Die Botschaft der Griechen
Alle diejenigen, die dem europäischen Austeritätskurs kritisch gegenüber stehen und die sich noch ein Stück Empathie gegenüber der griechischen Bevölkerung bewahrt haben, aber auch die, die für ein gemeinsames, wohlgemerkt demokratisches Europa sind, dürften sich über das deutliche Votum von über 61 gegenüber knapp 39 Prozent für ein „Oxi“ gefreut haben.
Die Botschaft des Referendums lautet doch: Die große Mehrheit der Griechen will eine alternative europäische Politik. Die Sorge ist allerdings, dass künftig von den europäischen Vertretern der Gläubigerinteressen nicht mehr nur an der linken Regierung in Griechenland, sondern an der gesamten Bevölkerung ein Exempel statuiert werden könnte. Erste Stimmen in Deutschland lassen das Schlimmste befürchten.
Ich will ausnahmsweise einmal ganz persönlich und aus dem Bauch heraus reagieren: Ich freue mich über das „Oxi“ der Griechen gegenüber dem Austeritätsdiktat der „Institutionen“. Ein „Nai“, wäre ein Triumph für Schäuble, Merkel, Juncker, Schulz, Dijsselbloem, Draghi oder Lagarde gewesen. Ja, es sind die mächtigen Bannerträger der Spar- und Abstrafideologie, denen die Griechen eine lange Nase gezeigt haben.
Das Gerede vom Kopf-an-Kopf-Rennen
Was wurde nicht im Vorfeld spekuliert und Stimmung gemacht – sowohl in den Medien als auch in der Politik. So sagte etwa der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, gegenüber dem Handelsblatt: „Tsipras ist unberechenbar und manipuliert die Menschen in Griechenland, das hat fast demagogische Züge“. (Nebenbemerkung: die verbalen Nachtritte von Varoufakis galten selbstverständlich als unverzeihlich.)
Ständig wurde von einem Kopf an Kopf-Rennen zwischen Ja- und Nein-Stimmen geredet. Zum Glück haben die Griechen ein eindeutiges Votum abgegeben, so dass man gegenüber dem Abstimmungsergebnis auch nicht einwenden kann, das seien nur die Stimmen der notorischen Europagegner aus der rechtspopulistischen Ecke oder von linken Spinnern gewesen. Das hat wohl auch der Chef der griechischen Oppositionspartei Nea Demokratia und Wortführer der Ja-Sager, Andonis Samaras, so erkannt und ist deswegen noch am Abend zurückgetreten.
Ich freue mich vor allem deshalb, weil mit dem Nein der Griechen ein demokratisches Signal gegen den fiskal- und wirtschaftspolitischen Kurs innerhalb der Europäischen Union gesetzt wurde. Hätten die Griechen mit Ja gestimmt, dann wäre die Regierung Tsipras praktisch abgewählt worden, vermutlich wäre eine weitere Technikerregierung eingesetzt worden oder die alten Klientelpolitiker wären wieder an die Macht gekommen und der ärmere Teil der Griechen wäre noch mehr ausgequetscht worden.
Jubel in Spanien
Eine Niederlage der derzeitigen griechischen Regierung hätte wohl auch zur Folge gehabt, dass die nächste Dekade wohl keine andere europäische Bevölkerung mehr den Mut aufgebracht hätte, eine „linke“ Regierung (vielleicht sollte man genauer sagen eine politische Alternative zur herrschenden Ideologie) zu wählen Die spanische Oppositionsbewegung jedenfalls jubelt über den Syriza-Erfolg.
Dem Votum der Griechen halten nun die Grexit-Unterstützer bei uns entgegen, auch die Vertreter der Institutionen seien demokratisch gewählt. Das stimmt für Draghi und Lagarde überhaupt nicht, für Dijsselbloem nur bedingt. Und die übrigen 18 europäischen Regierungschefs sollten sich hinsichtlich ihrer europapolitischen Legitimierung gleichfalls nicht so weit aus dem Fenster hängen, sie sollten sich an das Scheitern der EU-Verfassung durch die ablehnenden Referenden in Frankreich und in den Niederlanden im Jahre 2007 erinnern. Würde man nämlich in den europäischen Ländern über die Fortsetzung der herrschenden Austeritätspolitik abstimmen lassen, so könnten sich eine Reihe von südeuropäischen, aber auch von osteuropäischen Regierungen über den Ausgang solcher Volksabstimmungen nicht so sicher sein.
