Die Fahne und die Ehre

seemoz-Türkei-LingeMan könne es nicht hinnehmen, dass die türkische Fahne über einer Leiche wehe, so einer der Sprecher der Proteste von türkischer Seite gegen die Aufführung des Theaterstücks „Das Märchen vom letzten Gedanken“. Um die Ehre der Fahne zu retten, hätte er allerdings deutlich früher intervenieren müssen, denn der Mörder von Hrant Dink trug während des Mordes die „heilige Flagge“ sauber gefaltet in seiner Hose

Nach seiner Festnahme zog er sie auf der Polizeiwache wieder raus und durfte sie dort stolz in die Kamera halten. Die Echtheit dieser Aufnahme stand nie zur Diskussion, wurden sie doch von türkischen Polizisten gemacht. Denn bei diesem Fahnen-Appell war der Mörder nicht alleine,  wollten doch etliche Polizeibeamte mit aufs Bild. Einer davon nahm ehrerbietig sein Barett vor der Fahne ab, insgesamt schien die Stimmung eher heiter: „mission accomplished“. Anzusehen sind diese Szenen hier:

http://www.youtube.com/watch?v=LLbJyYSwmEI

Tatsächlich sind die Ereignisse bis zum Mord an Hrant Dink am besten zu beschreiben als „Chronik eines angekündigten Todes“. Hrant war als armenischer Waise groß geworden, schon sehr früh bekam er zu spüren, was es heißt, nicht „richtig“ dazuzugehören. Er engagierte sich zunächst auf sozialem Gebiet, recht bald allerdings wurde ihm das von ihm betriebene Waisenhaus unter fadenscheinigen Begründungen weggenommen. Er begann zu schreiben, begründete die Zeitschrift „Agos“, wo er auf türkisch und armenisch publizierte. Er war eine der wenigen, mit Orhan Pamuk sicher aber die vernehmlichste Stimme, die die Auseinandersetzung der türkischen Gesellschaft mit den Verbrechen an den Armeniern in den letzten Jahren des Osmanischen Reiches einforderte.

Immer wieder brachte ihm dies Anklagen und Verurteilungen wegen „Beleidigung des Türkentums“ ein. Vor seinem Tod hatte das oberste Berufungsgericht ein erneutes Urteil wegen eben dieses Strafbestands gegen ihn bestätigt. Dass das Ganze von entsprechender medialer Hetze begleitet war, muss nicht besonders erwähnt werden. Kurz vor seinem Tod hatte er übrigens eine Vorladung zum Vizegouverneur erhalten, wo ihm nahegelegt wurde, mit seinen Äußerungen vorsichtiger zu sein. Bei diesem Gespräch waren auch zwei „Unbekannte“ zugegen, die Hrant zu bedenken gaben, dass ihm jederzeit etwas zustoßen könne. Nach dieser Orchestrierung fand sich dann mit dem 17-jährigen Mörder derjenige, der das zu Geschehende vollzog. „Ich habe den Ungläubigen erschossen“ rief dieser nach getaner Tat.

Nur auf den ersten Blick waren die Reaktionen auf diesen Mord innerhalb der Türkei erstaunlich: Nach der „Chronik eines angekündigten Todes“ wurde „ein Land sucht den Mörder“ inszeniert. Als man dessen aber bald habhaft geworden war, zeigten schon die dokumentierten Szenen auf der Polizeiwache, dass von tiefer Trauer oder Erschütterung keine Rede sein konnte. Wenn Erdogan damals beklagte, dass die Kugeln, die Hrant traffen, „Schüsse auf die Türkei“ gewesen seien, dann ist das die gleiche Klage, wie sie die Orte in Deutschland führen, die wegen neonazistischer  Umtriebe „berühmt“ werden: Es sind nie die Vorfälle selber, die man beklagt. Es ist nie die selbstkritische Frage, wie es dazu hat kommen können. Um was es einem geht, ist die „Rufschädigung“, die man dadurch erfährt, natürlich völlig unverschuldet. Ehrlicherweise ließ sich Erdogan bei Hrants Beerdigung entschuldigen – er hatte am gleichen Tag einen Autobahntunnel einzuweihen.

Erstaunlich war allerdings die nach dem Mord allgemeine rasende Vereinnahmung des ehemaligen Parias als Patriot; als solchen soll ihn sogar der Ex-Chef des türkischen Geheimdienstes bezeichnet haben:

http://www.kurdmania.org/Forum-topic-1170-start-22.html 

„Hrant Dink ölümsüzdür“ (Hrant Dink ist unsterblich), so war auf den Plätzen der Städte zunächst zu hören und zu lesen; dies wurde aber bald übertönt vom „Wir sind alle Hrant Dink“: so schallte es bald über einem Meer türkischer Fahnen. Spätestens hier ging es wieder um das „große Ganze“, das „Wir“; also (auch) wieder nationalen Schulterschluss.

