Die goldene Hängematte der EU
Wenn EU-Spitzenbeamte, ohnehin Spitzenverdiener, ausscheiden, warten gut dotierte Jobs in der Wirtschaft auf sie. Doch – dürfen die das? Und darf die EU-Kommission dem einfach zusehen? ALTER-EU, eine private, europaweite Antikorruptionsorganisation, zu der auch die deutsche lobbycontrol gehört, protestiert gegen diese Praxis und nennt Beispiele.
Vier ehemalige EU-Kommissarinnen und -Kommissare haben seit Oktober 2009 – dem Ende der Amtszeit der letzten EU-Kommission – lukrative Posten in der freien Wirtschaft angetreten. Obwohl mögliche Interessenkonflikte in allen Fällen auf der Hand liegen, lässt die EU-Kommission wohl alle vier ohne Auflagen ziehen. In einem offenen Brief fordert das europäische Netzwerk ALTER-EU Kommissionspräsident Barroso auf, endlich eine 3-jährige Abkühlphase für scheidende EU-Kommissare einzuführen, die in die freie Wirtschaft wechseln wollen. Zusätzlich wird gefordert, Wechsel von Kommissaren in den Finanzsektor vorübergehend völlig zu unterbinden.
Wenn ehemalige Kommissarinnen und Kommissare einen Job in der privaten Wirtschaft aufnehmen wollen, müssen sie dies im ersten Jahr nach dem Ende ihrer Amtszeit der Kommission melden und sich eine Erlaubnis einholen. So bestimmen es die Verhaltensregeln, der “Code of Conduct” für EU-Kommissare. Ein so genanntes “Ethik-Komitee” entscheidet dann, ob Interessenkonflikte vorliegen. Eine Definition dessen, was Interessenkonflikte sind, gibt es nicht – das dreiköpfige Komitee entscheidet allein nach persönlichem Ermessen, ob die Vorgabe des EU-Vertrags eingehalten wird, “bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile” nach Beendigung ihres Amts “ehrenhaft und zurückhaltend zu sein”.
Ernsthaft eingeschritten ist das Komitee bisher noch nie – dabei gäbe es Möglichkeiten wie beispielsweise die Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche. Wie auch in den aktuellen Fällen werden die Freibriefe für den Wechsel in Lobbytätigkeiten regelmäßig entweder damit begründet, der entsprechende Kommissar oder die entsprechende Kommissarin sei nicht direkt verantwortlich für den inhaltlichen Bereich gewesen, den er oder sie nun in ihrem neuen Job abdecken. Oder aber, die scheidenden Kommissare füllten in ihren neuen Tätigkeiten keine Exekutivpositionen aus. Keines dieser Argumente kann überzeugen. Denn die Großunternehmen investieren in die EU-Spitzenpolitiker, weil sie von ihrem Wissen und ihren Kontakten profitieren wollen. Weder eine Exekutivposition noch eine direkte inhaltliche Überschneidung sind nötig, damit sich durch einen Wechsel in die private Wirtschaft Interessenkonflikte ergeben können – dies machen auch die aktuellen Wechsel deutlich:
Beispiel 1: Benita Ferrero-Waldner
Die frühere EU-Kommissarin für Außenbeziehungen und Europäische Nachbarschaftspolitik ging bereits im Februar als Aufsichtsrätin zum Versicherungsriesen Münchner Rück. Die Münchner Rück führt ein Konsortium an, dass das Wüstenstromprojekt “Desertec” plant. Die Kontakte der ehemaligen Kommissarin könnten hier durchaus nützlich sein, damit die EU-Kommission das Projekt regulatorisch unterstützt. Auch ihr Wissen über die politischen Risiken bestimmter Länder ist für den Versicherer brisant. Zwar musste sie der Kommission Vertraulichkeit bezüglich solcher Informationen zusagen – doch erscheint diese Forderung weniger als Auflage, denn als freundliche Empfehlung, da deren Einhaltung praktisch nicht nachweisbar sein wird.
Gerade an diesem Know -How dürfte die Münchner Rück interessiert sein. Für eine gute Beratung durch ihre Aufsichtsräte, also inklusive Leistungsvergütung, lässt sie dann auch jährlich bis zu 100.000€ springen…
ALTER-EU hat im Falle Ferrero-Waldner bereits einen offenen Brief an die Kommission versandt, in dem die Ansicht des Ethik-Komitees, es läge kein Interessenkonflikt vor, scharf kritisiert wird. Die vorliegende Antwort ist unbefriedigend und ärgerlich: In erster Linie plädiert sie dafür, die Ehrlichkeit der Ex-Kommissarin nicht grundlos in Frage zu stellen. Der Brief ist leider nur ein weiteres gutes Beispiel dafür, mit welch fadenscheinigen Antworten die Europäische Kommission jede Kritik an ihrem übermäßig wirtschaftsfreundlichen Kurs abwehrt.
Beispiel 2: Charlie McCreevy
Der ehemalige irische EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen wechselt als Aufsichtsrat zum Billiganbieter Ryanair – die jährliche Vergütung beträgt bis zu 47.000€. Ryanair hat gute Gründe, sich McCreevys Kontakte nach Brüssel zu Nutze zu machen. Die EU-Kommission prüft momentan sieben Fälle, in denen die Fluggesellschaft in den Genuss von unerlaubten staatlichen Subventionen gekommen sein könnte. Außerdem plant das Unternehmen Umbaumaßnahmen an seinen Flugzeugen, wofür es die Zustimmung der EU- und der US-Behörden benötigt.