Gleichzeitig überkommt mich aber Sorge, ja sogar Angst, wenn man die strategische Kompromisslosigkeit der Politiker, die die Interessen der Gläubiger vertreten, nicht erst seit dem griechischen Regierungswechsel im Januar dieses Jahres beobachtet hat, dann ist zu befürchten, dass sie Rache üben werden, nicht nur an Tsipras und seiner Regierung, sondern auch am gesamten griechischen Volk. Es steht zu befürchten, dass an den Griechen ein Exempel statuiert wird.
Die Umdeutung des Wahlergebnisses durch die Hofberichterstatter
Es wurde ja schon vor dem Referendum nahezu durchgängig behauptet, die Griechen wüssten gar nicht, worüber sie abstimmten. Dabei dürfte kaum ein anderes Volk jemals eine politische Debatte wie die der letzten Monate so intensiv verfolgt haben, wie die Griechen. „Das Parlamentsfernsehen ist im Augenblick das spannendste Programm, es ist Komödie, Krimi, Drama und Tragödie zugleich“, sagte mir ein einfacher Wirt in einer Taverne in Athen, als ich ihn vor vier Wochen fragte, warum er denn nun gerade eine Parlamentsdebatte den ganzen Abend am Fernseher verfolge.
Nein, die Griechen stimmten mit dem Nein, eben nicht für einen Grexit, wie jetzt die Banker uns unisono einreden wollen oder wie es etwa der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU) unterstellt. (Warum wird gerade er im ARD-Brennpunkt interviewt?)
Nein, die Griechen haben für eine andere europäische Politik gestimmt. Und sie wissen auch, warum, denn sie haben den bisherigen Kurs sprichwörtlich am eigenen Leib erleiden müssen.
Ob Tsipras mit diesem unerwartet deutlichen Wählervotum in Brüssel mehr Erfolg haben wird als bisher oder ob man darauf pfeifen wird, was der griechische „Demos“ meint, lässt sich noch nicht sicher beantworten.
Die Hoffnung, dass die Griechen wenigstens einen Denkanstoß gegeben haben könnten, ist nach dem Sonntag-Abend jedenfalls für Deutschland sehr gering: Der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, ließ es sich nicht nehmen, noch einmal alle gängigen Phrasen der Bundesregierung zusammenzufassen, und Thomas Baumann stand ihm in der ARD nicht nach, gegen die Griechen zu wettern. Rolf-Dieter Krause spielte wieder einmal, wie üblich den publizistischen Minenspürhund der EU-Kommission.
Falschaussagen von Merkel, Gabriel, Juncker und Schulz
Dabei kam selbst der stets um Harmonie mit der Herrschaft bemühte Günther Jauch in seiner Sendung nicht umhin, schwarz auf weiß zu belegen, dass das angebliche Entgegenkommen der Gläubigerstaaten etwa mit einem Schuldenschnitt oder einem 35-Milliarden-Investitionsprogramm schlicht Falschaussagen von Merkel, Gabriel, Juncker und Schulz waren.
Das Kampagne-Blatt für den Grexit, die Bild Zeitung, macht auf mit der Schlagzeile: „Feiern die Griechen ihren Untergang“. Der CSU-General Andreas Scheuer (40) warnte Athen: „Die linken Erpresser und Volksbelüger wie Tsipras können mit ihrer schmutzigen Tour nicht durchkommen.“
Für die SPD ist eine linke Partei mit einer kritischen Position zur Austeritätspolitik natürlich eine besondere Bedrohung. Deshalb nimmt es nicht Wunder, dass wieder einmal Sozialdemokraten das Wasser nicht halten konnten und nach dem Referendum in nur noch populistisch zu nennender Weise nach vorne preschten: „Tsipras hat letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten“, äußerte sich der SPD-Vorsitzende Gabriel und der EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) sieht nach dem Referendum Tsipras eher in einer schwachen Position, er habe „völlig unvernünftig“ gehandelt. Und auch Steinmeier musste noch seinen Senf dazugeben. Die clevere Merkel ließ nur verlauten, dass sie gestern in Paris mit Hollande spreche.
Niemand weiß genau, wie es weitergehen wird. Jeder, der gefragt wird, sagt etwas anderes. Eine Staatspleite in einem einheitlichen Währungsraum hat es schließlich als Feldversuch noch nie gegeben. Sind die Griechen ab kommender Woche pleite oder reicht das bisher abgehobene Geld, um den Wirtschaftskreislauf noch eine Zeit am Laufen zu halten? Kann der griechische Staat Renten und Löhne der Bediensteten auszahlen? Wie reagieren die Menschen, die kein und nur begrenzt Geld mehr vom Bankautomaten abheben können? Wie geht es mit dem Gesundheitssystem weiter? Fragen über Fragen, die ungeklärt sind.
