Eine Regierung ist durch den Wind

Egal, auch wenn Angela Merkels CDU sich wider Erwartungen auch bei der baden-württembergischen Landtagswahl an diesem Wochenende durch den Alltag und erneut – wie seit vielen Jahrzehnten – an die Regierung mogeln könnte – es änderte nichts an der Erkenntnis: Die Bundesregierung von Angela Merkel und vor allem ihre Union sind seit der Atomkatastrophe in Japan `durch den Wind` und haben auf der nach oben offenen Unglaubwürdigkeits-Skala einen neuen Spitzenwert erreicht.

Es herrscht Konfusion und nicht Kalkül. So steckt hinter dem dreimonatigen Moratorium auch kein fieser Plan: Wir überprüfen jetzt alle Kernkraft-Werke, dann haben sich alle beruhigt, die Landtagswahlen sind glimpflich überstanden, wir machen weiter wie zuvor. Denn zu einem Plan gehörten Entschlossenheit und Ziel. Mehr spricht dafür, dass die Kanzlerin es selbst noch nicht weiß: Will sie mit dem Moratorium die Atomenergie retten oder überwinden?

Die aktuelle Regierungs-Politik erscheint als Ergebnis purer Überforderung. Zur Erinnerung: Es gibt zeitgleich noch die existenziellen Herkules-Konflikte Libyen, Aufstand der arabischen Völker, Staatsverschuldungen, Euro-Krise, unkontrollierbare Finanzmärkte. Wie wollen politische Apparate, wären sie auch besten Willens, unter den Anforderungen von Demokratien solche Komplexitäten überhaupt verarbeiten?

Druck der Atom-Lobby

Aber nun zurück zu den Details, die zeigen, dass buchstäblich nichts mehr zusammenpasst.

In den Monaten vor der Katastrophe setzten Kanzlerin Merkel, Teile der FDP und der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke durch: gegen den breiten Widerstand in der Bevölkerung und unter einem ungewöhnlich massiven unverfrorenen öffentlichen Druck der Atom-Lobby. Das heißt: Kurz vor der Katastrophe haben sich die Regierenden unerwartet als Atomkraft-Hardliner offenbart; dazu passt, dass seit Ende 2009 ein bekannter Atom-Lobbyist Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium ist.

Und nun die Katastrophe. Wie reagiert die Kanzlerin? Die Kanzlerin spricht von einer „Zäsur“, von „einem Weltereignis“. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert zwei Merkel-Vertraute. Der eine sagt: „Mit den Ereignissen ist für die Kanzlerin eine Welt zusammengebrochen“. Und der andere: „Dass so eine Atom-Katastrophe in einem Hochtechnologie-Land wie Japan passieren konnte – das hat sie einfach nicht für möglich gehalten.“ Sie selbst sagt oft, es sei etwas „Unfassbares“ geschehen, und: „Wenn, wie in Japan, das scheinbar Unmögliche möglich, das absolut Unwahrscheinliche Realität wurde, dann verändert das die Lage.“

Kernschmelzen schrecken Zocker nicht

Aus diesem Reden folgt zweierlei: Diese Kanzlerin hat tatsächlich geglaubt, die Atomkraftwerke sind sicher. Nein, schlimmer: Vermutlich hat sie geglaubt, dass sie es sicher weiß. Das Restrisiko gab es für die deutsche Kanzlerin nicht. Ihre Denk-Welt ist tatsächlich zusammengebrochen. Die Frage: Wie viel Naivität darf in einem Kanzleramt eigentlich Zuhause sein? Sicher, hoch industrialisierte Staaten verfügen möglicherweise über beste Techniken. Aber sie sind kapitalistisch organisiert, so dass Sicherheit immer eine abgeleitete Größe der Gewinn-Kalkulation ist. Ob Finanzinvestoren oder Energie-Konzerne: Kernschmelzen schrecken Zocker nicht, solange sie zu Lasten der Gesellschaften gehen. Sogar in der politisch konservativ gewordenen „Die Zeit“ steht: „Restrisiko und Profit sind aneinander gekoppelt, das eine steigt mit dem anderen.“ Leider pflegt nicht einmal Die Linke in Deutschland diesen bedeutenden anti-kapitalistischen Aspekt der Atomkraft-Debatte.

Daraus folgt weiter: Merkel äußert sich in ihrer Erschütterung so existenziell, dass ihren Worten auch grundsätzliche Taten folgen müssten. Aber sie handelt so, als ginge es um die Festlegung von Pflegesätzen im Gesundheitssystem: Es gibt ein billiges Moratorium. Das Angebot der Sozialdemokratie, parteienübergreifend über ein Energiekonzept zu verhandeln, lehnt sie rüde ab.

Gehirnwäsche bei der Union?

Dieses Nichtzusammenpassen von Tun und Reden bricht sich überall Bahn. Eine Technik, die keinen Fehler verzeiht, darf nicht angewandt werden – das Anreden gegen diese letztlich einfache Erkenntnis gerät allen Koalitionsrednern zu einem geistigen Gau. In einer Bundestags-Debatte werfen die Redner der Koalition der heutigen rotgrünen Opposition vor, sie hätten versagt, denn sie hätten in ihrer Regierungszeit viel zu zaghaft die Energiewende weg von der Atomkraft betrieben. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ stellt die Frage, ob sich die Unions-Abgeordneten einer „Gehirnwäsche“ unterzogen hätten. Was ebenfalls auffällt: Es gibt niemanden in der Union, der aus einem christlichen Verständnis heraus, die Atomkraft in Frage stellt, der also das Bild von Menschen problematisiert, der Technik und Natur zu beherrschen sich anmaßt. Lediglich Norbert Röttgen, Umweltminister im Kabinett von Merkel, vertritt eine halbwegs konsistente Position: Er ist für einen schnelleren Ausstieg und bleibt dabei glaubwürdig.

Die regierende Union in Deutschland hat ihr Denken noch nicht wieder unter Kontrolle. In politisch ruhigeren Zeiten könnte dies gelassen als positive Irritation verbucht werden. Was jedoch auch stimmt: Eine Kanzlerin, die ihre Irritation zeigt, beruhigt – mehr als die Vielen, die unerschüttert weitermachen.

Autor: Wolfgang Storz/WOZ