banken und Versicherer der Welt angehören, ist seit 2003 Josef Ackermann.

Abwarten beim Schuldenschnitt

Welche Funktion das IIF einnimmt, zeigte sich Ende Juli 2011, als auf einem der zahlreichen Brüsseler Gipfel zum Thema «Schuldenschnitt in Griechenland» über ein Modell beraten wurde, das das IIF ausgearbeitet hatte; Ackermann nahm an diesem Gipfel persönlich teil. Zuvor hatte sich der Geschäftsführer des IIF mit den Vorsitzenden des EU-Wirtschafts- und Finanzausschusses (WFA) getroffen, um über die Beteiligung privater Gläubiger an der Rettung Griechenlands zu beraten; der WFA berät wiederum die europäischen FinanzministerInnen. Nach einem Bericht des «Wall Street Journal» wurde beim Treffen beschlossen, ein Papier des IIF als Roadmap zu benutzen, um «die nächsten Schritte zur Beteiligung privater Banken abzustimmen».

Da die Politik tat, was ihr die Deutsche Bank riet – allen Bedrängten, ob Banken oder Staaten, mit viel Geld zu helfen und vorläufig nur keinen Schuldenschnitt zu machen -, hatte die Bank in den vergangenen zwei, drei Jahren genügend Zeit, riskante Engagements abzubauen: Seit dem Herbst 2011 rechnet sie bei ihren Investitionen in Griechenland, Irland, Italien, Spanien und Portugal nur noch mit einem Ausfall von fünf Milliarden Euro.

Ähnlich ging die Deutsche Bank auch im Fall Irland vor: Als Irland in die Krise stürzte, wurde die Regierung in Dublin von der EU, insbesondere von Angela Merkel, unter den EU-Rettungsschirm gedrängt. Zuerst hatte Dublin gar keine EU-Hilfe in Anspruch nehmen wollen; zumindest ein Teil der irischen Banken sollte in Insolvenz gehen. Doch das wollte Merkel nicht. Warum? Die deutschen Banken, allen voran die Deutsche Bank, hatten damals noch hohe Engagements in Irland und bei irischen Banken.

Die Geschichte

Die Deutsche Bank wurde 1870 als Aktiengesellschaft mit dem Ziel gegründet, die deutsche Wirtschaft verlässlich mit langfristigen Krediten zu versorgen. Bald verkörperte sie die enge Verbindung von Wirtschaft und Politik.Auch während des Dritten Reichs spielte die Bank wirtschaftlich eine entscheidende Rolle. Und sie profitierte nach heutigen Erkenntnissen von mindestens 330 Zwangsverkäufen jüdischer Unternehmen. 1948 wurde die Deutsche Bank von den Alliierten zerschlagen und im Westen in zehn regionale Institute aufgegliedert; in der DDR wurde sie verstaatlicht. 1957 erfolgte in Frankfurt am Main die zweite Gründung – bald galt die Bank als Synonym für das «deutsche Wirtschaftswunder». Ende der achtziger Jahre folgte mit der systematischen Internationalisierung und dem Einstieg in das Investmentgeschäft ein Kurswechsel. Heute macht die Bank ihre Milliardengewinne mit dem Handel auf eigene Rechnung oder im Auftrag von Pensionsfonds, Versicherungen – und der Superreichen

Mithilfe der Politik, die «gegenüber den Maximen der Finanzmärkte weitgehend abgedankt» habe, sei eine Banken- und Finanzmarktwelt entstanden, «die ganz selbstverliebt in die Rationalität der eigenen Fiktionen und Simulationen ist», eine Welt, «die weit entfernt ist von der Berührung mit der ökonomischen Wirklichkeit, wie sie sich in der Gesellschaft zeigt», sagt der Soziologe Sighard Neckel, der mit anderen WissenschaftlerInnen wie Claudia Honegger im Jahr 2009 via Intensivinterviews ein soziologisches Sittengemälde der FinanzmarktakteurInnen zeichnete.

Ackermann gehörte nicht zu den Interviewten, aber sein Denken und Handeln bestätigt diese Abkopplung von der realen Welt und jeglicher Verantwortung ihr gegenüber. So sagte er Anfang 2004 zu Beginn eines spektakulären Prozesses: «Dies ist das einzige Land, in dem diejenigen, die Erfolg haben und Werte schaffen, deswegen vor Gericht gestellt werden.» Ackermann stand damals wegen Untreue vor Gericht. Dazu passt auch, dass er – angesprochen auf die Ursachen der Finanzmarktkrise – heute zwar vage «Irrtümer» einräumt, mehr aber auch nicht.