Hier kommt auch noch eine andere Problematik ins Spiel: Noch als amtierender Kommissar musste McCreevy im Kollegium der Kommissare mehrfach über Fragen mit abstimmen, die Ryanair direkt betrafen. Wie kann die Kommission dem Verdacht begegnen, dass hier Entscheidungen nicht zum Wohle der Allgemeinheit, sondern zum Besten möglicher zukünftiger Arbeitgeber getroffen wurden? Durch die zahlreichen Wechsel muss sich der Öffentlichkeit der Eindruck aufdrängen, dass das hohe politische Amt mehr und mehr als ein Sprungbrett für spätere lukrative Jobs in der freien Wirtschaft missbraucht wird.
Wohl um diesem Verdacht zu begegnen, fordert das Ethik-Komitee auch von McCreevy bereichsweise Einschränkungen in der Informationsweitergabe, vor allem was die Verfahren und Entscheidungen zu Ryanair während seiner Amtszeit betrifft. Auch diese Auflage ist völlig zahnlos – sie ist nicht zu kontrollieren. Eine dreijährige Karenzzeit hingegen würde ihre Wirkung entfalten – nach drei Jahren wäre die Aktualität von McCreevys Wissen nicht mehr gegeben und die alten Netzwerke nicht mehr voll intakt.
Beispiel 3: Meglena Kuneva
Auch die bulgarische Ex-Verbraucherkommissarin hat ihre uneingeschränkte Zustimmung von der Kommission. Sie wechselt zur französischen Bank BNP Paribas. Allerdings fehlt noch die letzte Entscheidung der Bank selbst. Nebenher steht Kuneva immer noch auf einer Liste von Beratern der europäischen Kommission. Es wird zu beobachten sein, wie sich ihr Fall entwickelt.
Beispiel 4: Günter Verheugen
Der deutsche Ex-Industrie-Kommissar hat es gar nicht erst für nötig gehalten, der EU-Kommission seine neue Tätigkeit mitzuteilen – schon dies an sich ist eine Verletzung der Verhaltensregeln. Die größtenteils verstaatlichte Royal Bank of Scotland hat bekannt gegeben, dass Günter Verheugen ihr Chefberater und stellvertretender Vorsitzender für den Bereich Global Banking und Markets wird. „Seine Erfahrungen in der europäischen Politik und seine nationalen und internationalen Kontakte sind für die RBS sehr wertvoll“, sagt Dr. Ingrid Hengster, Country Executive Germany, Austria, Switzerland & Central Eastern Europe. Deutlicher lässt sich nicht sagen, wofür das Unternehmen Günter Verheugen bezahlt – der bereits den Bundesverband der deutschen Raiffeisenbanken und Volksbanken in Europafragen berät.
Die Gleichgültigkeit, die die EU-Kommission gegenüber den Seitenwechseln ihrer scheidenden Komissare an den Tag legt, stellt Ihre Glaubwürdigkeit nachhaltig in Frage. Der existierende Verhaltenskodex ist völlig unzureichend und amateurhaft, geht es doch darum, Wissen der Kommissare über Interna zu schützen und Interessenkonflikte nachhaltig zu verhindern. Kommissar Barroso hatte dem Parlament vor seiner Wiederwahl eine Überarbeitung des Kodex’ angekündigt.
ALTER-EU fordert in einem offenen Brief, dass er dies endlich wahr macht. Dazu gehört eine klare Definition von Interessenkonflikten und eine Abkühlphase von drei Jahren, bevor Kommissare und Kommissarinnen in die private Wirtschaft wechseln können. Auch die Besetzung des Ethik-Komitees ist nicht gerade dazu angetan, glaubwürdig Interessenkonflikte zu benennen und zu bekämpfen:
Beispiel 5: Das Ethik-Komitee
Der Vorsitzende Michel Petite wechselte 2008 von seiner EU-Beamtentätigkeit als Generaldirektor des Juristischen Diensts der EU-Kommission direkt zur Anwaltssozietät Clifford Chance. Als Generaldirektor ermittelte er auch gegen Firmen, die gegen Kartellrecht verstoßen hatten – bei der international agierenden Anwaltskanzlei Clifford Chance arbeitet er nun zu kartellrechtlichen Fragen.
Ein weiteres Mitglied, Terry Wynn, saß lange Zeit für die britische Labour Partei im europäischen Parlament. Während dieser Zeit war er auch Vorsitzender des Forum for the Future of Nuclear Energy (FFNE) und Vorstandsmitglied im Europäischen Energie Forum (EUREF). Wenn eine Ethik-Kommission über die Frage von Interessenkonflikten befinden soll, dann muss sie aus transparent ausgewählten, glaubwürdigen und unabhängigen Expertinnen und Experten bestehen – die Auswahl, die die Europäische Kommission hier getroffen hat, ist absurd, müssen doch zwei Drittel des Komitees als befangen bezeichnet werden.
Und noch etwas: Es ist auffällig, dass drei der vier Kommissare in den Finanzbereich wechseln. Um die aktuelle politische Vormachtstellung, die die Finanzindustrie innehat, nicht noch weiter auszubauen, sollten Wechsel von Kommissaren und hohen Beamten in diesen Bereich vorübergehend komplett unterbunden werden.
Bild: Günter Verheugen
Foto: Michael Thurm
Autor/In: PM/lobbycontrol