Ein preußischer Kriegsheld und die lokale Erinnerungskultur
Wird die Umbenennung der „Von-Emmich-Straße“ in Konstanz zurück genommen? Der Gemeinderat sagt nach Protesten der Anwohner vermutlich ja. Historiker sind sich nicht einig und entfachen auf seemoz eine heftige Debatte. Kurz vor der endgültigen Entscheidung des Gemeinderats am kommenden Donnerstag meldet sich Werner Allweiss (s. Foto) zu Wort: Der FGL-Stadtrat hatte die Diskussion im Gemeinderat angestoßen und antwortet auf die seemoz-Einlassung des stadtbekannten Stadtführers Daniel Gross.
Der Konstanzer Historiker Daniel Gross weist in seinem Beitrag darauf hin, dass nach der am 1. August 1934 vollzogenen Eingemeindung von Wollmatingen Straßenumbenennungen erforderlich wurden. Das ist richtig. In Wollmatingen wurde aus der dortigen Adolf-Hitler-Straße die Fürstenbergstraße und aus der bisherigen Fürstenbergstraße in Konstanz wurde die Von-Emmich-Straße. Aber warum wurde im Jahr 1934 gerade dem preußischen General diese Ehre zuteil? War es eine unpolitische, pragmatische Entscheidung oder stand doch die Absicht dahinter, einen Kriegshelden zu verewigen?
Ein Hinweis findet sich in einem Schreiben des städtischen Vermessungsamtes an den Konstanzer Oberbürgermeister vom 23. 11. 1933. In besagtem Schreiben werden Vorschläge zur Benennung der damals im Bau befindlichen Eisenbahnstraße gemacht. „Die Bezeichnung der Straße wird in Zusammenhang mit Führern im Weltkriege gebracht. In diesem Fall könnte Emmich-Strasse vorgeschlagen werden. Emmich war langjähriger Kommandeur des Konstanzer Regiments und Erstürmer von Lüttich.“ (1) Im Jahr 1933 klappte es noch nicht, die neue Straße wurde Cherisy-Straße, aber ein Jahr später wurde General von Emmich im Konstanzer Straßenbild verewigt.
Denn kurz nach der Eingemeindung von Wollmatingen beschloss der Konstanzer Stadtrat am 29. September 1934 verschiedene Um- und Neubennennungen von Straßen in Konstanz und im neuen Stadtteil Wollmatingen. Mit diesem Beschluss erhielt nicht nur General Otto von Emmich eine Straße, sondern es wurden gleichzeitig u.a. auch drei bekannte Kampfflieger des Ersten Weltkriegs durch Straßennamen geehrt. In der Nähe des damaligen Flugplatzes gab es fortan eine Bölckestraße, eine Richthofenstraße sowie eine Immelmannstraße (2).
Der Konstanzer Historiker Arnulf Moser ordnet in einem jüngst erschienenen Aufsatz (s. link-Liste im Anschluss, d. Red.) die Umbenennungen in einen größeren Rahmen ein und stellt fest: „Die Nazis schufen eine neue militärische Tradition aus dem Ersten Weltkrieg heraus. Dazu gehörten die Schlachtorte Cherisy (Eisenbahnstraße), Tannenberg (Winkelstraße) und Langemarck (Konrad-Witz-Straße). Sie ehrten die Jagdflieger Boelcke (Reutestraße), Immelmann (Bücklestraße) und Richthofen (Hardtstraße). Und sie ehrten General von Emmich für seinen Überfall auf das neutrale Belgien 1914 (vorher Fürstenbergstraße)“ (3). Straßenbenennungen waren Teil einer gezielten Entwicklung. Aufrüstung und soziale Militarisierung der lokalen Gesellschaft prägten in diesen Jahren immer stärker das Bild der Stadt Konstanz (4). Nach Kriegsende wurden rund 25 Straßenbenennungen, die während der NS-Zeit erfolgt waren, aufgehoben. Der preußische General aber blieb.
General von Emmich wurde sicher nicht mit einem Straßennamen geehrt, weil er kurze Zeit (1897-1901) in Konstanz Kommandeur des 6. Bad. Infanterie-Regiments Nr. 114 gewesen war. Es war seine damals als Heldentat gefeierte Eroberung der belgischen Festungsstadt Lüttich, die ihn zum Helden werden ließ. General von Emmich war der erste deutsche General, der am Morgen des 4. August 1914 mit seinen Truppen ins neutrale Belgien einmarschierte und mit der Einnahme der Stadt Lüttich am 7. August 1914 einen ersten militärischen Erfolg für die deutsche Armee errang. Dafür wurde er mit dem höchsten preußischen Orden Pour le Merite ausgezeichnet.
