Die SPD-Strategie der Destruktion

Das rosarot-grün-rote Projekt ist nicht verschoben, es ist abgesagt. Peer Steinbrück hat die letzte Gelegenheit verstreichen lassen. Dabei wäre er, authentischer Agenda-Sozialdemokrat, der ideale Anführer gewesen. Der Strategie der Destruktion, die Linkspartei für ein rosarot-grünes Revival über Bord zu drängen, wurde der Vorzug gegeben. So regieren Sozialdemokraten jetzt im Bund mit der Union, Grüne in Hessen mit Beton-Christdemokraten. Die einstige Opposition ließ sich auseinander sprengen

Wie dünn das Fundament gewesen war, offenbart sich im Scheitern. Allein rechnerisch war die `strukturell linke Mehrheit` seit 2005 von 51 Prozent Wählerstimmen, über 46 Prozent (2009) auf heute noch knapp 43 Prozent geschrumpft. Wie illusionär das nur in Köpfen geformte Projekt der Gesellschaftsveränderung geworden war, belegen im Nachhinein, eindringlicher als diese Zahlen, Tempo und Selbstverständlichkeit, mit der die Abschiede vollzogen wurden. Was das bisher proklamierte Projekt an Inhalten `ausmachte`, wurde über Bord gekippt: Eine andere EU-Wirtschaftspolitik wird zum Nicht-Thema, ebenso wie der maßlose Reichtum im Land, die Bankenmacht und die Enteignung der Sparer mit den kleinen Guthaben.

Zur Erinnerung: Die versammelte Opposition war, trotz des Mutes von Jürgen Trittin und des Einsatzes der Linkspartei (von der man jedoch nichts anderes erwartet), mit dem Versuch gescheitert, eine maßvoll höhere Besteuerung der Vermögen der oberen 10 Prozent als bedeutsames positives Anliegen in der öffentlichen Debatte durchzusetzen. Welcher Beweise bedarf es noch, um die erschütternde Kraftlosigkeit der Gesellschaftsveränderer zu belegen? So tut die SPD, als sei die im Koalitionsvertrag vereinbarte Schweizer Käse-Regelung zum Mindestlohn der definitive Durchbruch. Mit noch kargerer Kost lassen sich nur noch die Grünen in Hessen abspeisen: Bei ihrem zentralen Thema, dem einer anderen Verkehrs- und Umweltpolitik rund um den Frankfurter Flughafen, sind sie in ihrem Bündnis mit der Bouffier-CDU keine fünf Flugbewegungen weniger vorangekommen. So wird der Maßstab, was gilt als gute Reform-Politik und was nicht, noch weiter ins Nichts verschoben – wenn die Basis von SPD und Grünen mit jeweils großen Mehrheiten solche Polit-Krümel als große Erfolge feiern.

Die jetzigen Entscheidungen signalisieren also keine Umwege zum Ziel eines gesellschaftsverändernden rosarot-grün-roten Projektes, sondern Abschiede. Denn dieser Option kommt das Personal abhanden: Die einen werden in Rente geschickt (Trittin), andere orientieren sich neu (Gabriel, Göring-Eckardt), die dritten haben nichts zu sagen (Ypsilanti, Hofreiter), die vierten wollen davon nichts wissen (Kretschmann, Al-Wazir). Die Grünen werden sich als unzuverlässige Grenzgänger zwischen SPD und Union niederlassen. Und die SPD wird – von Gerhard Schröder einst politisch entkernt, voll mit Minderwertigkeitskomplexen vor Meisterin Merkel – in der zweiten Großen Koalition seit 2005 nicht mehr Zähne bekommen, eher weitere verlieren. Wer wird noch mit Überzeugung für dieses Projekt werben? Abgesehen von Gregor Gysi, der sich als Sprecher der stärksten Oppositionsfraktion in einem auf vier Jahre stillgelegten Parlament im Erfolg und nicht in einer Sackgasse zu wähnen scheint.

Es wäre ein Fehler zu verdrängen, wie sich Grüne und SPD verabschiedeten. In der Sekunde, in der die SPD-Parteispitze signalisierte: kein Problem, 2017 könnten wir gerne mal mit der Linkspartei koalieren, warfen sie dieses Projekt der Gesellschaftsveränderung auf den Misthaufen der unverwirklichten Vorhaben. Vielleicht sind die mit ihm gemachten Erfahrungen der Dung, der neue noch nicht zuende gedachten Ideen reifen lässt. Fest steht nur: Diejenigen müssen sich im Grundsatz neu positionieren, die das mit dieser Gesellschaft im Sinn haben.

Autor: Wolfgang Storz/ND