Ein Wort und schon ist frau Stalinistin

Helle Aufregung um die Linkspartei: Ein Nebensatz genügt – und alle fallen über die Vorsitzende her. Die von „Spiegel online“, der Bildzeitung für Besserverdienende, gegen Gesine Lötzsch entfachte Kampagne wird zwar wacker gekontert, zuletzt von Oskar Lafontaine bei „Anne Will“ am letzten Sonntag, doch die Schlammschlacht ist gestartet. Völlig überflüssig, denn Europas stärkste linke Kraft hat ganz andere Sorgen.

Wie schwach sich die Partei Die Linke fühlt, ist daran zu erkennen, dass sie sich wegen einer klitzekleinen und inhaltlich läppischen Kampagne – ausgelöst durch einen Bericht der in Deutschland einflussreichsten Nachrichtensite «Spiegel-online» – buchstäblich aus der Fassung bringen lässt. Tenor des Textes: Die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch will den Kommunismus. «Nein, nein, wir schwören es, wir wollen keinen Kommunismus einführen», beteuern daraufhin tagelang alle führenden PolitikerInnen der Partei, «nein, nein, bitte glaubt uns». Lötzsch stand plötzlich im Abseits, sogar in der eigenen Partei. Ein Wort und schon ist frau Stalinistin

Was war geschehen? Gesine Lötzsch hat für die linke Tageszeitung ‚Junge Welt‘ einen Artikel geliefert, in dem sie zu Beginn kurz, ungelenk, unvermittelt und vor allem unbegründet von den «Wegen zum Kommunismus» fabuliert („die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben“), um dann über viele Zeilen hinweg ihre Vorstellungen von einer «radikalen Realpolitik» zu erläutern. Es war ein ebenso handfester wie unspektakulärer Beitrag, bis ein ‚Spiegel-online‘-Redakteur seine Arbeit verrichtete: Er verfertigte auf Basis der ersten Zeilen und unter Vernachlässigung des restlichen Artikels einen Text mit dem Inhalt, Lötzsch wolle Deutschland kommunistisch machen.

Das Geschäft mit Halbwahrheiten

Dann holte er von ihren innerparteilichen GegnerInnen und von anderen Parteien empörte Stellungnahmen ein und fertig war die Kampagne. Nun muss man wissen, dass ‚Spiegel-online‘ unter dem Druck, möglichst hohe Klickraten zu erzielen, im Hauptgeschäft schon lange politische Spektakel ins Schaufenster stellt und keine seriöse politische Berichterstattung mehr liefert. Dass ‚Spiegel-online‘ nicht selten versucht, mit Halbwahrheiten – bekanntlich die gefährlichsten Lügen – das Tagesgeschehen aufzumischen, ist also wahrlich keine Überraschung mehr. Eine Partei, deren professionelle Spitze sich wegen einer solchen Lappalie aus dem Konzept bringen lässt, kann sich nicht sehr sicher im Sattel fühlen. Die entscheidende Frage lautet daher: Geht es der Partei Die Linke wirklich so schlecht, wie sie sich offensichtlich fühlt? Darauf gibt es zwei Antworten. Die erste lautet: nein. Die zweite lautet: ja.

Die Partei und ihr Führungs-Knäuel

Tragen wir die öffentlich zugänglichen Befunde über den Zustand der Partei zusammen. Die Partei Die Linke eilte seit ihrer Gründung vor etwa fünf Jahren von Erfolg zu Erfolg: Sie ist in dreizehn von sechzehn Landtagen vertreten, sitzt in zwei Bundesländern (Berlin und Brandenburg) jeweils in der Regierung und erzielte bei der letzten Bundestagswahl (im September 2009) 11,9 Prozent der Stimmen.