Heldenverehrung macht oft blind für eine Gesamtsicht. Ausgeblendet wurde lange Zeit, dass der Einmarsch ins neutrale Belgien einen Bruch des Völkerrechts darstellte, ausgeblendet wurde ferner, dass die Eroberung von Lüttich und der die Stadt umgebenden Forts (die letzten Forts kapitulierten am 16.8.1914) mit enormen Opfern auf deutscher Seite und noch mehr auf belgischer Seite erkauft wurde und dass es im Zusammenhang mit der Invasion ins neutrale Belgien und den Kämpfen um Lüttich zu zahlreichen Übergriffen gegenüber der Zivilbevölkerung gekommen war, wie neuere Forschungen belegen: „Die ersten Massenhinrichtungen von Zivilisten ereigneten sich am 5. August, und bis zum 8. August waren fast 850 Zivilisten getötet und rund 1300 Gebäude gezielt in Brand gesteckt worden… Bis zum 8. August hatten alle 13 deutschen Infanterieregimenter, die an dem ersten Angriff auf Lüttich beteiligt waren, schwere Gewaltverbrechen an der Zivilbevölkerung begangen“ (5).
Auch wenn für diese Verbrechen an der Zivilbevölkerung nicht eine bestimmte Person verantwortlich zu machen ist, so müssen bei einer heutigen (Neu-)Bewertung der Eroberung von Lüttich diese schrecklichen Ereignisse zwingend miteinbezogen werden.
In den Jahren 2014-2018 wird man in Deutschland und auch weltweit der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, nämlich des Ersten Weltkriegs gedenken. Dabei wird man sich kritisch mit den Ursachen, den Folgen und nicht zuletzt auch mit den „Helden“ des Krieges auseinander setzen. Spätestens dann wird uns die Diskussion auch in Konstanz wieder einholen, und die Frage nach der angemessenen Erinnerungskultur und dem angemessenen Umgang mit den „Kriegshelden“ wird sich erneut stellen.
In einem Punkt hat Daniel Gross recht: Es gibt in unserer Stadt keine Richtlinien, wie mit strittigen Namen umzugehen ist. Es gibt in Konstanz mehrere Straßennamen, die Anlass zu einer kritischen Auseinandersetzung bieten. Erinnert sei an die im Herbst 2010 vom Stadtarchiv und vom Rosgartenmuseum veranstaltete Vortragreihe über Konstanzer Straßennamen. Die Vorträge stießen auf ein breites Interesse, sie brachten vielfach neue Erkenntnisse und neue Bewertungen. Die Fragen, in welchen Fällen Straßenumbenennungen notwendig sind, in welchen Fällen eine Erläuterungstafel unter dem Straßenschild geboten ist oder in welchen Fällen ein Straßenname als Ausdruck der Zeit hinzunehmen ist – diese Fragen wurden nicht beantwortet.
Ich denke, dass aus der heftigen Kontroverse um den preußischen General zwei Konsequenzen gezogen werden können: Die Erarbeitung einer Richtlinie bringt Orientierung und Transparenz im Umgang mit dem heiklen Thema. Auf Grundlage einer solchen Richtlinie kann die Diskussion sinnvoll fortgeführt werden. Sind Umbenennungen vorgesehen, dann sollten die Bürger und Bürgerinnen früh in die Meinungsbildung einbezogen werden.
Abschließend meine persönliche Überzeugung: Für mich sind Ehrungen für „Kriegshelden“ der Weltkriege im allgemeinen und für den „Eroberer von Lüttich“ im besonderen nicht mehr zeitgemäß.
Autor: Werner Allweiss
(1.) Stadtarchiv Konstanz, S II, 4162
(2.) Stadtarchiv Konstanz, S III, 206
(3.) Arnulf Moser: Im Wechsel liegt Beständigkeit. Konstanzer Straßennamen im Wandel der politischen Systeme. In: Konstanzer Almanach 2012, S. 77
(4.) Dazu ausführlich: Werner Trapp: Konstanz in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Lothar Burchardt, Dieter Schott, Werner Trapp: Konstanz im 20. Jahrhundert. Die Jahre 1914 bis 1945. Konstanz 1990, S. 292ff.
(5.) John Horne, Alan Kramer: Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit. Hamburg 2004, S. 25f., S. 34
Weitere Links:
Über Sinn und Unsinn von Straßenbenennungen
Straßenbenennung: Es fehlt an einer klaren Linie
Von der erhellenden Wirkung der Bebauungspläne
Ein „Kriegsheld“ weniger
Lieber Herr Allweiß,
Ihren Beitrag zur Unbenennung der Emmich-Straße in Konstanz fand ich sehr lehrreich und überzeugend. Auf dem Feld der Geschichte (und Erinnerungskultur) der Stadt bin ich ein völliger Ignorant. Aber wir haben in Konstanz ja glücklicherweise einige ausgezeichnete Forscher auf diesem Gebiet und zudem komunalpolitisch engagierte Aufklärer wie Sie.
Mit herzlichem Dank
Ernst Köhler
… Aber warum wurde im Jahr 1934 gerade dem preußischen General diese Ehre zuteil? …
Meine spontane Vermutung wäre, dass es nicht um die Ehrung einer Einzelperson ging, sondern um die Inanspruchnahme von vermeintlicher „Preussischer Tradition“: die Schlacht von Tannenberg liegt zeitlich näher als die Schlacht im Teutoburger Wald der Ur-Germanen gegen das Antike Rom.