In diesem Zusammenhang erwähnt sei auch die Kampagne „Ich entschuldige mich bei den Armeniern“ von 2009, 30.000mal unterzeichnet, sicherlich auch ein Ausläufer der vielschichtigen kollektiven Erregung nach Hrants Ermordung. Sehr lesenswert, weil vorbildlich im Bemühen um eine relvante Erinnerungskultur, die luziden Überlegungen von Ayse Hür von der türkischen Zeitung „Radikal“, die diese Kampagne als sicher erstmal gut gemeint, aber deutlich „zu kurz gesprungen“ hinterfragt:

http://www.hay-society.de/haysociety/gesellschaft-a-politik/290-vergangenheitsbewaeltigung-2009-2015- 

Abseits solch selbstreflexiver „Zeitverschwendung“ machte das weitere Vorgehen der offiziellen Türkei klar, um was es ihr ging: Im Prozess, der die Hintergründe des Mordes hätte klären können, wurden 18 von insgesamt 19 Angeklagten freigesprochen: klarer Fall von „Einzeltäter“. Aber auch schon bereits vor Beginn des angestrengten Berufungsverfahrens gegen dieses Urteil wird die evidente Verwicklung des „tiefen Staates“ in die Geschehnisse von vornherein ausgeblendet:

http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkischer-prozess-im-mordfall-hrant-dink-neu-aufgerollt-a-922794.html

Wenig überraschend, immerhin findet das Verfahren vor genau dem obersten Berufungsgericht statt, das seinerzeit Hrants Verurteilung wegen „Beleidigung des Türkentums“ bestätigt hatte.

Die Karrieren der Beamten, die beim munteren Fahnen-Posing zu sehen sind, wurden zwar kurzfristig gebremst (6 bis 16 Monate Beförderungsverbot), danach ging es aber um so schneller aufwärts: Der zur rechten des Mörders hat es mittlerweile bis zum Generaldirektor der Polizei geschafft. Mit Malatya pikanterweise in der Stadt/Provinz, in der Hrant geboren wurde….

Abgesehen von der Aburteilung kleiner „Bauernopfer“ ist bislang also nichts geschehen im Sinne einer gewollten Aufklärung. So weit, so vorhersehbar. Trotzdem: Es gab und es gibt sie weiterhin, (selbst)kritische Stimmen in der türkischen Öffentlichkeit. 2006 hatte der türkische Künstler Mehmet Aksoy das „Denkmal der Menschlichkeit“ geschaffen, errichtet nahe der ostanatolischen Ortschaft Kars, in Sichtweite Armeniens. Dargestellt wurde eine in sich zerrissene Gestalt, eine der beiden Hälften bewegt sich auf die andere zu, aus der Erde ragte daneben eine als Geste der Versöhnung ausgestreckte Hand.

https://tezhamburg.files.wordpress.com/2011/04/2604_kars_n_481x270.jpg

Erdogan schmähte all dies bei einem Besuch in Kars als „Monstrosität“. Von dieser Klassifikation ist es bis zum Prädikat „Entartete Kunst“ ja nicht mehr weit, und den großen Worten großer Männer folgt die große Tat oft auf den Fuß: Unbeeindruckt von Protesten innerhalb wie außerhalb der Türkei wurde das „Schandmal“ abgerissen, die Fahne der Ehre darf seitdem wieder alleine wehen:

http://www.nikolaus-brauns.de/assets/images/DSC_0242-1.jpg

Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass Armenien auf Erdogans zeitgleiches „freundliches“ Angebot, die schlimme Vergangenheit an eine gemeinsame Historikerkommission zu verweisen, nicht eingegangen ist.

Dabei war die Auseinandersetzung mit der schlimmen Geschichte nicht von Anfang an ein Tabu in der Türkei: Zwar auf Druck der Alliierten des 1. Weltkriegs, aber immerhin, gab es Versuche der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen (Istanbuler oder Unionistenprozesse). Wegen evidenter rechtstaatlicher Defizite wurden diese bald ausgesetzt, ein Teil der Angeklagten wurde von den Alliierten in Malta interniert, vorgesehen war die Bearbeitung des Geschehens durch einen internationalen Gerichtshof. Die Entwicklungen der folgenden Jahre ließen jedoch das Interesse an der weiteren Verfolgung dieses Unternehmens bald schwinden.

In der Türkei etablierten sich die Kemalisten, erkämpften eine „starke Türkei“, die sich um die Rechte ihrer Minderheiten wenig scherte. Das vorgesehene Projekt der Schaffung eines armenischen Staates in Ostanatolien war somit unmöglich geworden, der bescheidene Rest armenischer Staatlichkeit befand sich bald unter sowjetischer Kurantel. Einem solchen „Sowjetvasallen“ zu offizieller Genugtuung zu verhelfen, war allerdings das Letzte, was man wollte. Und so kam es nie zu einer Verhandlung der Geschehnisse vor einem internationalen Gerichtshof.

