Deutsche Bank: Macht vom Main

Ende Mai bekommt die Deutsche Bank eine neue Führung: Josef Ackermann übergibt die Amtsgeschäfte einer neuen Doppelspitze. Schaffen es die deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft nun, sich aus der Umklammerung durch die Bank zu lösen? Da sind Zweifel berechtigt, findet Wolfgang Storz, der in zwei Folgen (Fortsetzung morgen) die größte deutsche Bank analysiert.

Die Deutsche Bank ist eine Bank wie jede andere. Sie verdient in der Regel sehr viel Geld, in Krisen wie in Zeiten der Hochkonjunktur, über Tochtergesellschaften in allen Steueroasen, via Provisionen bei der Spekulation mit Nahrungsmitteln, mit dem langweiligen täglichen Kreditgeschäft. Sie verdient immer, vorausgesetzt, die Märkte sind in Bewegung, ob nach unten oder nach oben ist egal – nur Stillstand schadet der Rendite.

Und doch ist die Deutsche Bank eine besondere Bank: Sie ist das einzige deutsche Geldinstitut, das weltweit eine nennenswerte Rolle spielt. Und in Deutschland selbst ragen ihre RepräsentantInnen im öffentlichen Bewusstsein als natürliche BeraterInnen jeder Bundesregierung heraus.

So wird der Wechsel in der Führung Ende Mai aufmerksam verfolgt. Zumal er sich nicht elegant, sondern in Etappen eruptiver Machtkämpfe vollzieht. Als müsse dieser Apparat mit annähernd 100 000 MitarbeiterInnen und einer Bilanzsumme von etwa 1,9 Billionen Euro verdauen, was sich in den vergangenen Monaten ereignet hat: Erst unterlag der jetzige Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann mit seinem Lieblingskandidaten Axel Weber, ehemals Präsident der Deutschen Bundesbank. Dann musste Ackermann eine Nachfolge akzeptieren, die er selbst nie gewählt hätte: Anshu Jain, der Leitwolf der Investmentbanker, die in manchen Jahren bis zu achtzig Prozent des Gesamtgewinns der Bank erwirtschafteten, und Jürgen Fitschen, der deutsche Nobody.

Rückkehr der Investmentbanker

Und nun zeigt sich auch noch, dass die beiden Neuen die Spitze der Bank kräftig umbauen, während Ackermann noch im Amt ist und zu allem zähneknirschend schweigen muss. Vor allem Vertraute von Jain werden nach oben gerückt, Vertraute von Ackermann müssen gehen. Offenes Geheimnis ist: Jürgen Fitschen, 63 Jahre alt, wird noch zwei, drei Jahre mit dabei sein, danach will Jain die Phase der Doppelspitze hinter sich lassen.

Was wird aus der Deutschen Bank? So viel Turbulenzen gab es bisher selten. Und was es auch noch nie gab: Alle Neuigkeiten stehen in den Medien, zuallererst in der «Bild»-Zeitung, zu der Ackermann und seine Leute beste Kontakte haben und pflegen. Das heißt: Die Welt der Deutschen Bank ist momentan nicht so hermetisch nach außen abgeriegelt wie sonst. Es gibt Täuschungsmanöver, die auf Machtkämpfe hinweisen, wobei – sehr vereinfacht ausgedrückt – die eine Fraktion, die der traditionellen Deutschbankerinnen, den befürchteten Durchmarsch der anderen Fraktion, der Investmentbanker, zu verhindern versucht.

Beim Führungswechsel von Ackermann zur Doppelspitze Jain/Fitschen geht es im Kern um zwei Fragen: Wie stark werden künftig die Investmentbanker sein? Ackermann hat in den vergangenen zwei, drei Jahren vieles getan, um der Bank eine neue Balance zu verordnen: weniger riskantes Investmentbanking – das er zuvor selbst so stark gemacht hatte – und mehr klassisches Kredit- und Privatkundengeschäft. Die zweite Frage: Welche Rolle wird diese Deutsche Bank künftig im deutschen Macht- und Regierungsgeflecht spielen? Ackermann lieferte mit seinen Teams die Blaupausen für die Finanzmarkt- und Bankenrettungspolitik der Bundesregierung von Angela Merkel. Die Regierung unternahm nichts, was den Interessen dieser Bank zuwider läuft. Wer aber liefert künftig die Vorgaben? Anshu Jain und seine Teams?