In aller Selbstverständlichkeit schiebt er vielmehr anderen, vor allem der Politik, die Schuld zu. Er spricht stets von «der Staatsschuldenkrise», für die «ursächlich» nicht Unternehmen und Finanzmärkte verantwortlich seien, sondern die Staaten, die sich zu hoch verschuldet hätten. Gewiss, so räumt er manchmal ein, habe sich die Verschuldung einiger Staaten durch die Bankenrettung erhöht, aber das sei nicht entscheidend gewesen, die Staatsschulden seien bereits zuvor viel zu hoch gewesen – dabei lag sie in Ländern wie Irland und Britannien vor der Finanzmarktkrise bei 25 respektive 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

So kommt es, dass Ackermann ebenso eisern wie selbstverständlich am Ziel von 25 Prozent Rendite auf das Eigenkapital vor Steuern festhält: Dass sich die Ursachen der Krise in dieser Ziffer verdichtet widerspiegeln, liegt weit außerhalb seiner Gedankenwelt. Im Jahr 2005 erreichte Ackermann das erste Mal diese Kennziffer; seither ist seine Amtszeit untrennbar mit diesem öffentlich proklamierten Ziel verbunden, das aggressive Geschäftsmethoden zur Folge haben musste, weil es mit dem normalen Kundenkreditgeschäft nicht zu erreichen ist.

Der Kniefall der Medien

Noch ist offen, ob der neue starke Mann diesen Herausforderungen gewachsen ist. Anshu Jain, 1963 in Indien geboren, hat als Investmentbanker zwar viel für die Rendite der Deutschen Bank und die Dividende ihrer AktionärInnen – darunter die Credit Suisse Group – getan, aber auch allerlei Probleme geschaffen, mit denen sich die Bank noch jahrelang herumschlagen muss. Gleichwohl rollten ihm die deutschen Qualitätsblätter bereits den roten Teppich aus.

Geradezu ergriffen schilderten die «Zeit»-Autoren Mark Schieritz und Arne Storn im September 2011 unter der Überschrift «Der Unfassbare», wie Jain und sein Vorstandskollege Fitschen die Entscheidung des Aufsichtsrats im Saal «in Turm A» entgegennehmen, einem der glasverspiegelten Zwillingstürme nahe der Taunusanlage in Frankfurt. Unter Jains Führung sei «die Deutsche Bank zu einem der aggressivsten Investmenthäuser auf dem Globus» geworden, heißt es anerkennend im «Zeit»-Artikel. «Anshu Jain ist einer der erfolgreichsten Banker der Welt. Eine Gewinnmaschine. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank aber ist mehr als der oberste Finanzmann des Landes. Er ist Ansprechpartner der Kanzler und Ratgeber der Konzerne.» Und: Er sei ein Mann, «der die Deutschen überraschen wird – und fordern».

Wer JournalistInnen hat, die vor der heiligen Institution Deutsche Bank so eloquent knien, der braucht keine ÖffentlichkeitsarbeiterInnen mehr. Im «Handelsblatt» war Anfang Februar Ähnliches zu lesen. Im Mai beginne «ein denkwürdiges Experiment», «bei dem beide Teilnehmer bis an ihre Grenzen werden gehen müssen». Der eine, «Jain, der Händler, muss lernen, dass er künftig zwei Interessen zu dienen hat: dem Interesse seiner Bank und dem jener Nation, die seinem Haus Namen und Heimat gibt». Und «den Deutschen», so geht es schwülstig weiter, müsse zugemutet werden, «dass sie den Anderen als den Ihren akzeptieren». Deutschland und Jain seien enger verbunden, «als es beiden heute bewusst sein dürfte». Denn: «Scheitert Jain, ist auch Deutschland beschädigt.»

Zu diesem Satz passt vorzüglich die Bilanz von Sighard Neckel: «Die Götterdämmerung der Banker hat nicht stattgefunden.» Die Götter sind wieder auferstanden, und die Deutsche Bank regiert weiter.

Autor: Wolfgang Storz/WOZ