„Die Demokratie braucht ein anderes Theater“

Die Aufregung um das Konstanzer Theater und das Stück „Mein Kampf“ ebbt nicht ab. Nun schaltet sich auch der Konstanzer Psychologe Georg Lind (s. Foto) ein. Seine These: Mit diesem Stück und dieser Diskussion wird Demokratieverdrossenheit geschürt und das Gegenteil von dem erreicht, was man vorgibt, schützen zu wollen. Lesen Sie hier seinen Gastbeitrag:

In Konstanz tobt gerade eine Diskussion über das Theaterstück „Mein Kampf“ von Tabori. Man will damit Nazis vorführen, um, wie man sagt, die Demokratie zu retten. In dem Stück wird Hitler in seiner Wiener Zeit als gescheiterter Maler dargestellt, dem ein guter Jude hilft. Das Stück wird am 20. April, an Hitlers Geburtstag, aufgeführt, um, wie man sagt, die Nazis zu ärgern. Die Konstanzer Inszenierung geht noch weiter: Alle Zuschauer sollen einen Judenstern oder ein Hakenkreuz tragen, um, wie man sagt, seine Gesinnung offen zu legen: Judenstern zeige gute Gesinnung. Was das Hakenkreuz zeigen soll, scheint nicht so klar. Geiz oder Nazi-Gesinnung? Das Stück hat aus verschiedenen Gründen Protest ausgelöst: Das Tragen des Judenstern sei respektlos und das Tragen des Hakenkreuzes verboten.

Es kommt meines Erachtens aber noch ein wichtiger Grund hinzu: Es ist naiv anzunehmen, dass das Stück überhaupt die erhoffte Wirkung hat und nicht genau die Tendenzen stärkt, die es zu bekämpfen vorgibt, nämlich Demokratieverdrossenheit.

Tabori und die Konstanzer Theatermacher machen es sich zu einfach mit ihrer Erklärung der Naziherrschaft: Nicht ein schlechter Maler war die Ursache, sondern die geringe Demokratiefähigkeit der deutschen Bevölkerung damals. Deutschland war zerrissen in sehr arm und sehr reich und der Bildungsstand war extrem niedrig. Die arbeitende Bevölkerung wurde nicht nur materiell ausgebeutet, sondern auch ideell: Kinderarbeit und Sieben-Tage-Woche ließen kaum Raum für Bildung und Integration. Viele Menschen waren entwurzelt; sie kamen vom Land oder vom Ausland. Der Analphabetismus war höher als noch vor der industriellen Revolution. Die Menschen hatten kaum Zeit mehr zum Lesen. Auch gut ausgebildete Führungskräfte waren rar. Nur ein Prozent eines Altersjahrgangs besuchte um die Jahrhundertwende eine Hochschule.

Das Theater liegt falsch mit seiner Behauptung, Nazis würden im Theater das Hakenkreuz tragen, weil sie geizig seien und den Eintritt nicht bezahlen wollen. Nazis tragen das Hakenkreuz im Theater gern, weil sie es sonst nicht dürfen. Die Nazis ärgern sich auch nicht, wenn sie Hitlers Geburtstag im Theater feiern können. Es muss bezweifelt werden, ob durch den Inhalt des Stücks auch nur ein einziger Nazi bekehrt wird. Es wendet sich doch eher an Nazi-Gegner, die naiv sind zu glauben, dass die Veräppelung von Hitler reicht, um die Demokratie zu erhalten.

Das Theater will die Menschen zu einem öffentlichen Bekenntnis ihrer Gesinnung zwingen und Menschen mit „falscher“ Gesinnung mit Hilfe der Polizei den Zutritt zum öffentlichen Theater verwehren. Damit greift es zu Methoden, die sich kaum von denjenigen unterscheiden, die man bekämpfen will. Wer sagt denn, dass diese Abzeichen ein Ausdruck einer bestimmten Gesinnung sind? Wer sagt denn, dass jemand ein Hakenkreuz trägt, nur weil er geizig ist?

Das Stück ist ein Beispiel für den falschen Glauben, dass man, indem man Mitbürger als dumm und gescheitert lächerlich macht, der Demokratie ein Gefallen tun würde. Das ist ist selbst dumm und gefährlich. Jetzt haben sich schon viele Nazis für das Theaterstück angemeldet. Sie freuen sich offenbar darauf, Hitlers Geburtstag im Theater zu feiern und dann auch noch offen mit dem angesteckten Hakenkreuz. Die feinsinnigen Absichten der Theaterleute laufen bei ihnen ins Leere. Man will jetzt die Geister, die man rief, kanalisieren, indem man mit Hilfe der Polizei nur ein paar Nazis (oder Geizigen?) die Teilnahme am Theater erlaubt. Man will doch wohl nicht mit Hilfe der Polizei zeigen, was Freiheit ist, oder?

Die Einwegkommunikation des gegenwärtigen Theaters entspricht nicht dem demokratischen Ideal, dem es angeblich huldigt. Wir brauchen ein besseres, demokratisches Theater, ein Theater, in dem jeder, auch ein gescheiterter Kunstmaler, respektiert wird.

Dr. Georg Lind, Demokratie-Psychologe und Entwickler des Diskussions-Theaters
(Foto: Universität Konstanz)