Oder nutzt die Politik gar diesen Übergang, um sich zu befreien – aus dem von der Deutschen Bank mit Analysen, Konzepten und Roadmaps gebauten Gedankengefängnis? Oder lockert sie wenigstens die Gitterstäbe? Denn Einfluss und Macht einer solchen Institution sind nicht gottgegeben. Einen Teil davon verdankt die Deutsche Bank auch Ackermann selbst: seinem unermüdlichen Netzwerken, ob im Kanzleramt, bei den Parteien, bei den Medien von der «Zeit» bis «Bild», seiner zusätzlichen Autorität in seiner Rolle als Präsident des Weltbankenverbands. Mit ihm fällt erst einmal auch sein von ihm gestricktes Netz weg. Jain hat zwar bei Spitzenpolitikerinnen und Spitzenmanagern wie Merkel, Wolfgang Schäuble, Siemens-CEO Peter Löscher und vielen anderen bereits seine Antrittsbesuche absolviert, aber mehr auch nicht. Es könnte ein neues Spiel beginnen.

Die Deutsche Bank regiert

Jeder und jede halbwegs informierte BürgerIn weiß, dass Banken zu viel Einfluss auf die demokratisch gewählten Regierungen haben. Das hat Gründe. Banken sind nichts anderes als Gefäße für den Reichtum der Reichen eines Landes. Mit Reichtum ist immer potenzielle Macht verbunden. Das bekommen alle zu spüren, die versuchen, privaten Reichtum zu verringern – jeder Ansatz kommt einer Kampfansage an die Eliten gleich.

Die Deutsche Bank, institutionalisierte Sachwalterin und Speerspitze der deutschen und internationalen Reichtumseliten, repräsentiert geliehene Macht, aber auch eigene: Denn sie entscheidet mit, wie und wo die vielen Hunderte Milliarden Euro angelegt werden. Und wohin sich die Politik bewegt. Ein paar Beispiele: Die Teilprivatisierung der Rente (vgl. «Der große Erfolg der Finanzindustrie») in Deutschland wurde wesentlich von den Interessen der Banken und der Finanzdienstleister geprägt. Der Umbau des traditionellen Finanz- und Bankenwesens zu einer hochriskant spekulierenden Finanzindustrie – verwirklicht von der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) in den Jahren 1999 bis 2004 – fiel ebenfalls im Sinn der Banken- und Finanzmarktbranche aus; teilweise schrieben Fachleute der Finanzbranche direkt an den Gesetzesentwürfen mit.

Dieser Einfluss zeigt sich auch darin, dass Banken für systemrelevant erklärt und mit Steuergeldern gerettet wurden. Er zeigt sich darin, dass die heutige Krise nicht mehr Finanzmarkt- und Bankenkrise, sondern Staatsschuldenkrise heißt. Und er zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich alle Regierungen als eine wichtige Konsequenz aus der Krise vornahmen, die Banken zu verkleinern, um ihnen Einfluss und Wirkung zu nehmen. Was ist aus diesem Vorhaben geworden? Die Deutsche Bank ist heute nicht kleiner und schwächer, sondern via Zukäufe noch viel einflussreicher und größer als vor der Krise.

Im Dienst des Vaterlands

Die 1870 gegründete Bank war von Anfang an eng mit der Regierung verquickt. Ein paar Beispiele aus der Nachkriegszeit: In den fünfziger und sechziger Jahren hat Hermann Josef Abs den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) nicht nur beraten. Abs hat auch 1953 beim Londoner Schuldenabkommen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs die Verhandlungen im Auftrag der Bundesregierung geführt.

Eine solche Beziehung zwischen Staat, Wirtschaft und Politik war nicht Ausnahme, sondern Regel. Helmut Schmidt (SPD) erinnerte jüngst daran: Auch er habe als Bundeskanzler (1974–1982) zu internationalen Finanz- und Währungskonferenzen nicht einen Bundesminister, sondern einen Vertreter der Deutschen Bank geschickt, um die Interessen von Deutschland zu vertreten.
Alfred Herrhausen wiederum, ab 1985 an der Spitze der Deutschen Bank, war einer der engsten Berater des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU); er wurde Ende November 1989 von der RAF ermordet. Herrhausen war der erste (und bisher einzige) Vorstandssprecher, der offen über die Macht der Deutschen Bank sprach: «Natürlich haben wir Macht. Es ist nicht die Frage, ob wir Macht haben oder nicht, sondern wie wir damit umgehen, ob wir sie verantwortungsbewusst einsetzen oder nicht.»

Auch Josef Ackermann, von 2002 bis 2006 erst Sprecher des Vorstands und seit 2006 alleiniger Vorstandsvorsitzender, geht selbstverständlich im Kanzleramt ein und aus; zahllose, auch nächtliche Krisen- und Beratungstelefonate mit der Kanzlerin inklusive. Dass sich da zwei gefunden hatten, zeigte sich im April 2008, als Merkel Ackermann ins Kanzleramt einlud, um mit ihm und weiteren zwanzig von ihm ausgewählten Gästen seinen 60. Geburtstag nachzufeiern.