Kann es Griechenland durchhalten, seine Schulden einfach nicht zurückzubezahlen? Oder stünden dann unsere europäischen Spitzenpolitiker, die doch die Gläubigerinteressen mit aller Härte vertreten haben, vielleicht blamiert da, nicht etwa, weil ihre Länder zur Kasse gebeten würden, sondern weil sie uns eine Schimäre vorgegaukelt haben, dass die griechische Schulden direkt vom Steuerzahler finanziert werden müssten. Aber selbst wenn das so wäre, könnte vielleicht sogar der deutsche Michel einmal die Frage stellen, wer denn sein Geld bekommen hat.
Wolfgang Lieb (dieser Artikel erschien zuerst auf www.nachdenkseiten.de)
Eigentlich wäre es leicht gewesen, Griechenland in den vergangenen 5 Jahren aus der Krise zu helfen und das wäre es – bei weniger Starrsinn seitens der Euro-Zone – auch jetzt noch – ohne Sparsamkeitsprogramm: Es ist doch klar, dass wer sparen muss, wenig kaufen kann – wenn eine Bevölkerung wenig kaufen kann, müssen dort Produzenten und Dienstleister ihre Angebote zurückfahren und Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen, die dann auch kein Geld mehr haben und damit das Geschehen zu einem Teufelskreis werden lassen. Tatsächlich haben ja auch wir in Deutschland keineswegs wegen Schäubles Sparsamkeit aus der Krise herausgefunden, sondern wegen der niedrigen Zinsen, die einerseits dafür gesorgt haben, dass sich Sparen nicht lohnt: Menschen haben also gekauft, statt zu sparen. Andere haben die niedrigen Zinsen zum Anlass genommen, Kredite aufzunehmen und Schulden zu machen: Genau das Gegenteil also, was man von Griechenland verlangt hat. Und auch das ist klar: Die, die sich brav an Sparprogramme gehalten haben (Spanien und Portugal und unter früheren Regierungen auch Griechenland) haben das mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 % bezahlt. Die Gründe dafür, dass europäische Politiker diese sicher auch ihnen bekannten Zusammenhänge nicht in ihre Politik einfließen lassen? Will man Griechenland zwar als Absatzmarkt erhalten, ohne es aber zu einer potenziellen Konkurrenz werden zu lassen? Schauen die meisten Politiker nur nach der Meinung der Stammtische und beweisen damit wenig Rückgrat? Will man einer linken Regierung auf keinen Fall einen Erfolg gönnen? Will man mit aller Macht künftig Volksabstimmungen verhindern, die den Eurokraten in Brüssel das Alleinregieren schwer machen? Ist Schäuble inzwischen so alt, dass er nichts Neues mehr denken kann? Sind Merkel und andere zu unsicher, um die einzig richtige Entscheidung zu treffen?
Hier mal das Wahlplakat der CDU von 1999
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Besonders enttäuschend an der ganzen abscheulichen Veranstaltung finde ich die Haltung von Leuten wie Schulz und Gabriel, die sich selbst auch noch sozialdemokratisch nennen! Und von den Hardliner-Hetzern der CDU/CSU-Seite hast noch einen der Übelsten vergessen: Heute morgen Wolfgang Bosbach im TV gesehen? Speziell bei Bosbach kann man sich nur fragen, wie ein einzelner Mann so viel dummes Zeug labern kann und wie er’s geschafft hat, soviel braune Paste hinter seiner Stirn hervorzuholen, um sie vorn wieder drauf zu schmieren, damit man sein eigentlich doch zwangsläufiges Rotwerden bei seinen faschistoiden Lügen nicht bemerkt!
Und Merkel? Cool? – Ich weiß nicht! Bei der denke ich eher an den alten Spruch „Wer zuletzt lacht, hat halt länger gebraucht, den Witz zu verstehen!“ – Im Prinzip schlägt sie doch in dieselbe Kerbe und hat eben gleichzeitig einfach vieles nicht verstanden: z.B. diesen Blödsinn, von wegen „DIE Griechen“ müßten jetzt für die frühere vermeintliche, bzw. tatsächliche (einer mehr oder weniger großen Schicht ihrer Vorfahren) „maßlose Selbstbedienungsmentalität“* bestraft werden. – Was aber natürlich weder sinnvoll noch notwendig wäre und dazu, wie immer, die falschen träfe!
(*über welche ich auch aus dem deutschen System zig Beispiele nennen könnte, gegen die die „Sünden“ der Griechen wie harmlose Schülerstreiche anmuten!)