Mit dieser Wahl kam es jedoch in dreierlei Hinsicht zu einer Zäsur. Die damalige Führung zerbrach in einem spektakulären öffentlichen Streit. Oskar Lafontaine, die Galionsfigur, zog sich nach einer schweren Krebserkrankung ins Saarland zurück. Lothar Bisky, mit Lafontaine zusammen Parteivorsitzender, gab sein Amt ebenfalls auf und entschwand in Richtung EU-Parlament. Gregor Gysi wiederum, der Fraktionsvorsitzende, verkämpfte sich gegen den damaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, dem Intrigen gegen Lafontaine nachgesagt wurden. Und so wurde im Frühsommer 2010 eine neue Parteispitze gewählt, streng durch-quotiert nach Ost und West: Es gibt eine Parteivorsitzende Ost (Gesine Lötzsch) und einen Parteivorsitzenden West (Klaus Ernst). Beide sind in der Partei umstritten – erst Ernst wegen seines Lebenswandels (er fährt einen alten Porsche und ist schönen Dingen nicht abgeneigt), nun Lötzsch wegen des Kommunismus. Gab es also einst eine klare Führung, so gibt es heute ein Führungs-Knäuel: Die Alten sind noch nicht richtig weg, die Neuen noch nicht richtig da, und niemand weiß, ob es sich lohnt, sich auf die Neuen einzustellen, denn im kommenden Herbst, so lauten Gerüchte, sollen sie bereits abgewählt werden.

Der Linken sind die Themen abhanden gekommen

Die zweite Zäsur: Der Partei sind ihre Erfolgsthemen abhanden gekommen. Selbst der Discounter Lidl fordert – wenn auch aus durchsichtigen Gründen – öffentlich einen Mindeststundenlohn von zehn Euro, und die Regierung von Angela Merkel bereitet den Abzug aus Afghanistan vor. Und die dritte Zäsur: In den vergangenen Jahren ergaben die Meinungsumfragen keine rotgrüne Mehrheit. SPD und Grüne waren für eine Regierungsbildung auf die Die Linke angewiesen – in Nordrhein-Westfalen etwa benötigt die rot-grüne Landesregierung in entscheidenden Fragen zumindest eine Stimmenthaltung der linken Landtagsabgeordneten.

Nun signalisieren Umfragen im Vorfeld der Landtagswahlen in Hamburg (Februar) und Baden-Württemberg (Ende März), dass es wieder für rotgrüne Mehrheiten reichen könnte, vor allem weil die Grünen so stark geworden sind (ihre Werte liegen stabil bei zwischen 15 und 20 Prozent). Mit anderen Worten: Nach einer fünfjährigen furiosen Erfolgsgeschichte steht Die Linke heute ohne Themen, ohne Machtperspektive und ohne eine klare Führung da.

Die Unterschicht verabschiedet sich vom politischen System

Damit nicht genug. Denn es kommt noch ein sehr tiefgehendes strukturelles Problem hinzu, das mit erklären könnte, warum nicht nur Die Linke, sondern auch die SPD (und übrigens auch die Gewerkschaften) nicht in die Offensive kommen. Im Moment sortieren sich die Mittel- und Oberschichten in Deutschland politisch neu: Das schlägt sich in den Verwerfungen zwischen Union (halbwegs stabil), FDP (im freien Fall) und Grünen (im Höhenflug) nieder. Ganz anders verhalten sich die unteren vierzig Prozent der Bevölkerung. Die beinahe feudalistisch anmutenden sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in Deutschland fordern – nachweisbar anhand der Wahlbeteiligung – ihre Opfer in Form einer politischen Schräglage. Diese für SPD und vor allem Die Linke wichtigen Schichten verabschieden sich mehr als andere vom politischen System: Resignation und Wahlverweigerung greifen zunehmend um sich.

Wie geht es also einer Partei, die sich mit solchen Befunden konfrontiert sieht? Die noch immer gespalten ist in Ost und West, in pragmatische (vorwiegend im Osten) und radikale Flügel, in Fraktionen, die möglichst bald an der Regierung mitmischen wollen, und in Sektionen, die sich von einer politischen Arbeit in der Opposition (und auf der Straße) mehr Wirkung versprechen? Und die wie in den meisten linken Parteien der letzten hundert Jahre von der Debatte Reform oder Revolution geprägt ist? Ihr geht es ganz gut, denn noch immer ist Die Linke nicht zerbrochen und noch immer liegt sie in bundesweiten Umfragen bei etwa zehn Prozent. Das gegenteilige Urteil ist allerdings auch zulässig.

Autor: Wolfgang Storz