Gegen Ende der Weimarer Republik scheinen die Nazis möglichst viele Bevölkerungsgruppen gezielt mit speziellen Themen passgerecht angesprochen zu haben: Arbeiter, Bauern, Mittelstand, Wirtschaft, Konservative u.a. Es wurden eher „Versprechen“ und weniger „Prügel durch Strassenkämpfe“ verteilt, um sich staatsmännisch zu zeigen. Neben der Wirtschafts- und Sozialkrise erschienen Koalitionen im Parlament eher kurzfristig und vergänglich wie der Geldwert in der Hyper-Inflation zu sein. Mich wundert es nicht, wenn konservative Lager gezielt angesprochen wurden, um Beständigkeit zu vermitteln: Preussen hatte bei der Gründung des Dt. Kaiserreiches eine Schlüsselrolle inne und wurde zur Legitimation verwendet: der Reichskanzler Hitler als Schuljunge des Reichspräsidenten Hindenburg (als preuss. „Helden von Tannenberg“). Dieser starb kurze Zeit später und Hitler hatte auch etwas vom Hauch eines preuss. Königs und dt. Kaisers für die Öffentlichkeit übernommen, was gewisse Militärs etwas unkritischer werden lassen durfte (bis zum späten Aufwachen bzw. „Widerstand“). Etwas später war dieses Image nicht mehr bedeutsam: er hatte sich zum gottähnlichen „Führer“ emanzipiert und gestaltete Geschichtsschreibung selbstherrlich (mit der Zukunft klappte es nicht so wie erwartet).
Zum Verhältnis von Hitler (im Anzug) und Hindenburg (in Uniform) 2 kurze Videos beim Denkmal Tannenberg (früher hatte ich ein Video zu dieser Situation entdeckt, bei dem Hitler vor Hindenburg gekniet hat).
1933 Hindenburg at Tannenberg I
http://www.youtube.com/watch?v=7JsMf0WuA3Q
1933 Hindenburg at Tannenberg II
http://www.youtube.com/watch?v=mFxc1GQ6OZY
Als mündiger Bürger in einer repräsentativen Demokratie hat man die Freiheit, etwas kritisch und distanziert gegenüber seinen Mitmenschen zu sein. Ich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, Personen zu verehren (insbes. auf Veranlassung von Grössen der NS-Zeit); als latenter Lutheraner ist man „religiös monogam“ beim Theme Verehrung.
Disclaimer:
Errare humanum est: Irren ist menschlich. Der Ansatz soll primär historisch nachdenklich machen und anregen: vielleicht zwischen den Pausen des Stadttheaters?
Danke für die Bereitstellung weiterer wichtiger Argumente. Der Straßenname für diesen mehr als zweifelhaften „Kriegshelden“ sollte schnellstmöglich geändert werden. Wenn ich Anwohner wäre, würde es mir nicht gefallen, in einer Straße zu wohnen, die seinen Namen trägt. Vor allem jetzt nicht mehr, da so viel Negatives über diesen preußischen Kriegs-Rambo bekannt geworden ist. Da scheint mir die einmalige Rennerei auf die Ämter das kleinere Übel zu sein.
Diesen schrecklichen Liedtext „Und das war der Herr von Emmich“ habe ich soeben im Online-Volksliederarchiv, unter Soldatenlieder 1914-1918 gefunden:
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Und das war der Herr von Emmich
dieser sprach „Die Festung nehm ich
Jungfer, mach den Laden auf
Heißgeliebte, Jungfer Lüttich
laß mich ein zu dir, ich bitt dich
Hochzeitsgäste warten drauf“
Doch die Jungfer Lüttich süße
wollte nicht Herrn Emmichs Grüße
wollt ein ander Ehgemahl
einen andern, einen Franzen
wollt´ nur mit dem Schranzen tanzen
der sich durch das Pförtlein stahl
„Aber“ sprach der Herr von Emmich “
deine Hochzeitstüre kenn ich“
gab das Zeichen zu dem Tanz
Und mit Fetzen und mit Scherben
tat er um die Jungfrau werben
schoß ihr ab den Hochzeitskranz
Blümlein warf er an die Mauer
Rosen blühten rot, mit Schauer
zuckten Hochzeitsfackeln auf
Ja, das war ein herzhaft Schießen
und ein großes Blutvergießen
bei der Hochzeit und der Tauf´
Herr von Emmich mag nicht spaßen
tat sie um die Taille fassen
Fräulein Lüttich schrie vor Lust
Und sie hat sich ihm ergeben
in dem Jahr, in dem wir leben
an dem siebenten August.
Dieser Kommentar steht unter dem Lied:
Text: Ansgar Pöllmann –
Musik: auf die Melodie von „Prinz Eugen der edle Ritter“
Sicher nicht weit vom „soldatischen Erleben“ entfernt, wird hier der Angriff auf eine Stadt mit der Vergewaltigung einer „Jungfer“, eines „Fräuleins“ gleichgesetzt. In der Fantasie des Benediktinerpaters (!) Pöllmann schreit diese nicht vor Schmerz, Wut und Entsetzen sondern aus Lust – widerliche Männerphantasie auf die Melodie des „Bürgerlieds“
in: Weltkriegs-Liedersammlung (1926)
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