Und seitdem gärt neben dem armenischen „Da war was“ das offizielle türkische „Da war nichts“, besser: „Da darf gar nichts gewesen sein“. Unbestritten kann zeitliche Distanz (2015 jähren sich die Geschehnisse ja zum 100sten Mal) die Beurteilung historischer Vorgänge einfacher machen. Sie birgt aber auch die Gefahr des (mitunter gewollten) „Verstaubenlassens“ qua Verweis an abgeschottete Historikerkommissionen, wo sie dann im akademischen Diskurs versanden (sollen).

Wir haben uns, nicht nur in der Armenienfrage, an die Vielfalt der „konkurrierenden Narrative“ mittlerweile gut gewöhnt — und bequem darin eingerichtet; die Frage ist allerdings, ob die daraus resultierende indifferente Äquidistanz zu historischem Geschehen diesem immer gerecht wird.

Immerhin hat auch jeder Mörder sein Narrativ. Für Hrant Dink war klar, dass die Voraussetzung jeglicher Versuche einer Versöhnung die Anerkennung historischen Unrechts sein muss; und dass das innerhalb der Gesellschaft zu klären ist. Keine staatliche oder akademische Instanz kann dies „stellvertretend“ tun.

Es ging ihm bei all dem im Sinne tieferer Ehrlichkeit nicht um bodycount (die Angabe zur Zahl der Ermordeten schwankt ja, je nach Position, zwischen 300.000 und 1,5 Mio.) und auch nicht in formalistischem Wortgefeilsche um das Prädikat „Genozid“. Ihm ging es um die Anerkennung der Tatsache und des Schmerzes über die Auslöschung der Existenz eines Volkes, das eine 4000-jährige Geschichte auf dem Boden der heutigen Türkei hatte.

Hier stellt sich schon die Frage, ob der „mutige“ Rückzug der Stadt Konstanz wie auch des Intendanten des Theaters hinter die Linie der künstlerischen Freiheit dem Unrecht an den Armeniern gerecht wird. Die Frage ist auch, wie man dem „Was guckst Du?“, auf den Protestplakaten umformuliert zu „Warum mischt Deutschland sich ein?“, adäquat begegnet. Und wie man mit der Tatsache umgeht, dass sich da eben nicht grimmige „Graue Wölfe“ als zu attackierender Lieblingfeind eines jeden aufrechten Antifaschisten präsentieren, sondern mehrheitlich augenscheinlich gutsituierte Leute in Begleitung ihrer Kinder. Das, was man gemeinhin unter „Mitte der Gesellschaft“ versteht.

Ich glaube, dass die Antwort von Peter Friedrich als baden-württembergischem Europaminister die einzig richtige ist, wenn er erklärt, dass die Türkei sich natürlich ihrer Vergangenheit stellen müsse.

Auch wenn Herr Friedrich des ansonsten eher unregelmäßigen Theaterbesuchs geziehen wird. Der Intendant hingegen erklärt , bei der Inszenierung gehe es um Sicht eines Märchenerzählers auf die Ereignisse von 1915. Es liege seinem Haus fern, ein Urteil darüber zu fällen, ob die Ereignisse ein Völkermord waren oder nicht.

http://www.welt.de/kultur/theater/article126083816/Die-tuerkische-Fahne-soll-nicht-ueber-Leichenwehen.html

Was sich so liest, als wolle er selber in dieser Frage eigentlich gar keine Stellung beziehen. Und schon ist als Reaktion auf die angebliche Besudelung der Ehre der Fahne vor dem Theater keines der inkriminierten Plakate mehr zu sehen: Die Ehre der Fahne mithin gerettet. Alles wie aus dem Kochbuch zur Deeskalation. Und friedlich ist es auch geblieben, was sicher alle freut. Nach dem Bildersturm weisen am Eingang des Theaters mittlerweise „cleane“ Plakate, die „bilderfrei“ nur den Titel des Stücks zeigen, auf die Veranstaltung hin. Aber: Wäre es nicht die adäquatere Antwort gewesen, die 200 Fahnenschwinger mit dem Foto vom Posing des Mörders mit der „Fahne der Ehre“ in der Runde der vergnügten Repräsentanten der türkischen Staatsgewalt zu konfrontieren, anstatt Hrant Dink auch noch als Leiche stillschweigend verschwinden zu lassen?

Mutiger sicherlich. Immerhin hätte man damit den unter immer grösserem Anpassungsdruck stehenden kritischen Teil der türkischen Gesellschaft unterstützt. Also Menschen, die sich nicht über die Ehre einer Fahne definieren. Nicht immer verkommt Kunst zwingend zu Propaganda, wenn sie Stellung bezieht.

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Autor: Christoph Linge