Die deutschen KanzlerInnen und Regierungen haben in den Repräsentanten der Deutschen Bank immer ganz selbstverständlich ihre Ratgeber und kompetenten Experten gesehen – und nicht das, was sie wirklich sind: Interessenvertreter in eigener Sache. «Dass es Aufgabe der Deutschen Bank sei, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, darüber war man sich früher einig, ohne es auszusprechen», schrieb Helmut Schmidt Mitte Juli 2011 in seinem Hausblatt «Die Zeit». Ob das die Repräsentanten der Deutschen Bank selbst je auch so gesehen haben? Haben sie etwa je eine Position vertreten, die Deutschlands Interessen nützte und denen der Deutschen Bank schadete? Umgekehrt selbstverständlich schon.

Die Deutsche Bank habe schon immer viel mehr Geld und Ressourcen in die politische Lobbyarbeit gesteckt als die anderen Banken, sagt der renommierte Finanzjournalist Lucas Zeise. Systematisch seien auf der Führungsebene die eigenen Bedürfnisse und Interessen analysiert worden, diese dann in politische Vorgaben und letztlich in operative juristische Vorlagen gegossen worden – Politik und Staat hätten sie nur noch annehmen und dann verwirklichen müssen.

Der ausgelieferte Staat

Dass die vielen Wechsel zwischen Regierungsamt und Bankenjob für viele ManagerInnen so reibungslos vonstatten gehen können, hat viel mit dem Zustand des Staatswesens zu tun. Und war schon lange absehbar gewesen. Bereits im Februar 1996 sagte der damalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, am Wef in Davos: Er habe den Eindruck, «dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen».

Wissenschaftler wie der Lobbyforscher Rudolf Speth, zurzeit Professor an der Universität Kassel, weisen seit Jahren darauf hin, dass insbesondere das Bundesfinanzministerium gerne auf ExpertInnen der Finanzbranche zurückgreift, weil die hauseigenen Kompetenzen unzureichend sind. Beispiele dafür bieten die Finanzmarktförderungs- und Investmentmodernisierungsgesetze, mit denen Hedgefonds erstmals auch in Deutschland zugelassen und Steuererleichterungen für Investmentfonds durchgesetzt wurden. Für deren Ausarbeitung in den Jahren 2002 bis 2004 wurden unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung MitarbeiterInnen des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI), der Deutschen Börse und des Bankenverbands in das Bundesfinanzministerium abgeordnet.

Die BankenexpertInnen füllten eine Lücke. Über Jahrzehnte hinweg wurde das früher wenigstens teilweise noch vorhandene Know-how der öffentlichen Behörden und Ministerien abgebaut; der Staat habe sich aus der Wirtschaft herauszuhalten, lautete die herrschende Ideologie. Heute ist das Wirtschaftsministerium nur noch eine leere Hülle. Das Finanzministerium kann ohne die Hilfe externer (und interessengebundener) Anwaltskanzleien nicht ein einziges Finanzmarktgesetz entwerfen. Und greift auf Anwaltskanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer zurück. Diese mit 2500 AnwältInnen viertgrößte Kanzlei der Welt gilt als sehr bankennah und beriet beispielsweise die Deutsche Bank bei deren jüngstem Zukauf, dem Erwerb der Privatbank Sal. Oppenheim.
 
Eine funktionierende Demokratie bräuchte, besonders in solchen Zeiten, hochkarätige und der öffentlichen Sache verpflichtete ExpertInnen. Die öffentlichen Institutionen sind jedoch so ausgeblutet, dass sie das Wissen, das ihnen die Banken liefern, nicht einmal kritisch beurteilen können. «Die öffentliche Hand, die Ministerien und Verwaltungen hatten noch nie den Sachverstand, um den Banken Paroli zu bieten», sagt der Journalist und Buchautor Lucas Zeise. «Die sind von der Expertise der Banken abhängig. Und vor allem von der Deutschen Bank.»
 
Am Wissenstropf der Deutschen Bank und ihrer MitstreiterInnen hängt die öffentliche Finanzbürokratie noch immer. Im vergangenen Jahr hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble handfeste Probleme, wichtige Positionen in seinem Ministerium überhaupt zu besetzen. Die Europa- und die Grundsatzabteilung waren wie die Abteilung für internationale Währungsfragen über Monate ohne Leitung. Und so sollen laut einem Bericht des ARD-Fernsehmagazins «Monitor» «Mitarbeiter des Bundesministeriums der Finanzen Vorschläge zur Lösung der Griechenlandkrise direkt aus einem Papier der Deutschen Bank abgeschrieben haben». (Fortsetzung folgt morgen)

Autor: Wolfgang Storz/WOZ