Oder der genauso große Blödsinn, daß Griechenland ausgerechnet jetzt, wo es nicht möglich ist, seine Schulden zurückzahlen solle. Warum denn? Kein Staat der Welt hat jemals seine Schulden zurückgezahlt! (Gerade in D sollte man das eigtl. besser wissen!) Das ist aber auch überhaupt nicht nötig und im grundsätzlichen Geldsystem auch gar nicht vorgesehen: „Geld“ ist doch nur ein anderes Wort für Schulden. Und Schulden hat natürlich jeder Staat (Deutschland z.B. rd. 2 Billionen vs. im Vgl. harmlosen 300 Mrd. in Greek!), im Idealfall, im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz exakt in genau derselben Höhe, wie die Vermögen seiner Einwohner. – Oder global gesehen: Je größer die weltweiten Vermögen werden, desto höher müssen automatisch ebenso die Schulden werden.
Gäbe es keine Schulden, gäbe es logischerweise auch keine Vermögen. Da Staatsanleihen aber weltweit als ein relativ sicheres Wertaufbewahrungsmittel gelten, fließt in diese ständig neues Kapital, so daß auch für denjenigen der mal wieder etwas davon abheben möchte, darin überhaupt kein Problem besteht. (Zinsen sind wieder ein anderes Thema! Risikofreie Belohnung für reine Wertaufbewahrung ist natürlich ne Sauerei! – Dazu gabs doch auch mal „was mit Jesus und den Wuchereren im Tempel“…!) – Und wenn die Schulden für irgendeinen Staat irgendwann halt mal wieder zu hoch werden, so what? Dann streicht man halt einen Teil davon! Dabei würde niemandem etwas fehlen, kein privater Cent, der in einer Lebensversicherung o.ä. steckt, würde dadurch verschwinden. Mittlerweile halten private Gläubiger nur noch rd. 10% der griechischen Staatsanleihen (und diese sogar oft noch zu Kursen von weit unter 50% aufgekauft – wäre also selbst bei einem 50%-Schuldenschnitt für die meisten immer noch ein glänzendes Geschäft).
Die restlichen 90% liegen bei EZB & Co. – aufgekauft mit aus dem nichts geschaffenen Knopfdruckgeld, welches man genausoschnell, wie man es erschaffen hat, auch wieder verschwinden lassen könnte, ohne daß irgendjemandem irgendetwas fehlen würde, ohne daß irgendetwas passieren würde.
Für diese Meinung werde ich zwar aktuell gerne von von BILD&Co. geimpften Griechen-Hassern beschimpft; warum meine Ansicht falsch sein sollte, konnte mir aber noch keiner erklären. Im Gegenteil, diese Meinung erhält in letzter Zeit immer mehr Schützenhilfe von Leuten auf deren Meinung man hoffentlich mehr gibt, als auf die meinige: „kapitalistische“ Stimmen, wie Dirk Müller, mögen noch eine recht enge Reichweite haben, aber auf z.B. Thomas Piketty werden dann vielleicht doch noch irgendwann ein paar Leute mehr hören:
Piketty-Interview in der ZEIT v. 27.06.15:
http://www.zeit.de/2015/26/thomas-piketty-schulden-griechenland/komplettansicht
Sorry für den langen Text (wenn man halt erstmal dabei ist…)! Einen Satz noch zum Schluß, den hoffentlich auch Frau Merkel mal aufschnappt und sich dadurch zum Nachdenken animiert führt:
(Kein Mensch bestreitet, daß in Griechenland in den letzten 10-20 Jahren viel Mist gelaufen ist; es ist aber (inzwischen) müßig, über die Schuldfrage zu streiten, ob Teile des griechischen Volkes über die Verhältnisse gelebt haben oder ob GoldmanSachs mit dem Land aufdoktinierten Schulden schuld ist.) Fakt ist jedenfalls:
Man kann die Vergangenheit nicht auslöschen, indem man die Gegenwart zerstört!
Bring mir den Kopf von Alexis Tsipras!
Das muß man sich geben: Politiker, die man sich gut in Pantoffel vor der Glotze vorstellen kann (etwa Schulz oder Gabriel) oder die sich gerne als lustige, zünftige Kerle und Mädels mit Trachtenjanker oder Dirndl fotografieren lassen (Söder, Hasselmann, Kauder)oder coole Journalisten, die mit wissendem Blick und Designerbrille auf derNase in die Kamera blicken, alle werfen plötzlich das Kostüm des Biedermeiers ab und verwandeln sich in hasserfüllte, geifernde Monster, die nach dem Kopf von Alexis Tsipras verlangen.
Leute,……da sieht man deutlich, mit wem wir es zu tun haben .
Nur eine bleibt cool, Merkel! Man sieht wie gerissen sie ist und wie dumm ihre Hilfsdriebel.