Die Regeln der rücksichtslosen Regellosigkeit

Es geht hier nicht um links oder rechts, sondern um die einfache Frage, welchen Stellenwert das sogenannte solide bürgerliche Handwerk noch hat. Beispielsweise das des seriösen Bankiers, dessen Anliegen ist, solide produzierende Unternehmen und Privatleute unter fairen Bedingungen mit Krediten zu versorgen. Beispielsweise das des seriösen Journalisten, der sich der Anforderung stellt, dass seine Veröffentlichungen unabhängig erarbeitet, neu, wichtig und richtig sein müssen   

Dieser Stellenwert spiegelt sich in dem Rang wieder, den zwei Männer innehaben, die sich als weithin bedeutsame und erfolgreiche Figuren wie selbstverständlich mit an der Spitze dieser Gesellschaft bewegen.

Anshu Jain (s. Bild links) ist der eine. Letzte Woche machte seine „Deutsche Bank“ mit ihrem Quartals- und Jahresbericht wieder von sich reden, weil sie – gerafft dargestellt – auch deshalb erheblich weniger Gewinn macht, muss sie doch viele Milliarden Euro für juristische Verfahren und eventuelle Entschädigungen zurückstellen und bezahlen. In diesen Milliarden-Rückstellungen spiegelt sich die Arbeit wieder, die Jain zu verantworten hat.

Anshu Jain, 1963 in Indien geboren, seit Juni 2012 einer der beiden „Deutsche Bank“-Vorstandsvorsitzenden, war von 2001 verantwortlich für die Geschäfte mit Derivaten, Devisen, Anleihen und Rohstoffen. Im Jahr 2010 beispielsweise – mitten in der Finanzmarkt-Krise – trägt Jain mit seiner Verantwortung für das Investmentgeschäft 68 Prozent zum Gesamtgewinn bei und verdient selbst damit knapp 12 Millionen Euro. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ kniete in ihrer Ausgabe vom 1. September 2011 vor ihm nieder: Unter Jains Führung sei „die Deutsche Bank zu einem der aggressivsten Investmenthäuser auf dem Globus“ geworden. Und: „Anshu Jain ist einer der erfolgreichsten Banker der Welt. Eine Gewinnmaschine.“

Damals waren zwar die Manipulationen um den Libor-Satz und viele andere Schweinereien noch gar nicht bekannt, jedoch hatte das Wissen um die Verwüstungen des Investment-Banking bereits eine breite Öffentlichkeit erreicht. Und das „Handelsblatt“ wusste Anfang Februar 2012, kurz vor der Amtsübernahme von Jain, um die engen Bande des vaterländischen Investmentbankings: „Scheitert Jain, ist auch Deutschland beschädigt.“

Kai Diekmann, Herausgeber und Chefredakteur von „BILD“, der sich in diesen Wochen – Headline: „Liebe Große Koalition, wir sind jetzt Eure Apo“ – in der Nachfolge von Rudi Dutschke versucht, ist der andere. Er ist inzwischen der anerkannte Leitwolf der Medienwirtschaft, weil auch er viel Geld verdient: sogar mit seiner gedruckten „BILD“, trotz stark sinkender Auflage. Das beeindruckt. Er wird mit seiner „BILD“, Zentralorgan des Ressentiments, von der Jury des Henri Nannen-Preises, bestehend aus der ersten Garde deutscher Chefredakteure, hochdekoriert. Und nicht nur die Politiker laufen ihm hinterher.

Im Siegeszug seines Blattes vom Straßenköter zum Leitwolf, vom Springer-“Organ der Niedertracht” (Max Goldt) zum Henri-Nannen-Preisträger spiegelt sich der Niedergang eines Handwerks nieder: Journalist darf sich, das zeigt diese Erfolgsgeschichte, auch der nennen, der ihn am liebsten kalt lächelnd abschaffen würde, bräuchte er nicht dessen Gewand, um mit der Reputation seine Geschäfte zu adeln. Es ist keine Schande, keinen Journalismus zu machen. Aber es ist eine Täuschung, nacktes Mediengeschäft als Journalismus zu verkaufen.

So kommen sie daher: der eine als Bankier und der andere als Journalist. Kai Diekmann wie Anshu Jain behaupten, selbstverständlich trügen sie die Prinzipien und Regeln ihres Handwerks untrennbar mit sich im Gepäck, schätzten und ehrten sie. Dabei gehen die Beiden längst ihrem eigenen nach, das nur eine Regel kennt: die der rücksichtslosen Regellosigkeit, die immer auf Kosten der anderen geht. Von den Eliten des Journalismus, der Politik und der Wirtschaft werden sie hofiert und belohnt – vermutlich, weil auch die in deren Handwerk ihre Zukunft sehen.

Autor: Wolfgang Storz/ND